„Außer Polens Westgrenze schwebt alles in der Luft“

■ Korrespondenten in Bonn äußern sich gegenüber der taz zum ersten 2 + 4-Treffen am Samstag in Bonn

Daniel Lulinski, 'Tribuna‘ (Polen):

„Einig waren sich die sechs Außenminister nur in einem: Der Anerkennung der polnischen Westgrenze. Alles andere schwebt weiter in der Luft. Allerdings sind wir nicht damit zufrieden, daß BRD und DDR eine gemeinsame Erklärung zur Garantie dieser Grenze abgeben wollen. So lange es geht, bleiben wir bei unserer Forderung: BRD, DDR und Polen sollen einen Grenzvertrag ausarbeiten und paraphieren; ein Gesamtdeutschland müßte ihn dann ratifizieren.

Zur Bündnisfrage: US-Außenminster Baker ist ganz deutlich der Diskussion um neue Sicherheitsstrukturen ausgewichen. Der Grund: Die Frage der Nato-Mitgliedschaft eines Gesamtdeutschlands ist verknüpft mit Diskussionen um eine veränderte Nato, um die konventionelle Abrüstung, um die Wiener Verhandlungen. Dies macht aus der Frage „Deutschland in der Nato?“ eine gesamteuropäische Sicherheitsfrage. Der entscheidende Rahmen hieße dann KSZE, und das wollen die USA nicht. Sie wollen wesentliche Fragen ohne Beteiligung der Sowjetunion regeln.“

Luc Rosenzweig, 'Le Monde‘ (Frankreich):

„Die Frage der polnischen Westgrenze wird nun, nach diesen Gesprächen, unter dem Schirm der sechs Teilnehmer gelöst werden. Die Alliierten werden als Vermittler zwischen Polen und BRD auftreten. Statt eines Vertrages, den Polen wünscht, ist nun etwas anderes vorstellbar: die Grenzfrage wird in das Abschlußdokument der sechs aufgenommen; das wäre eine vertragsähnliche Lösung. Die Kompromißbereitschaft Schewardnadses in der Frage der Nato-Mitgliedschaft eines wiedervereinigten Deutschlands habe ich bewundert. Mit unserem Außenminister Dumas teile ich die Ansicht, daß man Präsident Gorbatschow wegen seiner innenpolitischen Probleme Zeit geben muß. In Anbetracht dieser Notwendigkeit haben es die Deutschen etwas zu eilig, überfordern Gorbatschow mit dem Tempo ihrer Wiedervereinigung - auch darüber war man sich nach meinen Informationen in den informellen Gesprächen am Rande einig.“

David Marsh, 'Financial Times‘ (Großbritannien):

„Sehr harmonisch ist dieses erste Treffen der sechs Außenminister auf jeden Fall verlaufen. Die westlichen Teilnehmer waren bemüht, die Sowjetunion nicht an den Rand zu drängen. Sowohl Baker als auch Schewardnadse waren konziliant. Die Nato hat mit ihrem jüngsten Abrüstungsvorschlag schon ein Stück weit nachgegeben. Die Sowjets haben deutlich gemacht: wenn sich die Nato-Doktrin ändert, sind sie kompromißbereit. Fraglich ist, ob die möglichen Änderungen ihr weit genug gehen, um die Vorstellungen des Westens zu akzeptieren. Allerdings hat sie auch keine große Alternative. Diesmal waren noch alle sehr vorsichtig. Im Juni, in Berlin, wird es wahrscheinlich härter.“

Nikita Sholkwer, 'Neue Zeit‘ (Sowjetunion) zur Frage der Nato-Mitgliedschaft:

Es könnte gut sein, daß die Sowjetunion pokert: Sie sagt solange wie möglich nein, um soviel wie möglich herauszuholen. Am Samstag hat sich Schewardnadse ein wenig kompromißbereiter gezeigt als bisher. Die beiden sowjetischen Bedingungen: unsere Soldaten bleiben solange wie möglich hier, ihre Unterhaltskosten werden übernommen. Außerdem muß sich die Nato-Doktrin ändern. Letzteres bedeutet den Verzicht auf Erstschlag und Vorneverteidigung und grundsätzlich die Umwandlung eines gegen Osten gerichteten Bündnisses in ein KSZE-ähnliches Gebilde.“

Marc Fisher, 'Washington Post‘ (USA):

Allen Teilnehmern ist am Samstag klargeworden, daß die deutsche Vereinigung nicht aufzuhalten ist, egal was sie tun oder nicht tun. Die Sowjetunion hat gesehen, daß sie die Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands zu akzeptieren hat vielleicht gegen wirtschaftliche Zugeständnisse seitens der Bundesrepublik. Klar ist, daß sich die Nato-Strategie ändern muß: Die Vorne-verteidigung etwa gehört der Vergangenheit an. Was wieder deutlich wurde: Vor der KSZE haben die USA Angst. Sie kennen ihre Rolle dabei noch nicht. In der nächsten Zeit werden sich Baker und Bush um eine starke Position in dieser Institution bemühen.

Interviews: Ferdos Forudastan