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Umweltpalaver oder Anleitung zum Handeln?

In der norwegischen Stadt Bergen treffen sich in dieser Woche Umweltminister aus Europa und den USA / Der globale „Brundtland-Prozeß“ unter dem Dach der UNO droht als Konferenzmarathon zu enden / Nichtstaatliche Umweltorganisationen, die außen vor bleiben sollen, üben auf die Offiziellen Druck über eine Parallelkonferenz aus  ■  Von Philipp Schepelmann

Was wäre, wenn die Regierungen in aller Welt erkennen würden, daß die Entwicklung der menschlichen Zivilisation ökologisch untragbar geworden und ein menschenwürdiges Überleben gefährdet ist? Was wäre, wenn sich alle Regierungen im Norden, im Süden, Westen und Osten träfen und unter Beteiligung von Industrie und Gewerkschaften, von Jugendverbänden, Verbraucherorganisationen und Ökologiebewegung eine sofortige umwelt- und sozialverträgliche Umgestaltung von Wirtschafts-, Industrie -, Entwicklungs- und Energiepolitik beschlössen? Eine Phantasievorstellung? Mag sein.

Gro Harlem Brundtland jedenfalls, ehemalige norwegische Ministerpräsidentin, hängt ihr seit vielen Jahren an. Ginge es nach ihr, müßte dieser Prozeß 1992 mit einer Abschlußkonferenz in Brasilien am Ziel sein. Drei Jahre ist es her, da legte die UN-Kommission für „Umwelt und Entwicklung“ unter dem Vorsitz der Norwegerin der UN -Vollversammlung ihren 400 Seiten dicken Bericht Unsere gemeinsame Zukunft vor. Ein Aufsehen erregendes Papier, das einen Konsens zu stiften schien, der von konservativen Hardlinern bis hin zu Öko-Gruppen reichte. Die 'Washington Post‘ feierte ihn als „eines der ehrgeizigsten und ungewöhnlichsten Programme, um der globalen Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten. Margaret Thatcher und Kenneth Kaunda nannten den Brundtland-Report „historisch“. Und in der internationalen Natur- und Umweltschutzszene hielt man das Werk für eine bemerkenswerte Publikation. Immerhin wurde der gesamtdeutsche Kongreß Ökologisches Wirtschaften vor einem Monat in Leipzig von einer Brundtland-Vertreterin eröffnet.

Viele vergleichen den Report sogar mit der wegweisenden Publikation der Grenzen des Wachstums des „Club of Rome“ oder mit Global 2000, dem Umweltbericht an den damaligen US-Präsidenten Carter. Doch im Gegensatz zu diesem begnügt sich der Brundtland-Report nicht mit einer Analyse der Misere. Seine eigentliche Bedeutung liegt in der Aufforderung, die Verhältnisse zu ändern. Auf die Bitte, ihren Report in einem Satz zu bilanzieren, antwortete Brundtland mit den schlichten zwei Worten: „Jetzt handeln!“ Mit dem Handeln hat sie jedoch in ihrem eigenen Land Schwierigkeiten. Obwohl in Norwegen den ökologisch orientierten Gruppen massenhaft neue Mitglieder zuströmten, als die damals noch regierende Gro Harlem Brundtland für eine bewußte Weltökologie warb und eine beispiellose Umweltdiskussion in ganz Skandinavien entfachte, wurde die UN-Prophetin schon bald im eigenen Land öffentlich der Doppelzüngigkeit bezichtigt. Blind für die Niederungen nationaler Umweltpoltik sei die Überfliegerin in globale Sphären entschwebt - so der Vorwurf heimischer Kritiker.

Der erste Schritt des Brundtland-Prozesses ist als Konferenzserie konzipiert, in dem die heute beginnende ein wichtiges Kettenglied darstellt. Brundtlands Strategie sollte verhindern, daß sich lamentierende Minister aus aller Welt nur in immer kürzeren Zeitabständen zum Verabschieden belangloser Resolutionen treffen. Vielmehr sollten erstmals auch regierungsunabhängige Organisationen, sogenannte NGOs (Non Governmental Organisations), am Zustandekommen von Erklärungen und Programmen der Vereinten Nationen beteiligt werden.

Der spezielle „Brundlandt-Globus“ teilt die Welt in vier Regionen mit ähnlichen Umwelt- und Entwicklungsproblemen ein: Afrika, Asien sowie der pazifische Raum, Lateinamerika, Nordamerika und Europa. Den Hauptkonferenzen in allen vier Regionen sind Treffen von Industrie-, Gewerkschafts- und Umweltverbänden vorgeschaltet. So kamen im März Delegationen aus allen 34 Staaten Europas und Nordamerikas in Wien und Budapest zusammen, ein Unterfangen, das in der Geschichte der internationalen Umweltbewegung bisher ohne Beispiel ist. Ähnliche Veranstaltungen der anderen NGOs werden folgen.

Den sozialen Bewegungen bieten die subventionierten Versammlungen die einmalige Möglichkeit, sich international zu vernetzen. „Für uns ist es sehr wichtig, so oft wie möglich gefordert zu sein, die Diskussion im Ausland zu suchen“, meint etwa die Tschechoslowakin Simona Bouzkova. Schon seit Jahren in ihrem Land aktiv, führte sie die aus der kommunistischen Parteijugend hervorgegangene Brontosaurusbewegung auf dem schmalen Pfad der Legalität. Die Anreise zu den internationalen Kongressen ist für sie „der einzige Weg, um zu verstehen, was in der Welt passiert. Diese Eindrücke sind sehr wichtig für uns, um eine neue Umweltpolitik in unserem Land zu gestalten“. Die Ökoaktivistin wurde nach der Revolution höchstamtlich damit betraut, eine eigene Umweltverwaltung in ihrem Land aufzubauen.

Skeptisch gegenüber einer Stärkung der sowohl internationalen als auch der nationalen Umweltbewegungen sind insbesondere einige Regierungen der sogenannten Entwicklungsländer. Sie fürchten die Problematisierung weiteren Wachstums, die sie endgültig um die Fleischtöpfe industrieller Entwicklung bringen könnte. Ihr Versuch die NGOs und damit die Öko-Pressure-Groups aus dem Gesamtprozeß rauszudrücken, stieß allerdings auf den Widerstand der westlichen Industrienationen. Diese setzten sich für die Beteiligung der NGOs ein, zeigten ihrerseits jedoch keine Neigung, das Thema Verschuldung mit den Beteiligten aus der Dritten Welt zu diskutieren. Schließlich einigte man sich auf einen faulen Kompromiß: Bei der Abschlußkonferenz in Brasilien steht eine Schuldendebatte nicht auf der Tagesordnung, dafür sind - Zugeständnis an die Dritte-Welt -Regierungen - nur Beiträge jener Organisationen erwünscht, die den offiziellen UN-Beraterstatus besitzen.

Damit wäre das Schicksal eines spannenden, demokratisch angelegten Prozesses zur Rettung der Globalökologie eigentlich besiegelt gewesen. Doch „die Geister“, die Frau Brundtland rief, wird jetzt die UN-Gemeinschaft nicht mehr los. Vor allem US-amerikanische und skandinavische Umweltnetzwerke fühlen sich um große Hoffnungen, starkes Engagement und nicht zuletzt viel Geld betrogen. S.E.E.D heißt die Saat der Ausgegrenzten, die nun aufgehen soll. S.E.E.D steht für das englische Motto jenes Alternativkongresses, der parallel zur offiziösen Ministerrunde in Bergen steigen soll: Solidarity for Equality, Ecology and Development. Der 77jährige Felicisimo Patayan zum Beispiel, einer der Nestoren der philippinischen Bewegung der LandarbeiterInnen, erhofft sich von S.E.E.D eine bessere Vernetzung der verschiedenen sozialen Bewegungen in der Dritten Welt. Mit vereinten Kräften wollen Dritte-Welt-Gruppen und Verbraucherorganisationen, Friedensbewegung und UmweltschützerInnen dafür sorgen, daß ihre Forderungen weiter diskutiert werden und 1992 in Brasilien in die Zukunftsplanung einfließen.

In der BRD wurde die Debatte um den Brundtland-Prozeß lange verschlafen. Das einzige deutsche Mitglied in der UN -Kommission für Umwelt und Entwicklung, der SPD -Politiker Volker Hauff, hatte nach anfänglicher Mitarbeit offenbar genug mit seinem Oberbürgermeisterengagement in Frankfurt zu tun. Töpfers Umweltministerium beschränkte sich darauf, ein Expertentreffen zur Vorbereitung der Bergener Konferenz durchzuführen. Im Gegensatz zu anderen Regierungen tat die Bundesregierung nichts, um die Beteiligung bundesdeutscher Umweltverbände am Brundtland-Prozeß zu fördern. Ein Angebot des BUND-Vorsitzenden Weinzierl, zumindest die Positionen vor der Bergener Konferenz gemeinsam abzusprechen, blieb unbeantwortet.

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