: Mehr Mut zu grüner Politik
Zwei-plus-vier und die Konsequenzen ■ G A S T K O M M E N T A R
Bereits die erste Verhandlungsrunde der Zwei-plus-vier -Konferenz hat freie Bahn für den Deutsch-deutschen Einigungsprozeß gegeben. Aus dem Schweinsgalopp wird ein Parforceritt werden. Allein die Grünen bevorzugen noch die Gangart des Trotts.
Über die Folgenschwere der Bonner Verhandlungsergebnisse scheinen sich bisher nur Insider klar zu sein: Weil mit Zustimmung der Sowjetunion die inneren und äußeren Aspekte der deutschen Einigung entkoppelt werden, liegt das Gesetz des Handelns nun vollends in den Händen von Kohl. Denn dieses Zugeständnis Schewardnadses bedeutet, daß die Sowjetunion nun endgültig ihre ursprünglichen Bedenken gegen einen Anschluß der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes zurückgezogen hat.
Wann Artikel 23 angewandt wird, darüber entscheiden jetzt allein die beiden deutschen Regierungen. An einem ensprechenden Staatsvertrag und an einem Überleitungsgesetz wird bereits unter Hochdruck gearbeitet.
Nach dieser Zwei-plus-vier-Runde kann Kohl alle innerdeutschen Daten diktieren. Auch das Datum der ersten gesamtdeutschen Wahl. Alles spricht dafür, daß es zu keinen Bundestagswahlen mehr kommen wird. Die nächsten Parlamentswahlen werden gesamtdeutsch sein - und zwar spätestens im Januar 1991. Die Konservativen werden sich nicht die Chance entgehen lassen, einen historischen Vereinigungswahlsieg zu feiern.
Damit wird alles plattgemacht, was die Grünen - aus guten Gründen - im deutsch-deutschen Vereinigungsprozeß anstrebten: eine Verfassungsdebatte, die den Problemen des nächsten Jahrtausends gerecht wird; eine durch Volksabstimmung legitimierte Vereinigung; ein behutsames Zusammenwachsen ohne neue Armutsregionen; mehr Aufmerksamkeit und Sofortprogramme für eine ökologische Erneuerung in Ost und West.
Aber das ist die Realität. Und die Politik kennt keine Schmollwinkel. Dort nistet sich nur ein, wer aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen will. Entweder die demokratisch -ökologischen Gruppen in Ost und West organisieren sich jetzt gemeinsam für diese gesamtdeutschen Wahlen, oder das grüne Projekt beraubt sich auf unabsehbare Zeit jeder parlamentarischen Präsenz und Interventionsfähigkeit.
Die neue Republik wird dann auf unabsehbare Zeit vor allem eines sein: konservativ und deutsch.
Was tun? Bis heute hat es noch nicht einmal offizielle Kontakte zwischen Grün-West und Bündnis 90/Grün-Ost auf parlamentarischer Ebene gegeben. Ein diffuses Gemisch aus mangelnder Weitsicht und Eigenständigkeitswahn hat das verhindert. Eigenständigkeit in allen Ehren - aber nicht um den Preis der Selbstvernichtung!
Dringend ist daher: Erstens sollten die westdeutschen Grünen mit den DDR-Grünen, dem Bündnis 90 und dem Unabhängigen Frauenverband auf einem gemeinsamen Kongreß im Herbst 1990 ein Manifest verabschieden, das auf die ökologischen, demokratischen, sozialen und internationalen Probleme des deutschen Einigungsprozesses konkrete Antworten gibt. Ein Manifest, in dem die programmatische Grundlage für einen gemeinsamen Wahlkampf gelegt wird.
Zweitens: Auf der Dortmunder Bundesdelegiertenversammlung der Grünen im kommenden Juni sollte kein neuer Vorstand, sondern nur ein kommissarischer Vorstand gewählt werden. Er hätte sich auf folgende Ziele zu verpflichten: programmatisches und organisatorisches Zusammengehen mit den genannten Bündnispartnern in der DDR, klare Absage an jegliche Vereinigung mit der PDS, ökologisch-demokratische Schwerpunktsetzung grüner Politik in der neuen Republik. Ende des Jahres brauchen wir einen gemeinsamen Vorstand.
Dietrich Wetzel
Der Autor ist Bundestagsabgeordneter der Grünen.
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