Solche Stimmen ernster nehmen

■ taz-Gespräch mit Helmut Donat, Bremer Autor und Verleger und Preisträger des diesjährigen Kultur- und Friedenspreises der Villa Ichon

taz: Hat der Preis Dich verändert?

Helmut Donat: Zuerst hat er mich überrascht, und dann hab ich mich sehr gefreut, wofür ich ihn bekommen habe. Der Preis steht für das, was ich tue: das Sichtbarmachen von den anderen Möglichkeiten der Rezeption unserer Geschichte. Grob gesprochen für dieses andere Deutschland, um das ich mich bemühe, das es gegeben hat lange vor Auschwitz und das vor Auschwitz gewarnt hat.

Du schreibst in Deiner Preisrede: „Meine Tätigkeit als Autor und Verleger hängt aufs engste damit zusammen, wie in der BRD mit der jüngeren deutschen Geschichte umgegangen wird.“

Ja, das heißt ganz deutlich, daß durch das, was wir jetzt im Moment erleben, die starke Relativierung von Auschwitz, die Entschuldung der deutschen Geschichte durch Verweise auf die Greueltaten der anderen, Auschwitz nicht mehr zum Ausgangspunkt der Überlegungen einer Politik gemacht wird. Wir haben den Zusammenhang mit der Geschichte verloren. Aber die Geschichte lehrt, daß die Anders

denkenden, die, die weggebügelt wurden, die, deren Standpunkte lächerlich gemacht wurden, daß man auf die hören müßte.

Was sind Deine Möglichkeiten?

Ich kann verdeutlichen: Da gab es etwas, was hörenswert ist; daß es auch früher einen Umgang mit Politik und Geschichte gegeben hat, der nicht so bekannt ist. In der Schule haben wir nicht gelernt, diese Stimmen zu hören - aber die hatten uns gerade was zu sagen! Weil sie schon früh wußten, wohin die Reise ging, vor '33. Dabei nützt es nichts, wenn man gegen alle mögliche Unterdrükkung und Verfolgung ist, wenn wir nicht vor dem Hintergrund unser eigenen Geschichte fragen, was wir tun können.

Eigene Geschichte: Du hast geschrieben, daß die Erlebnisse Deiner Kindheit Dich mitfühlend mit Opfern gemacht haben.

Darauf bin ich eigentlich auch erst im Rahmen dieser Preisverleihung gekommen, insofern ist diese Verleihung auch ein Stück eigene Erinnerungsarbeit gewesen. Ich habe innegehalten und überlegt, warum tu ich das eigent

lich? Gibt es da eine innere Logik? Und die gibt es. Ich hab mich nicht nur als Jugendlicher ganz stark mit dem Dritten Reich beschäftigt - ich bin Jahrgang '47. hierhin bitte den Mann

mit Brille und Bart

und Hand davor

Was mich stärker geprägt hat ist, daß meine Eltern sogenannte Vertriebene waren, die sich in einem kleinen Dorf niedergelassen hatten, und in diesem Dorf wurden die Vertriebenen nicht gut behandelt. Man war etwas, was da nicht hingehörte, wurde gemieden von den Dorfkindern. Und irgendwie hat mich dies Gefühl nicht mehr

losgelassen.

Das Verlegerwesen hast Du aber nicht zielgerichtet angestrebt?

Ich habe Politik und Geschichte studiert und mich systematisch mit der Frage auseinandergesetzt, wie es zu '33 kommen konnte. Und dabei fiel mir folgendes auf: daß, wenn man die beiden Faschismen an der Macht vergleicht, also Italien und Deutschland, der deutsche Faschismus doch wesentlich grausamer ist: der italienische kennt kein Auschwitz, keinen Antisemitismus; daß

es also nichts mit dem Faschismus per se zu tun hat, sondern etwas mit den Deutschen. Und man muß einfach mal die richtigen Fragen stellen, z.B., ob es Vorläufer von '33 gegeben hat. Und das steht außer Frage für mich. Ich nenne das immer die „preußische Wende“ der deutschen Geschichte. Also der „preußische Zug“, der durch die Reichsgründungskriege Bismarcks in die deutsche Geschichte gekommen ist. Der bedeutet: durch diese erfolgreichen Kriege haben die Menschen vor Augen geführt bekommen, daß es sich lohnt, Politik mit dem Schwert zu machen. Daß man durch reine Machtpolitik sich so ein Reich zusammenzimmern kann. Da setzt sich das Denken in Gewaltkategorien durch und legt sich wie ein eiserner Ring um die Gehirne.

Was hat Dich dann zum Verleger gemacht?

Ich bin immer viel durch Antiquariate gerannt und wollte mir jenseits des theoriebefrachteten Studiums die Dinge etwas anschaulicher machen. Und da habe ich entdeckt, daß es auch diese ande

ren Stimmen gegeben hat. Ich fand eine Schrift von Hans Paasche: „Meine Mitschuld am Weltkriege“, ein Marineoffizier, der 1919 klar und deutlich sagt, wenn das so und so weiterläuft, braucht einmal nur einer kommen, und dann wälzen sich die ganze deutsche Druckerschwärze und die Kanonen über den Kontinent nochmal neu hinweg. Und es waren doch einige, die solche Schlüsse zogen und die Kräfte realistisch eingeschätzt haben. Und das war für mich ein großes Erlebnis festzustellen, daß Leute, die damals gelebt haben, das sehr genau gesehen haben. Jedenfalls habe ich dann angefangen zu veröffentlichen, und als ich dann 1981 über Hans Paasche ein Buch machen wollte zum 100. Geburtstag und keinen Verleger fand, hab‘ ich's halt selbst gemacht. Obwohl ich kein bißchen Ahnung davon hatte! Völlig verrückt. Das war eben der Drang, dieses Datum nicht vorbeigehen zu lassen. Fragen: clak

Ab nächste Woche brandneu im Donat-Verlag: die erste Biographie über die Bremer Pazifistin Auguste Kirchhoff; von der Enkelin.