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Tot, aber lebendig

■ Zum 50. Geburtstag des Lyrikers Rolf Dieter Brinkmann ist in Bremen ein Gedenkbuch erschienen

Nicht nur für Heiner Müller ist Rolf Dieter Brinkmann der größte deutsche Lyriker nach 1945. Marcel Reich-Ranicki hat ihn ebenso gepriesen wie Peter Handke. Brinkmann ist kanonisiert. Geburtstage, Todestage, Jubiläen: bei jedem bekannten und unbekannten Autor willkommener Anlaß für den Verlag, ein Buch auf den Markt zu werfen; für Zeitungen, Zeitschriften, Funk und Fernsehen, die Archive zu plündern und den Anlaß zum Anlaß zu nehmen.

Rolf Dieter Brinkmann, geboren am 16. April 1940 in Vechta in Südoldenburg, in den 60er Jahren kurzzeitig literarisches Sprachrohr der Pop-Generation, starb am 23. April 1975 in London, überfahren von einem Auto. Ein doppelter Anlaß also. Aber kein Buch aus seinem Verlag Rowohlt (dafür ein Plakat), keine Anthologie anderswo. Das war für Udo Seinsoth vom Antiquariat beim Steinernen Kreuz Grund genug, selber ein Erinnerungsbuch „aus Verehrung für einen bedeutenden Autoren und sein kühnes literarisches Werk“ zu veröffentlichen. Die positive Resonanz und große Nachfrage auf die Idee des Bremers zeigt, daß Brinkmann 1990 seit 15 Jahren tot und nicht vergessen ist.

Das Buch beginnt mit einem betulichen und genauen Porträt Brinkmanns vom Literaturkritiker Heinrich Vormweg, dessen Spannung daraus entsteht, daß es bereits im Winter 1965/66, nach einem Besuch Vormwegs bei Brinkmann in Köln, entstand zu dieser Zeit galt Brinkmann noch nicht als der große Pop -Literatur-Zampano, zu dem er kurz danach avancierte. 1975 erschien, kurz nach seinem Tod, sein wichtigster Gedichtband: „Westwärts 1&2“. Aus ihm wurden aus Umfang -Gründen ein langes Nachwort und mehrere Gedichte gekürzt. Drei davon stehen in diesem Buch. Angeblich schwächere Stücke zeigen sie, warum Brinkmann ein erratischer Block in der Literaturlandschaft war: er besaß als Lyriker die Gabe der puren Wahrnehmung. Er schrieb auf, so genau wie möglich, und wertete nur durch seine Auswahl. Aus wüsten Collagen wurde poetische Präzision.

Die Ausnahmestellung des Dichters wird auch deutlich, vergleicht man seine Texte mit dem langen Gedicht von Uli Becker im Buch, das eine Brinkmann-Hommage ist und epigonal wirkt. Beckers Text ist witzig und spielerisch, Brinkmann macht keinen Spaß. Ihm war nicht zum Spaßen. Durch seine Sprache offenbarte sich die Unbewohnbarkeit von Stadt und Land, die Verkrüppelung und schleichende Erwürgung einer Gattung durch sich selbst: Es entsteht eine Chronik täglich -alltäglicher Schlachtfelder.

Den Schluß des Buches bildet eine vollständige und präzise Liste aller Buchveröffentlichungen Brinkmanns als Autor und Herausgeber plus vieler Einzelveröffentlichungen. Sehr viel davon ist nur noch antiquarisch zu haben. Viele lebende Dichter sind weniger lebendig als der tote Brinkmann. Dirk Dasenbroc

Rolf Dieter Brinkmann - Zum 50. Geburstag. Antiquariat Beim Steineren Kreuz. DM 19.80.

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