VERWAHRUNGSVERSÜSSUNG

■ Die „Welcome Idiots“ in der JVA Plötzensee

Beim Pförtner gibt man seine Identität ab, dann erst öffnet sich der Sesam. Und präsentiert sich im Inneren in Form von sechs „Pavillons“, die ein malerisches Wäldchen umstehen und die man glatt für norddeutsche Ferienappartements halten könnte, wären da nicht! Wären da nicht diese weißen Vergitterungen vor den Fenstern, aus denen Arme hängen. Die gehören den Jungs auf den Fensterbänken, die uns gleich begrüßen.

Im neuen, 108 Millionen Mark teuren Mehrzweckraum der Jugendstrafanstalt herrscht eine Eiseskälte, ansonsten sieht er aus wie jede bessere Schulaula, modern und zweckmäßig. Die „Welcome Idiots“, Münchner Punkrocker, bauen auf, als sich die anstaltseigene Formation „Cheesemakers“ dazugesellt. Sie werden als Vorgruppe fungieren. Stunden später trudelt das erste Publikum ein, lümmelt sich auf die Schulstühle und wartet gelassen darauf, was ihnen an diesem Montag nun wieder als Versüßung vorgeführt werden soll.

Die Cheesemakers schlagen die ersten Takte an. Weich, glatt und flüssig, von einer Sanftheit, als sei ihnen jede Aggressivität aus Leib und Seele hinausbetongespritzt. Ihre Zuhörerschaft, Jungen im Alter zwischen 14 und 24, viele davon ausländisch, reagieren freundlich und verhalten begeistert. Die Fluktuation ist groß, und viele nützen die Gelegenheit, um in der warmen Sonne zu bleiben und zu rauchen. Die Cheesemakers spielen soliden Seichtpop, und alles im Zeitlupentempo. Nur der Sänger fällt heraus, er scheint viel Bob Dylan gehört zu haben und läßt sogar einige Aaron Nevillschen Kiekser einfließen.

Die Zeit drängt schon, da stehen endlich die Welcome Idiots auf der Bühne. Von den ehemals etwa 80 Zuschauern befinden sich noch an die 40 im Raum, und die Idioten spulen ihr bewährtes Standardprogramm ab. Sie sind gut wie immer, laut, kraftvoll, schnell und hart. Punkrock denkt man, olle Kamellen, was auch richtig ist, aber eine gute Tradition führen sie so raffiniert und strukturkompliziert fort, daß man trotz allem Kulturpessimismus zu der Wahrheit der ewigen Weiterentwicklung gelangt. Was sich keineswegs in einer Publikumseuphorie manifestieren muß. Es verlassen im Gegenteil immer mehr von den Jungknackies die Halle, so daß die Idiots gegen Ende nur noch vor den Cheesemakers und einer Riege hartnäckiger Türken musizieren. Lambada wär's eben gewesen. Mit Lambada hätte man sich in die Herzen gespielt. Um 19 Uhr werden die Insassen geschlossen wieder abgeführt, genug des zweifelhaften Freizeitvergnügens für heute.

Katrin Schings