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Vampirs Alptraum: Künstliches Blut

■ Der besondere Saft will sich nicht kopieren lassen/"Weißes Blut" aus synthetischen Ölen bereits klinisch getestet

Mephistopheles wußte es schon, und die modernen Wissenschaftler haben es in zwanzig Jahren mühseliger Forschung gelernt: Blut ist ein ganz besonderer Saft. Ein Saft, der sich nicht ohne weiteres im Labor herstellen läßt.

In den USA begann sich das Pentagon während des Vietnamkriegs für künstliches Blut zu interessieren. Das Aufkommen von Aids hat die Suche nach Blutersatz neu belebt. Fünf Prozent aller Blutempfänger erkranken an seltenen Formen von Hepatitis, deren Erreger sich schlecht nachweisen lassen. Der Traum der Mediziner: keimfreies Blut in unbeschränkten Mengen, das sich mit jeder Blutgruppe verträgt. Doch einmal mehr müssen die Wissenschaftler feststellen, daß die Natur ihr Handwerk besser versteht als die Laboranten. „Physiologische Systeme stellen sich immer als komplizierter heraus als wir zuerst denken“, erkannte etwa Anthony Hunt, Blutforscher und Pharmazieprofessor an der Universität Kalifornien.

Blut erfüllt eine ganze Reihe verschiedener Aufgaben. Es enthält weiße Blutkörperchen, die Infektionen bekämpfen, Blutplättchen, die an der Blutgerinnung und Wundheilung beteiligt sind, und gelöste Eiweißstoffe. Für seine wichtigste Funktion, den Sauerstofftransport, sind die roten Blutzellen verantwortlich. Rote Blutzellen beherbergen ein Eiweißmolekül, den Blutfarbstoff Hämoglobin. Das Molekül besteht aus vier ineinander verschlungenen Eiweißsträngen, die je ein Eisenatom tragen, das seinerseits Sauerstoff bindet. Es nimmt Sauerstoff in der Lunge auf und gibt ihn in sauerstoffarmen Körperteilen wieder ab.

Am roten Blutfarbstoff scheiden sich die Geister der Ersatzblut-Forscher. Die einen wollen rotes Ersatzblut fabrizieren, das natürliches Hämoglobin enthält. Sie bemühen sich nicht, das komplizierte Eiweißmolekül durch andere Stoffe zu ersetzen oder es im Labor nachzubauen. So versuchte man zunächst, rote Blutzellen nebst Hämoglobin aus veralteten menschlichen Blutkonserven zu trennen und zu Blutersatz aufzubereiten. Doch die roten Blutzellen spielten nicht mit und überlebten die Prozedur nur kurze Zeit. Normalerweise haben sie im Körper eine Lebensdauer von vier Monaten. Außerdem hafteten an den Wänden der roten Blutzellen eine ganze Reihe verschiedenster Viren und Bakterien. Also ließ sich mit dieser Methode nicht einmal die Infektionsübertragung vermeiden.

In einem weiteren Schritt gewannen die Forscher reines Hämoglobin ohne die sie umgebenden Zellen. Zunächst erwies sich das freie Molekül als labil und löste sich in seine Bausteine auf. Die wiederum richteten Schaden in den Nieren der Versuchstiere an. Außerdem tankte der freie Blutfarbstoff problemlos Sauerstoff, war aber nicht bereit, sich wieder von ihm zu trennen. So zirkulierte sauerstoffreiches Blut durch die Gefäße der Versuchstiere, die Gewebe litten trotzdem an Sauerstoffmangel. Ein Enzym in den roten Blutzellen scheint die Lösung des Sauerstoffmoleküls vom Eisenatom zu erleichtern. Blutforscher Hunt kommentiert: „Offensichtlich ist es kein Zufall, daß sich Hämoglobin in der Natur immer in Zellen befindet.“

Inzwischen ist es einigen Wissenschaftlern gelungen, künstliche Zellen aus gelatineartigem Material um das Hämoglobin zu bauen. Andere haben den Blutfarbstoff mit Chemikalien so behandelt, daß er intakt bleibt und eher bereit ist, sich vom Sauerstoff zu lösen. Die amerikanische Biotechnologie-Firma „Biopure“ entwickelt zusammen mit ihrer deutschen Partnerin, der „Braun und Mellsung AG“, künstliches Blut aus Rinderhämoglobin. Im Gegensatz zu menschlichem Blut wird Rinderblut nicht knapp, weil es in großen Mengen in den Schlachthöfen anfällt. Doch muß Rinderhämoglobin noch gründlicher gereinigt werden als aus menschlichem Blut gewonnenes Hämoglobin, weil die spezifischen Erreger und Toxine des Rinderbluts nicht bekannt sind. Außerdem befürchten Mediziner, daß der menschliche Körper das fremde Hämoglobin abstoßen wird.

Zur Zeit wartet „Biopure“ auf die Genehmigung, das Rinderblutderivat in klinischen Versuchen zu testen. Mittlerweile bekommen die Propagandisten des „roten Blutersatz“ Konkurrenz von den Kollegen, die sich auf „weißes Blut“ spezialisieren. Ihr Star, Leland Clark von der Universität Cincinnati, hat mit natürlichem Blut und seinen Bestandteilen nichts am Hut. Abwertend meint er: „Es gibt Endotoxine, Viren, Retroviren, alles was Sie wollen, im Blut. Wer möchte schon mit so einem verdreckten Ausgangsmaterial arbeiten?“

Anstatt Hämoglobin verwendet er Perfluorkohlenstoffe (PFC)

-zu ihnen gehört auch Teflon - als sauerstoffbindende Substanz. PFCs sind synthetische Öle, die große Mengen Sauerstoff gut absorbieren. Wie gut, bewies Clark 1965 in einem fragwürdigen Experiment. Er warf lebende Mäuse in mit PFC gefüllte Gläser. Die Tiere überlebten mehrere Stunden, weil sich ihre Lungen mit der Flüssigkeit füllten, die - wie Luft - ihren Sauerstoff an das Blut abgaben. Die Mäuse starben nach einigen Tagen an Lungenentzündung, und in späteren Versuchen testete Clark seine Blutersatzstoffe dort, wo sie das Blut ersetzen sollen: im Kreislaufsystem und nicht in der Lunge.

Seither wird zwar heftig mit „weißem Blut“ experimentiert, doch so gut wie Hämoglobin wollen die PFCs einfach nicht funktionieren. Klinische Versuche mit 23 anämischen Patienten, die Übertragung von natürlichem Blut aus religiösen Gründen ablehnen, gingen gänzlich daneben. Fazit der Studie: der Blutersatz war bei mäßig kranken Patienten überflüssig und in schweren Fällen von Anämie erfolglos. Trotzdem sind ein paar auf PFC basierende Blutersatzprodukte heute in einigen Ländern begrenzt zugelassen. Das in Japan entwickelte Fluosol wird zum Beispiel bei bestimmten operativen Eingriffen an den Arterien verwandt, um den Blutfluß aufrechtzuerhalten. Nicht zuletzt gibt es auch unter den Ersatzblut-Forschern solche, die sich aus der Debatte um weißes oder rotes Blut fein raushalten: Die Gentechnologen. Steven Hoffman von der amerikanischen Biotechnologie-Firma „Somatogen“ versetzte seine Konkurrenten kürzlich in zweifelndes Staunen, als er bekanntgab, es sei seinem Team gelungen, menschliches Hämoglobin gentechnisch herzustellen. Der Blutfarbstoff habe in Ratten gut funktioniert. Hoffman weiter: „Wir sind der Ansicht, daß wir später in diesem Jahr mit klinischen Versuchen beginnen können.“ Unklar bleibt, wie ein derart komplexes Molekül auf gentechnischem Weg hergestellt wurde, und wie Somatogen die Probleme gelöst hat, die zellfreies Hämoglobin normalerweise bereitet.

Trotz emsiger Forschung wird es wohl noch einige Zeit dauern, bevor ein allgemein anwendbarer Blutersatz durch menschliche Gefäße rinnt. Einstweilen müssen die Aktionäre der Biotechnologie-Unternehmen mit optimistischen Prognosen beglückt werden, so daß die Forschungsgelder weiter fließen. Immerhin geht es beim Rennen um das künstliche Blut um eine beachtliche Trophäe: Weltweit werden jedes Jahr Blutkonserven im Wert von fünfzehn Milliarden Mark verkauft.

Silvia Sanides

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