: Der FDGB-Crash ist vorprogrammiert
Die Gewerkschaft bricht auseinander / Die IG Bergbau-Energie-Wasserwirtschaft hat ihren Austritt beschlossen / Heftige Kritik am fehlenden Erneuerungswillen der FDGB-Führung / Tisch's Leute in Amt und Würden / Streiks in der Leder- und Textilbranche für heute angekündigt ■ Von Martin Kempe
Beim Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), dem Dachverband fliegen die Fetzen. Während FDGB und einige Einzelgewerkschaften für heute zum Warnstreik aufgerufen haben, kündigt sich das Auseinanderbrechen des Dachverbandes an.
Unmittelbar vor der heutigen Sitzung des FDGB-Vorstandes beschloß der Hauptvorstand IG Bergbau-Energie -Wasserwirtschaft (IG BEW) am Dienstag, die Mitgliedschaft im FDGB ruhen zu lassen und „alle notwendigen Schritte für die Vorbereitung einer Urabstimmung über den Austritt aus dem Dachverband zu ergreifen“.
Eine Organisation steht vor dem Ende, die wie keine zweite mit dem SED-Regime in der DDR verfilzt war. Der Beschluß der Bergbaugewerkschaft ist nach einer längeren Auseinandersetzung um den Kurs der FDGB-Führung unter der Vorsitzenden Helga Mausch gefaßt worden. Die Beschlüsse zur „Durchsetzung des Demokratisierungsprozesses und zur Ablösung basisdemokratisch nicht legitimierter Funktionäre im FDGB“ seien nicht erfüllt, heißt es in dem Vorstandsbeschluß der IG BEW. Trotz „mehrfacher Aufforderungen“ habe es die FDGB-Führung bislang ablehnt die Finanzsituation des Dachverbandes offenzulegen und zum Stand der Aufteilung des Vermögens auf die Einzelgewerkschaften Stellung zu nehmen.
Tatsächlich ist nach Informationen der taz der hauptamtliche politische Apparat des FDGB nach wie vor mit den alten SED-hörigen Figuren besetzt. Zwar wurde erheblich abgespeckt, von 400 auf 80 Mitarbeiter, erneuert wurde jedoch nicht grundsätzlich, von den heute in der Berliner Zentrale des FDGB tätigen Funktionären haben rund die Hälfte bereits in der Ära des Freundes von Erich Honecker, Harry Tisch, für das Wohl der Arbeiterklasse gewirkt.
Den letzten Ausschlag für die Aufkündigung der Mitgliedschaft gab für die IG BEW der Offene Brief des FDGB -Vorstandes von Anfang Mai an Ministerpräsident de Maiziere, in dem der Gewerkschaftsverband die Erhöhung der Löhne um 50 Prozent noch vor der Währungsunion und die Einführung der 38 -Stunden-Woche fordert und gleichzeitig mit Streikaktionen droht. Die FDGB-Führung habe damit ungebeten für die Einzelgewerkschaften gesprochen und sei zu einer derartigen Erklärung nicht legitimiert.
Die Forderungen werden von der IG BEW als „unrealisierbar“ und als „unrechtmäßiger Eingriff in unsere satzungsmäßige Tarifautonomie“ heftig kritisiert. Als neuen Dachverband wünscht man sich so bald wie möglich den DGB. Andere Einzelgewerkschaften kritisierten den mangelnden Erneuerungswillen des FDGB-Vorstandes. Möglich ist, daß Helga Mausch ihren letzten größeren Auftritt in zwei Wochen in Hamburg hat. Dort nimmt sie auf Einladung des DGB -Vorsitzenden Breit am 14. Ordentlichen Bundeskongreß des DGB teil. Der scheidende Vorsitzende scheut nicht zurück, die Einladung rückgängig zu machen.
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