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„Die Entscheidung fällt am Freßnapf!“

Tierfutterhersteller Effem entdeckt die DDR / Strategischer Brückenkopf für die Vermarktung der Produkte: Die hehre Zunft der Tierärzte / Mit Kalbsmedaillons werden sie von Pansen, Schlund, und anderen Rohmaterialien vom lieben Vieh überzeugt: „Der Verbraucher ist König“ / Werbegeschenkdose drüben erst mal Tauschobjekte  ■  Von Kai Fürntratt

Zwischen 5er BMW und Mercedes-Coupe fädelt sich der blaue Trabbi ein und schnurrt hinab ins Halbdunkel der Tiefgarage am Hamburger Plaza-Hotel. Am Empfang werden die „sehr verehrte Frau Doktor“, der „sehr geehrte Herr Doktor“ willkommen geheißen. Die Forschungsabteilung der Effem GmbH, größter Tierfutterhersteller der BRD, hat etwa 150 Tierärztinnen und -ärzte aus der DDR zu einer „Begegnung mit westdeutschen Wissenschaftlern“ eingeladen. Bei Effem seien nach dem Fall der Mauer „ganz spontan“ viele Anfragen eingegangen: „Wir haben dieses vitale Interesse gern aufgegriffen.“ Der Verband der Tierärzte in der DDR half mit weiteren Adressen nach.

Zum Abendessen lädt Effem ins Marriott-Hotel. Die Gäste aus der DDR wundern sich darüber, daß es hier fast so viele Kellner wie Esser gibt. Kaum ist das Glas abgesetzt, schon ist es wieder gefüllt mit 1985er Chateau de Vaudieu Chateauneuf-du-PapeAOC. Effem-Forscher Puech hält, Zigarre zwischen den Fingern, eine kurze Ansprache, schärft der Versammlung ein, daß die Busse zum Werk in Verden an der Aller am nächsten Morgen um neun abfahren.

Als die Gäste am nächsten Vormittag in Verden ankommen, sind die Kalbsmedaillons mit Waldpilzen und Sherrycreme halbwegs verdaut. Im Werk werden Pansen, Schlund, Lunge, Herz, Niere, Schulterblatt und andere Teile von toten Tieren in jeweils anderthalb Tonnen fassenden Kesseln von rotierenden Messern zu einem rosa Fleischbrei zerschnitten. Dieser jagt anschließend durch ein Rohrsystem zur Weiterbehandlung. Vor der Verdosung wird das Ganze in Fleischstückchenform gepreßt, in schnauzengerechte Happen. Das Food Manufacturing (Effem) ist weitgehend automatisiert, die wenigen zwischen den Maschinen erkennbaren Arbeiter führen Schlossertätigkeiten durch oder stellen die ordentliche Etikettierung sicher: Schließlich dürfen „Chappi+Geflügel. Gesunde Hundemahlzeit. Extra kleine Stücke für kleine Hunde. Mit feinstgemahlenem Markknochen. Ein ganzer Kerl dank Chappi.“ und „Whiskas mit Thunfisch -Häppchen. Katzen würden Whiskas kaufen“ nicht miteinander verwechselt werden.

Im Verdener Werk arbeiten 1.200 Menschen, die Hälfte davon in der Fertigung, ein Drittel in der Verwaltung, der Rest im Außendienst. Fürs pünktliche Einstempeln gibt's zehn Prozent des Lohnes oder Gehaltes zusätzlich. Produziert wird von Sonntagabend bis Samstagmittag. 1.000 Dosen in der Minute. Dazwischen wird gereinigt und desinfiziert. Um Kapital einzusparen, hat Effem die Lagervorräte stark verringert. Beispielsweise ist die vorgehaltene Menge an leeren Dosen so gering, daß zwischen zwei Nachschubtransporten höchstens zwei Stunden liegen dürfen, um eine Produktionsunterbrechung zu vermeiden.

Diese Strategie erstaunt die Gäste aus der DDR. Zu Hause seien immer diejenigen am besten dran gewesen, die von allem gehortet und Lager angelegt hätten, flüstert eine Teilnehmerin ihrem Nachbarn beim Rundgang zu.

Effem ist Teil des US-amerikanischen Mars-Konzerns, dem weltweit größten Hersteller von Schokoriegeln. Von Mars hat Effem „Die fünf Grundsätze“ übernommen, die überall dort im Werk prangen, wo sich Menschen aufhalten: Qualität („Der Verbraucher ist König, Qualität und 'value for money‘ sind unsere Zielsetzung“) Verantwortung, Gegenseitigkeit („Ein gegenseitiger Nutzen ist gemeinsamer Nutzen; ein gemeinsamer Nutzen hat Dauer“), Effizienz, Freiheit („Wir brauchen Freiheit, um unsere Zukunft selbst gestalten zu können; wir brauchen Gewinne, um unsere Freiheit zu bewahren“).

Bei der Präsentation des Unternehmens legt ein Dr. Hooß den Gästen eindringlich dar, daß Effem mit einem Umsatz von über anderthalb Milliarden DM pro Jahr klarer Marktführer in Sachen Tierfertignahrung in der BRD ist. Es gibt jedoch noch viel zu tun: In der BRD werden nämlich jährlich insgesamt mehr als fünf Milliarden DM für Haustierfutter ausgegeben. Vor allem bei Hunden sind die „traditionellen Fütterungsarten“ immer noch vorherrschend: Lebensmittel, „die bewußt und ausschließlich für die Zubereitung von Hundenahrung gekauft werden. Weiterhin sind es Lebensmittel, die primär für die menschliche Ernährung eingekauft und als Essensreste an Heimtiere verfüttert werden.“ Der Fleischer um die Ecke als schärfster Effem-Konkurrent. Dr. Hooß ist jedoch zuversichtlich, denn er weiß: „Die Entscheidung fällt am Freßnapf!“

Eine Leipziger Tierärztin erkundigt sich nach aminosäurehaltigen Futterzusätzen. Sie berichtet, daß sie in der DDR an der Entwicklung eines Fertigfuttermittels für Hunde beteiligt war. Einige Kolleginnen und Kollegen erinnern sich an eine Sendung des DDR-Fernsehens, in der Hunde zwischen dem alten und dem neuen Futtermittel aus der Leipziger Produktion wählen sollten. Die Testhunde rührten weder das eine noch das andere an.

Neben dem 1988er Geschäftsbericht erhalten die Gäste aus der DDR die Effem-Broschüre Heimtierfertignahrung: Qualitätssicherung und erfahren dort unter anderem Wissenswertes über „Feuchtnahrung“ für Hund und Katze: „Diese Feuchtnahrung - in der Dose oder Schale - ist ein Alleinfuttermittel, das alle Nähr- und Aufbaustoffe enthält. Der Feuchtigkeitsgehalt liegt wie bei den Rohmaterialien von Rind, Schwein und Geflügel zwischen 75 und 80 Prozent. Analytisch wird dies als Wasser bezeichnet.“

Am Abend, wieder in Hamburg, endlich die Begegnung mit den Wissenschaftlern. Zwischen den Zahlen und Werbebildern erörtert Prof. Dr. Irenäus Eibl-Eibesfeldt dort, „Was die Tierwelt uns lehren kann“. Unter der Zwischenüberschrift „Wie die Liebe in die Welt kam“, führt er aus: “...aber in der Natur finden wir auch viel Schreckliches: männliche Languren, die den Harem eines Rivalen erobern, bringen die kleinen Kinder ihrer Vorgänger um, dann gelangen die Weibchen rasch in Östrus, und der neue Pascha kann sein eigenes Erbgut weitergeben... Kann die Natur unser Vorbild sein? Gewiß nicht immer! Aber wir können aus ihr lernen, auch wie man es nicht machen soll.“

Ob dies Kritiker ablenken kann, die den deutschen Hund zum Endlager für Schwermetalle aus den Innereien von Schweine und Rinderkörpern verkommen sehen? Derlei Schwarzmalerei wäre im Seminarsaal des Atlantik Hotel Kempinski jedoch völlig fehl am Platze. Die Gäste sind vielmehr ziemlich still und voller Ehrfurcht angesichts eines Unternehmens, das gewöhnliche Haustiere in wählerische Genießer zu wandeln vermag: „Coco ißt Cesar. Mit feinem Fleisch in delikater Jelly. Welche der acht feinen Sorten von Cesar wird ihr kleiner Feinschmecker heute genießen? Cesar. Für kleine Hunde mit großen Ansprüchen.“ Mit dem Ergebnis von Effems industrieller Viehfleischverwertung werden eben nicht nur vierbeinige Schoßtiere bedient, sondern vor allem die Sehnsüchte derjenigen, die sich am Ladenregal entscheiden.

Eine Woche später bekommen die Tierärztinnen und Tierärzte Post. Sie erhalten eine Auswahl von Effem-Produkten: Frolic, Brekkies, Chappi, Whiskas, Kitekat. Die Geschäftsleitung dankt ihnen herzlich für die Seminarteilnahme und erlaubt sich, einen Wunsch zu äußern: „Möge die wirtschaftliche Entwicklung sich so gestalten, daß bald auch Heimtierhalter in Ihrer Region unsere Produkte kaufen können.“ Bis dahin wird nur noch eine kleine Weile vergehen. Vorerst jedoch fließt die Westware in die realexistierende Tauschwirtschaft der DDR ab. So erhält einer der Tierärzte für sein Chappi -Kontingent Eichenbohlen, aus denen die Treppenstufen des neuen Eigenheimes geschreinert werden.

Kai Fürntratt

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