: Zahl der Arbeitslosen in der DDR fast verdoppelt
■ Anstieg um fast 27.000 im April / Finanzielle Unterstützung nicht für alle / Bundesdeutsches Arbeitsförderungsgesetz soll vereinfacht übernommen werden
Berlin (ap/taz) - Die Zahl der offiziell gemeldeten Arbeitslosen in der DDR hat sich im April fast verdoppelt. Wie die Ostberliner Nachrichtenagentur 'adn‘ am Mittwoch berichtete, meldeten sich im vergangenen Monat 64.948 Arbeitslose bei der Zentralen Arbeitsverwaltung beim Ministerium für Arbeit und Soziales. Das ist ein Zuwachs um 26.635. Zugleich gingen die den Arbeitsämtern gemeldeten offenen Stellen weiter deutlich zurück und betrugen am Monatsende 73.558.
Von den rund 65.000 arbeitslosen DDR-BürgerInnen erhalten etwa 48.000 eine gesetzlich vorgesehene finanzielle Unterstützung. Nach der derzeit gültigen Verordnung vom 8.Februar diesen Jahres besteht ein Anspruch auf höchstens 70 Prozent des vorher erhaltenen Nettogehaltes. Vom Staat wird dabei ein Grundbetrag von 500 Mark übernommen, der Rest muß vom Betrieb als Ausgleichszahlung getragen werden. Ist der betreffende Betrieb bereits pleite, wird inzwischen auch dieser Anteil vom Staat übernommen. Nach Auskunft des Ministeriums für Arbeit und Soziales in der DDR gibt es verschiedene Ausnahmen von der Anspruchsberechtigung. Unter anderem müssen diejenigen, die sich selbst zu einer Kündigung entschlossen haben, auf den betrieblichen Anteil der finanziellen Unterstützung verzichten. Zum Fall für die Sozialfürsorge wird, so war aus dem Arbeitsministerium zu hören, „wer letztes Jahr keine Lust hatte zu arbeiten„; Stichtag für die Anspruchsberechtigung ist der 8.Dezember, spätestens dann mußte ein Arbeitsverhältnis bestehen.
Kritik an den bestehenden Regelungen habe es vor allem im Hinblick auf die entstandenen sozialen Härtefälle gegeben. So soll die Mutter, die mangels einer Kinderkrippe ihre Arbeit vor dem 8. Dezember aufgeben mußte, in Zukunft nicht mehr zu den Arbeitsunwilligen gezählt werden. Zur Vermeidung dieser sozialen Härten wird an einer 3. Durchführungsverordnung gearbeitet.
Wöchentlich melden sich in der DDR etwa 5- bis 8.000 Arbeitslose neu, für die Zeit nach dem 2.Juli, der Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, erwartet man im Arbeitsministerium „dann den großen Hammer“. Zu diesem Zeitpunkt sollen auch die Einzahlungen der Beschäftigten in der DDR in die Arbeitslosenversicherung beginnen. Für die jetzigen Zahlungen müssen der Staatshaushalt und in geringerem Maße die Betriebe aufkommen. Von Bonn wird daher Unterstützung im Rahmen der sogenannten „Anschubfinanzierung“ gefordert.
Für die Zukunft plant die DDR die Errichtung von 38 Arbeitsämtern mit 161 Nebenstellen. Einige haben die Arbeit schon aufgenommen. Hilfe beim Aufbau der Infrastruktur wird von der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg angeboten. Nach Auskunft der Nürnberger sei für den 2.Juli an die Übernahme „eines abgeschlankten“ bundesdeutschen Arbeitsförderungsgesetzes durch die DDR gedacht. In welche Richtung die Vereinfachungen gegenüber dem bundesdeutschen Recht gestaltet werden sollen, ist derzeit noch unklar.
Von den fast 65.000 arbeitssuchenden Bürgern haben der Statistik zufolge knapp 12.000 einen Hoch- oder Fachschulabschluß. Rund 36.000 sind Facharbeiter, 16.000 An und Ungelernte. Besonders bei diesen beiden Gruppen sei mit 21.500 Beschäftigungslosen ein hoher Anstieg zu verzeichnen, berichtete 'adn‘. Dagegen habe sich der Zuwachs bei Bürgern mit Hochschulabschluß verlangsamt.
Nach Angaben von 'adn‘ vermittelten die Arbeitsämter im April 17.968 Menschen eine neue Stelle. Über 1.000 Arbeitslose hätten eine Umschulung oder Weiterbildung begonnen. Für Bürger mit Hoch- und Fachschulabschluß gab es fast 3.900, für Meister 577, für Facharbeiter gut 48.000 sowie für An- und Ungelernte 21.000 freie Arbeitsplätze.
kasch
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