Ein Tritt ans Schienbein des OLG Düsseldorf

Ingrid Strobl ist seit Donnerstag abend frei / Die Begründung des Bundesgerichtshofs zur Aufhebung des Urteils ist eine herbe Rüge für den 5.Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts / „Fehler der Beweisführung: von einer festen Tatsachengrundlage entfernt“  ■  Von Ulrike Helwerth

Berlin (taz) - Fünf Jahre Gefängnis - als am 9. Juni vergangenen Jahres das Urteil gegen die Journalistin Ingrid Strobl fiel, blieb den BeobachterInnen im Gerichtssaal vor Schreck und Wut der Protestschrei in der Kehle stecken. Und kein Mensch glaubte damals im Ernst an eine erfolgreiche Revision.

Um so sensationeller ist der Beschluß des Bundesgerichtshof vom 8.Mai, mit dem das Düsseldorfer Urteil nun in wesentlichen Teilen aufgehoben wurde: die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a ist vom Tisch, ebenso die Beihilfe zur gemeinschaftlichen Zerstörung von Bauwerken. Das BGH-Urteil ist in der Tat ein kräftiger Tritt ans Schienbein des 5.Strafsenats des Düsseldorfer Oberlandesgerichts. Der nämlich hatte es nach fast dreimonatiger Verhandlung vergangenen Juni alsfür „zweifelsfrei“ erwiesen erachtet, daß sich die Journalistin und frühere 'Emma'-Mitarbeiterin der Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag, der Zerstörung eines Gebäudes und der Unterstützung der „Revolutionären Zellen“ schuldig gemacht hatte. Als einziger Beweis diente dem Gericht ein mechanischer Wecker der Marke „Emes-Sonochron“, der Ende Oktober 1986 bei einem Sprengstoffanschlag auf das Verwaltungsgebäude der Lufthansa in Köln als Zeitverzögerer verwendet worden sein soll. „Revolutionäre Zellen“ hatten sich damals zu diesem Anschlag schriftlich bekannt. Ingrid Strobl soll - so das Gericht - diesen Wecker im Wissen um seine geplante Verwendung einige Wochen vorher in Köln gekauft haben. Weil weitere Beweise fehlten, mußte die politische Gesinnung der Feministin herhalten. Die Richter mochten nämlich der „promovierten Germanistin, engagierten Journalistin und Schriftstellerin“ nicht zutrauen, daß sie sich ahnungslos für die RZ hatte einspannen lassen. Außerdem seien ihr die Themen, zu denen die RZ ihre Anschläge verübten, z. B. die Abschiebepraxis von Flüchtlingen und der Sextourismus, „auf den Leib geschrieben“. Ferner, so das Gericht, handele es sich bei den RZ um eine „terroristische Vereinigung“, die „klandestin und nach außen geschlossen“ operiere, also niemanden von außen in ihre Aktionen mit hineinzöge. Als „Beweis“ wurde stundenlang aus alten Schriften der RZ zitiert. Eine „Unterstützung“ nach Paragraph 129a war damit allemal drin, nachdem schon die Anklage wegen „Mitgliedschaft“ zu einem früheren Zeitpunkt fiel.

Der Bundesgerichtshof hat nun in seinem Beschluß vom 8. Mai an dem „zweifelsfreien“ Düsseldorfer Urteil ernsthafte Zweifel angemeldet. Aus dem verquasten Juristendeutsch ist die herbe Rüge deutlich herauszuhören. Da ist von „Fehlern der Beweisführung“ die Rede; da heißt es, die Verurteilung nach Paragraph 129a beruhe auf einer „unzureichenden Tatsachengrundlage„; die Indizien, aus denen das Oberlandesgericht die Überzeugung gewonnen habe, „daß die Angeklagte beim Kauf dieses Weckers gewußt hat, daß ihr Auftraggeber... den Wecker politisch motivierten Gewalttätern zum Bau einer Bombe zur Verfügung stellen werde“, seien zwar zahlreich, „aber, isoliert betrachtet: wenig aussagekräftig“. Diese Beweisführung läge „insgesamt gesehen noch innerhalb des dem Tatrichter zukommenden Beurteilungsspielraums“. Im Klartext: knapp an der Grenze des Haltbaren.

Untragbar hingegen ist für den BGH die Feststellung des Düsseldorfer Gerichts, die Angeklagte habe gewußt, daß der Wecker von Mitgliedern der RZ für einen Bombenanschlag auf die Lufthansa benötigt werde. „Insoweit entfernen sich die vom Tatrichter gezogenen Schlußfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage, daß sie nur einen Verdacht, nicht aber die zur Verurteilung erforderliche Überzeugung zu begründen vermögen“, heißt es im BGH-Beschluß. Im weiteren wird die Beweisführung des OLG, die aus Ingrid Strobl eine RZ-Unterstützerin machte, zerpflückt. Ausschließen will der BGH allerdings nicht, daß die Angeklagte anderen „linksextremen oder radikalfeministischen Gewalttätern“ zuarbeitete. Schließlich seien zur Tatzeit zahlreiche Anschläge „von ad hoc gebildeten Kleinstgruppen und Einzeltätern im Sinne einer 'guerilla difusa‘ begangen worden, die nicht zu den 'Revolutionären Zellen‘ gehörten und auch sonst nicht die für eine terroristische Vereinigung erforderliche Verbandsstruktur aufwiesen.“ Das OLG hätte daher „mit nachvollziehbaren rationalen Erwägungen“ ausschließen müssen, daß Ingrid Strobl einem solchen Täterkreis behilflich sein wollte. „Das ist nicht geschehen.“ Will heißen: Der Vorsitzende Richter Klaus Arend und seine Mannen hätten sich nicht so sehr von ihren Verdächtigungen und Vorurteilen hinreißen lassen sollen. Auch die „geistige Nähe“ von Ingrid Strobl zu den RZ erkennt der BGH nicht an. Zwar habe sich die Journalistin mit „anschlagrelevanten“ Themen befaßt, doch „diese thematische Konkordanz vermag... keine persönliche oder sachliche Verbindung zwischen der Angeklagten und den Revolutionären Zellen darzutun; denn diese Tätergruppe pflegt, wie allgemeinkundig ist, gerade solche Themen als Grund für ihre Terrorakte vorzuschieben, denen in der 'linken‘ Öffentlichkeit ein erhöhter Aufmerksamkeitswert zukommt“.

Ob die Ohrfeige des BGH allerdings eine neue Qualität in zukünftigen 129a-Verfahren einläuten wird, muß sich zeigen. Vielleicht konnte und wollte der BGH nur im „Fall Ingrid Strobl“ das hanebüchene Urteil nicht stehenlassen. War doch der Prozeß wie kein anderer dieser Art in der Öffentlichkeit verfolgt und kritisiert worden. Und die Proteste und Solidaritätsaktionen kamen nicht nur aus „einschlägigen Kreisen“. Auch wenn zwischen den Zeilen des BGH-Urteils alles eigentlich auf Freispruch hinweist, wird noch einmal wegen „Beihilfe zu einer Sprengstoffexplosion“ das Strafmaß neu verhandelt. Damit die Herren Richter ihr Unrecht nicht zugeben müssen - nachdem sie Ingrid Strobl bereits zweieinhalb Jahres ihres Lebens geklaut haben.