: Weichenstellung für Gesamtdeutschland
Joschka Fischer, Vorsitzender der grünen Landtagsfraktion in Hessen, zur Bedeutung der Landtagswahlen für die Grünen im Bund ■ I N T E R V I E W
taz: Joschka, du bist für die Grünen hier im nordrhein -westfälischen Wahlkampf aktiv. Wie wichtig sind diese Wahlen für die Entwicklung der Grünen im Bund?
Joschka Fischer: Die Wahlen sind der Beginn einer gesamtdeutschen Wahlentscheidung und damit einer grundsätzlichen Weichenstellung für das Land. Dem Abschneiden der Grünen kommt nicht nur für die Gesamtpartei in der Bundesrepublik eine hohe Signalbedeutung zu, sondern auch für den Stellenwert, den Ökologie und Menschenrechte in einem sich vereinigenden Deutschland haben werden. Es wäre für uns ein wichtiger Schritt nach vorne in Richtung einer ökologischen Reformpartei, wenn die Grünen in NRW als ökologische Opposition in den Landtag kämen, vielleicht sogar als Machtfaktor.
Einige Realos sehen das genau anders herum. Wenn die Grünen mit dieser von den Linken dominierten Liste in den Düsseldorfer Landtag einzögen, sei, so die Argumentation, der nächste Bundesparteitag und damit die kommende Bundestagswahl schon verloren.
Also ich würde gerne den nächsten Parteitag verlieren, wenn ich damit die Sicherheit hätte, daß die NRW-Grünen reinkommen. NRW braucht eine grüne Landespolitik, die auf Dauer ohne eine Landtagsfraktion nicht hinzubekommen ist. Für die weitere Entwicklung der Grünen hin zur ökologischen Reformpartei ist das eine entscheidende Voraussetzung. Ich glaube nicht, daß die Partei unter dem Eindruck selbst fabrizierter Wahlniederlagen von liebgewordenen Dogmen Abschied nimmt. Das braucht Zeit. Ich halte gar nichts von einem Katastrophismus, der sagt, wenn der Karren rechtzeitig in den Dreck fährt, dann wachen die auf. Wenn wir in Hannover und Düsseldorf befriedigende Ergebnisse erzielen, dann sind auch die Bedingungen für den Bundesparteitag unter dem Gesichtspunkt, daß wir dann den Kopf frei haben, in Richtung deutsch-deutsch zu diskutieren, wesentlich besser, als im Angesicht einer Niederlage wieder in das große Hauen und Stechen zu verfallen.
Die NRW-Landesliste wird nicht von den Realos oder vom Aufbruch dominiert, sondern von den Linken. Warum sollte angesichts dieser Lage ein gutes Wahlergebnis ausgerechnet die Position derjenigen stärken, die, im Gegensatz zu den Linken, die Grünen zu einer konsequent ökologischen Reformpartei wandeln wollen?
Die Mehrheitsfähigkeit dieser Positionen hängt nicht von der Wahlentscheidung ab. Ich erinnere an 1985, als die Wahlen in NRW und im Saarland unter fundamentalistischem Vorzeichen in den Sand gesetzt wurden. Auf Bundesebene hatten wir aus Hessen damals einen ungeheuren schweren Stand. Die Partei funktioniert nicht so, als daß sie nach einer Niederlage den rettenden Arm der Realos ergreifen würde.
Angesichts der Bedeutung der Wahlen für die Bundesgrünen fällt der Einsatz der Bundesprominenz und der Bonner Fraktion im Wahlkampf nicht gerade berauschend aus.
Ich bin nun weiß Gott nicht Schuld, daß die „Promis“ bei den Grünen weniger geworden sind. Ich weiß nicht, wie weit andere sich zurückhalten, aber für mich ist klar, daß der Einzug in den Düsseldorfer Landtag und die Ablösung von Albrecht in Hannover für das Gesamtinteresse der Partei von zentraler Wichtigkeit ist. Gelänge es in Niedersachsen, Albrecht abzulösen, wäre rot-grün sofort wieder da, und die Grünen im Bund hätten einen ganz anderen Stellenwert.
Bei der kommenden Bundestagswahl wird die Personalalternative Kohl oder Lafontaine, der bei vielen Grün-Wählern hohes Ansehen genießt, eine große Rolle spielen. Wir wollt ihr euch zwischen diesen Polen Gehör verschaffen?
Die Grünen werden auf Dauer nicht Politik machen können, ohne daß sie ihre Vorstellungen nicht mit identifizierbaren Personen, die die Menschen kennen, vergegenständlichen. Eins ist sicher: Gegen Lafontaine hilft keine fundamentalistische Abgrenzung. Das führt ins Nichts, denn damit überlassen wir die Hoffnungsträgerfunktion Lafontaines allein der SPD, was das rot-grüne Wahlerpotential anbetrifft. Für diese Politik haben die Saar-Grünen bitter bezahlen müssen. Für uns ergibt sich daraus die Aufgabe, in die Lücke zwischen der Glaubwürdigkeit des Kandidaten und seiner Partei zu stoßen. Wird Oskar ohne uns aus der Atomenergie aussteigen? Wird er allein zu einer anderen Chemiepolitik fähig sein?
Aber in diese Lücke müßt ihr mit glaubwürdigen Personen hinein.
Die Partei weiß, was auf dem Spiel steht, und kennt die Alternativen. Dabei geht es um die Existenz der Grünen, um die Frage, ob es in einem Gesamtdeutschland eine grüne Partei oder ein grün-alternatives Wahlbündnis mit über fünf Prozent geben wird. Die Zeit der westdeutschen Grünen geht mit der BRD rapide zu Ende.
Eure Position ist doch innerhalb der Partei auf der Verliererstraße. Bei der Nominierung der Bundestagskandidaten in Baden-Württemberg haben sich gleich mehrere sogenannter „Hardcore-Ökosozialisten“ durchgesetzt...
Warten wir mal ab. Die Partei wird aufwachen. Auch dem letzten Basisgrünen wird klar werden, was für eine gewaltige Aufgabe im Vereinigungsprozeß vor uns liegt. Die Parteimehrheit hat sich auf Bundesebene gegen die Installierung einer handlungsfähigen ökologischen Reformalternative ausgesprochen. Das streite ich nicht ab. Im Gegenteil: Ich fordere alle auf, nicht zu resignieren, denn die gesamtdeutschen Wahlen sind es allemal wert, mit vollem Einsatz zu kämpfen.
Interview: Walter Jakobs
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