Reicht Anti-Bewußtsein für den Konsens?

Gründungskongreß einer demokratischen Organisation aller Antifaschisten der DDR am Bogensee / Bund der Antifaschisten als Traditionspflegeverein oder als Aktionbündnis? / Stalinismus: Verdrängungsmechanismen erschweren das Gespräch  ■  I. Grabowski und T. Bittner

Berlin (taz) - Das Präsidium auf hoher Bühne, eingerahmt von schwungvoll drapierten DDR-Fahnen, so begann am Sonnabend in der ehemaligen Jugendhochschule am Bogensee der Gründungskongreß eines demokratischen Bundes aller Antifaschisten der DDR. Das Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR hatte geladen. Die alten Kameraden sowie die Hinterbliebenen faschistisch Verfolgter waren zahlreich erschienen, füllten über die Hälfte des Saales. Nur ein Fünftel der Anwesenden war jünger als Dreißig.

Was sollte herauskommen: Lediglich ein „Traditionspflegeverein“, der die gealterten Widerstandskämpfer ungehört in Erinnerungen kramen läßt und sie vor'm sozialen Abseits bewahrt? Pfarrer Erich Arndt, Unterzeichner des Gründungsaufrufs, nährte mit einem vorsichtig zaghaften Referat die Zweifel. Mit Verneigung vor der Regierung de Maiziere, die per Erklärung den Opfern des Faschismus ihre Referenz erwiesen hatte, begann Arndt in bekannter Weise die Verdienste der Antifaschisten aufzurollen. Und der Beifall war Beweis genug, daß manche der alten Kameraden das Dilemma des Antifaschismus nach 1945, teilweise als „Gallionsfigur“ von einer korrupten Regierung mißbraucht worden zu sein und die Diskriminierung andersdenkender Demokraten geduldet zu haben, nicht begreifen können. Nur in einem knappen Absatz verurteilte der Pfarrer die Auflösung des VVN durch die SED-Führung im Jahre 1953. In großen Worten sprach Erich Arndt über Toleranz - die „charakteristische Eigenschaft eines Antifaschisten“ -, über eine „pluralistische Gesellschaft“ zur Verwirklichung des antifaschistischen Vermächtnisses. Nur am Rande fand sich die Jugend wieder, obwohl letztendlich sie die Kraft entwickeln muß, den Antifaschismus in der Tat in ein geeintes Deutschland einzubringen.

In der anschließenden Diskussion brach auf, was in in der Einführung glättend übergangen worden war. Kann ein Bund, der antifaschistisch gesinnte BürgerInnen „unabhängig von politischer Orientierung, Konfession, Nationalität und Hautfarbe“ zusammenbringen will, wie nach einem Parteienstatut organisiert sein? Wie soll eine breite Basis von Jugendlichen geschaffen werden, wenn laut vorgeschlagener Satzung Ziel Nummer Eins die Vermächtnispflege ist? Ein Autonomer aus Berlin protestierte gegen den Umgang mit jungen Antifa-Gruppen, gegen die Abstempelung als Chaoten und Oppositionelle. Wie wird der Bund mit diesen Gruppen arbeiten, wie steht er zur „linken Gewalt“?

Reicht ein „Anti-Bewußtsein“ zum Konsens? Die quälende Abstimmungsdebatte zu Programm und Statut am zweiten Konferenztag zeigte, wie schwer sich vom autonomen Hausbesetzer bis zum langgedienten Parteifunktionär gemeinsame Positionen erstreiten lassen. Die wegen ihrer komplizierten und zum Teil undemokratischen Inhalte heftig kritisierten Entwürfe waren in Nachtsitzungen vereinfacht und - stark basisdemokratisch orientiert - wieder ins Plenum eingebracht worden. Die Basisgruppen können danach selbständig und frei handeln. „Antifaschismus ist Humanismus in Aktion“, so heißt der erste Satz im Programm. Der allzu enge Antifa-Begriff soll von vornherein erweitert werden. Extra formuliert wurde im Statut das Selbstverständnis, mehr als nur eine Gegenbewegung zu sein.Das sensible Thema der Vergangenheitsbewältigung eröffnete Pfarrerin Schönfeld mit schockierenden Thesen. Zu stark würde ihrer Meinung nach mit der Geschichte abgerechnet und Erfolge weggefegt. Sie stehe zum organisierten, „verordneten“ Antifaschismus der letzten vierzig Jahre. Die Stalinismus-Diskussion, „vom Westen hochgespielt“, lenke ab vom jetzt Wichtigen. Heftig umstritten war von daher die von Erwin Geschonneck angeregte Stellungnahme zum Mißbrauch des Antifaschismus zur Legitimation undemokratischer Machtstrukturen. Für viele der alten Widerstandskämpfer ist die Stalinismusdebatte eine Befleckung ihres antifaschistischen Engagements. Die rückwärtsgewandte Diskussion würde den Blick in die Zukunft versperren und Antikommunismus Vorschub leisten. Der Verdrängungsmechanismus wirkt weiter, bleibt aber nicht unwidersprochen. Ein abgeschwächter Passus im Programm mußte als Erfolg zählen. Überhaupt ließ der Kongreß manche alte Denkweise erkennen. Abgelehnt wurde zum Beispiel, den Kampf gegen Faschismus, Ausländerfeindlichkeit und rassische Verfolgung mit dem Kampf gegen Sexismus zu verbinden. Ein Grußtelegramm des Schwulenverbandes der DDR wurde eher verhalten entgegengenommen. Hoffnung gab das Gespräch in den Arbeitsgruppen, vor allem zum Thema „Jugend und Antifaschismus“. Die Jungen zeigten sich als Realisten. Sie wissen, was auf sie zukommt, wenn greift, worüber militant -neofaschistischen Gruppen bisher nur theoretisieren. In einem Papier der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) heißt es zum Beispiel: „Erst wenn an den Schulen einmal größere Schülergruppen entstanden sein werden, kann ein provokativer und offener Kurs eingeschlagen werden.“ Das sind nicht mehr nur Anfänge , denen Antifaschisten, junge und alte gemeinsam, wehren müssen.