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Vom positiven Denken zur Realität

Beim 0:0 zwischen Uerdingen und Mönchengladbach retten sich beide Teams ungekonnt vor dem Abstieg  ■  Aus Uerdingen Matti Lieske

„Da kannst du autogenes Training machen, Entspannungskassetten anhören oder Bücher über positives Denken lesen, so viel du willst. Die Wirklichkeit holt dich doch sofort wieder ein“, sprach jüngst der Fußballtrainer Gerd vom Bruch. Seine Wirklichkeit heißt Borussia Mönchengladbach, und daß dort positive Denker derzeit einen schweren Stand haben, liegt auf der Hand.

Aber vielleicht haben ja andere literarische Ergüsse dazu beigetragen, die Gladbacher schließlich doch vor dem Abstieg zu bewahren. „Die Biographie von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt“ beispielsweise, die sich der realitätsgeplagte Fußballehrer eingestandenermaßen ebenfalls zu Gemüte geführt hat. Diese Lektüre erklärt zum einen vom Bruchs spezifische Kieferhaltung eines Nußknackers beim Crashtest, zum anderen könnte sie die Grundlage eines gewissen pragmatischen Machiavellismus sein, wie er im Spiel bei Bayer Uerdingen zum Ausdruck kam.

Die Voraussetzungen dieser Partie waren klar. Beide Teams brauchten noch einen Punkt zum Klassenerhalt, und allenthalben wurde der Verdacht geäußert, daß sie von vornherein auf ein einvernehmliches Unentschieden hinspielen würden. Die Uerdinger hatten Ähnliches vor einer Woche in Nürnberg geübt, und die Gladbacher hatten sogar einen absoluten Experten auf diesem Gebiet in ihren Reihen: Verteidiger Bernd Krauss, der 1982 in Gijon dabei war, als ein deutsch-österreichischer Nichtangriffspakt die wackeren Algerier auf schäbige Art aus dem WM-Turnier schubste. 25.000 Menschen wollten sehen, ob die Mannschaften jenes erbärmliche Schauspiel tatsächlich neu inszenieren würden.

Es sei verraten, das Spiel endete Unentschieden. Von Betrug konnte diesmal dennoch keine Rede sein, denn es war zu offensichtlich, daß das 0:0 keineswegs zustande kam, weil die Spieler nicht wollten, sondern schlicht, weil sie nicht konnten. Gladbach und Uerdingen führten noch einmal in breiter Jämmerlichkeit vor, warum sie so weit unten gelandet sind. Harmlose Stürmer, allgemeine Einfallslosigkeit, technische Unbedarftheit, haarsträubende Fehler. Bei den Gladbachern herrschte ohne den wegen seines Säbeltanzes beim HSV gesperrten Igor Belanow, Mitglied einer vielköpfigen sowjetischen Kleptomanenfamilie, im Angriff Ebbe, bei den Uerdingern befand sich der für Gegner und Mitspieler viel zu raffinierte Däne Brian Laudrup allein auf weiter Flur.

Alle 34 Bayer-Saisonspiele hat er mitgemacht, eine wagemutige Tat, die im Innern eines sensiblen Menschen eine geradezu gesundheitsschädliche Häufung von Frust hervorbringen muß. „Dort tät ich auch nicht mögen“, hatte ihn der Münchner Augenthaler schon vor Wochen bedauert.

Symptomatisch die wenigen Torszenen. In der 17. Minute hüpfte ein verunglückter 50-Meter-Paß von Gladbachs Libero Bruns über den unsinnig weit vor seinem Tor stehenden Bayer -Keeper Grüninger hinweg, der das Leder nach einem vom Entsetzen beflügelten Antritt aber gerade noch von der Linie boxen konnte. In der zweiten Halbzeit irrte Grüninger erneut hilflos im Strafraum herum, und Effenberg köpfte knapp am linken Pfosten vorbei, danach patschte Uerdingens Verteidiger Zietsch mit beiden Händen eine Flanke ins Gladbacher Tor, die sein hinter ihm postierter Kollege Holger Fach todsicher verwandelt hätte. Mit einer Schimpfkanonade Fachs und einer gelben Karte kam der unselige Zietsch noch relativ glimpflich davon.

Eine Viertelstunde vor Schluß begann endlich das allseits erwartete Ballgeschiebe. Die Gladbacher wußten, daß ein Gegentor sie in die Relegation befördern würde und gaben den Ball nimmer her, die Uerdinger ließen ihnen ihren Spaß. Um die Existenz sei es schließlich gegangen, rechtfertigte Gerd vom Bruch hinterher das peinsame Geplänkel, und Uerdingens Coach Horst Wohlers pflichtete ihm eifrig bei. Vielleicht sollten die beiden einfach mehr Bücher über positives Denken lesen. Wenn es nur die blöde Wirklichkeit nicht gäbe.

UERDINGEN: Grüninger - Fach - Kleppinger, Wolfgang Funkel Paszlack, Zietsch, Klinger, Witeczek, Bartram - Reich, Laudrup

MÖNCHENGLADBACH: Kamps - Bruns - Eichin, Klinkert - Krauss, Spies, Hochstätter, Effenberg, Meier, Neun - Criens

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