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Molle-Zischen als Beruf?

■ Das Geschäft mit den Pfandflaschen: Kids und Rentner entdecken Westmark- Einkommensquelle / Endlich: Biertrinken wird zur bezahlten Nebentätigkeit

Ost-West-Berlin. Nicht nur die Autoschieber, Geld- und Grundstücksspekulanten wittern und machen das große Geschäft in dieser chaotischen Ost-West-Zeit. Auch die Kleinen finden Wege, schon vor der Währungsunion an die begehrte D-Mark heranzukommen, um sich Wünsche nach Süßigkeiten, Matchboxautos und anderem erfüllen zu können.

In Ost-Berlin sind die „Gören“ dahintergekommen, daß die Berliner Brauereien, ob in West oder in Ost, zum Teil noch die gleichen Flaschen mit Bier und Brause abfüllen. Interessant wird diese Flasche, wenn sie leergetrunken ist wenn es nämlich darum geht, Pfand einzulösen. Im Osten bekommt man 30 Pfennig zurück, im Westen 20 Pfennig - aber eben in West!

Die Steppkes, aber auch manch ältere Mitbürger, haben das Geschäft schon längst entdeckt: nicht in den Konsum zurück mit den Flaschen - sondern besser zu Meyer, Reichelt oder Edeka! Ein Rentner, der ungenannt bleiben möchte, macht eine kuriose Rechnung auf: „Eine Flasche Bier kostet mich 91 Pfennige. Bring ich die Flasche rüber, krieg‘ ich dort 20 Pfennig Pfand. Zum Kurs von 1:5 umgerubelt, bedeutet das wiederum eine ganze Ostmark: ich verdiene also theoretisch 9 Pfennige an jeder Pulle Bier, die ich trinke!“

Meist aber spart er sich die West-Pennies zusammen und kauft sich Kaffee und Leckerbissen. Dreimal die Woche macht er den Weg rüber über die Böse-Brücke (Übergang Bornholmer Straße) und liefert in Weddinger Läden seine 10 Flaschen ab. Das bringt ihm wöchentlich immerhin sechs „richtige Mark“.

Die Kids klagen bloß darüber, daß sie durch die Mauer bei ihrer „Arbeit“ noch gehindert werden. Sie brauchen einen Kinderausweis und dürfen nur in Beteiligung eines Erwachsenen über die Grenze. Ein Problem stellt das allerdings auch nicht dar: spätestens der dritte angesprochene, x-beliebige Erwachsene nimmt sie mit in den Westen.

Es muß bloß aufgepaßt werden, ob man auch die richtigen Flaschen anbringt: Pfand gibt es im Westen nur für eine bestimmte, die kleine klassische Berliner Flasche. Bei anderen Formen, wie der am Hals geriffelten Brauseflasche oder der großen Bierflasche, kann es einem schon mal ergehen wie dem kleinen Moritz aus Pankow, dessen Flasche eine Kassiererin bei Reichelt laut lachend ablehnte: „Für 'ne Ost -Flasche West-Jeld: det haste dir so jedacht! Ha, ha, ha!“

Keiner der gewitzten Berliner ist bisher bei dem kleinen Export-Export aufgefallen, weder beim Ost-Zoll noch in den West-Läden. Nur wenige betreiben diesen Kommerz „professionell“, und der Trick hat sich noch nicht herumgesprochen.

Eine Anzahl von Berlinern klatschten zwei Fliegen mit einer Klappe: Zu Besuchen der West-Verwandtschaft bringen sie oft Nahrungsmittel und auch Getränke mit. So stehen sie als „ordentliche Ostler“ da, die den Tanten und Neffen nicht auf der Tasche liegen, und verdienen sich obendrein noch ein paar Westgroschen. Doch spätestens am 2.Juli heißt es „Rien ne va plus!“

Peter Töpfer

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