: Neue Kulturfabrik am Kietzer Feld
■ Initiativgruppe „eroberte“ Fabrikruine für eine Oase in der „Kulturwüste“ / Rat des Stadtbezirks engagierte sich für die InitiatorInnen und zahlte 30.000 Mark Starthilfe / Künftig gibt es ein Kulturhaus in Köpenick
Köpenick. Mitten in der Karlstraße, im erst kürzlich fertiggestellten Neubaugebiet „Kietzer Feld“, befindet sich eine Ruine. Leere Fensterhöhlen, bröckelnder Putz - eine teilweise noch erkennbare Schrift unter dem Dachsims weist das baufällige Gemäuer als eine ehemalige Möbelfabrik aus. Doch die Tristesse ist gestört. Bunte Fahnen hängen aus den Fensterlöchern, ein Transparent verkündet: „Hier entsteht ein Kulturzentrum - Für alle zwischen drei und 83!“
Irgendwann im Oktober hatten die Kulturwissenschaftlerin Birgit Grimm und die Tanzpädagogin Jutta Schönherz die Idee, ein alternatives Kulturzentrum zu gründen. Birgit Grimm damals noch Angestellte des Kreiskulturhauses Lichtenberg wollte die eingefahrenen Geleise kommunaler Kulturarbeit verlassen, den in der DDR etwas anrüchigen Begriff „Volkskunst“ wieder auf seinen ursprünglichen Wortsinn zurückführen. Sie erarbeitete ein Konzept und legte es dem Rat des Stadtbezirkes vor. Nicht in streng abgeteilten Zirkeln sollte gearbeitet werden, sondern genreübergreifend
-die Kreativität der Mitmachenden sollte nicht nur in eine vorgegebene Richtung geleitet werden, Spontaneität ist gefragt.
Die Stadtbezirksväter nickten erfreut über diese lobenswerte Initiative; sie nickten von November '89 bis März '90 - ohne jedoch dadurch die so dringend benötigten Räumlichkeiten herbeinicken zu können. Zwar wurden den InitiatorInnen zwischenzeitlich ein paar Räume in einem für Verwaltungszwecke genutzten ehemaligen Schulgebäude angeboten, doch die waren nur an bestimmten Tagen und zu bestimmten Stunden zugänglich.
Die Gruppe - inzwischen verstärkt durch die Schriftstellerin Ingrid Weißbach, den Puppenspieler Martin Thoms sowie Klaus Wutzke, Leiter einer Selbsthilfegruppe für Suchtkranke - machte sich selbst auf die Suche. Sie entdeckten das halbverfallene Gebäude in der Karlstraße und beschlossen, es zu besetzen.
Ende März war es dann soweit. „Als wir da einzogen und Flugblätter verteilten, waren die Anwohner Feuer und Flamme. Manch einer fühlte sich zwischen den Plattenbauten sowieso schon viel zu lange wie in einer „Kulturwüste“. Innerhalb kurzer Zeit hatten wir dreihundert Unterschriften gesammelt, eine spontane Spendenaktion brachte uns vierhundert Mark ein“, erzählt Ingrid Weißbach. Man begann, das bislang vor sich hingammelnde Haus zu entrümpeln, brachte Fahnen und Transparente an. Mit der benachbarten Volkspolizei wurde ein Abkommen über eine Sicherheitspartnerschaft abgeschlossen.
Bei der Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) gab es Bedenken - lagen doch für dieses Objekt bereits sieben Anträge auf gewerbliche Nutzung vor. Die Handwerker, die dort einziehen wollten, boten sogar an, die Instandsetzungskosten immerhin 750.000 Mark - zu übernehmen. Doch im Gegensatz zu anderen Stadtbezirken entschied man sich in Köpenick für die Kultur. Der Runde Tisch befaßte sich mit der Angelegenheit, auch Bürgermeister Gleichmann fand an dem Projekt Gefallen.
Die Wohnungsverwaltung gewährte den „Besetzern“, die inzwischen den Status einer gemeinnützigen Vereinigung besitzen, zwei Monate Mietfreiheit - der Rat des Stadtbezirkes bezahlte 30.000 Mark als Starthilfe. Stadtbezirksbürgermeister Gleichmann: „Davon sind zwanzigtausend Mark für sofortige Baumaßnahmen bestimmt neue Fensterscheiben, Installation von Sanitäranlagen und elektrischen Leitungen. Die restlichen 10.000 sind für die Projektierung vorgesehen.“
Zu Ostern fand vor dem Haus das erste Kinderfest statt, in den noch halbwegs intakten Räumen treffen sich Puppenspieler zu ihren Proben, auch die Selbsthilfegruppe hat sich bereits einen Platz gesichert.
Der Runde Tisch von Köpenick beschloß auf seiner letzten Sitzung am 3. Mai, dem zukünftigen Rat des Stadtbezirks dringend zu empfehlen, das Projekt weiter zu unterstützen.
Olaf Kampmann
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