: „Wir hatten alle einen Haß auf alles“
■ Gespräch mit den Berliner Jugendlichen, die jetzt wegen Zerstörung jüdischer Grabstätten wieder vor Gericht stehen „Wir standen ganz schön unter Alkoholeinfluß und schönes Wetter war auch.“ / Schon im Gefängnis als rechte Heroen verehrt
Berlin - Rene K. wurde 1988 zu fünfeinhalb Jahren, Oliver zu zweieinhalb Jahren Jugendgefängnis verurteilt. Beide wurden am 12. März auf Bewährung entlassen.
taz: Ihr seid bestraft worden, weil Ihr zusammen mit drei Freunden fast 200 Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee beschädigt habt. Warum habt Ihr das gemacht?
Oliver: Wir standen ganz schön unter Alkoholeinfluß und schönes Wetter war auch. Eigentlich sind wir nur auf den Friedhof, weil wir in so eine Gruft 'rein wollten. Wir wollten wissen, ob es in einer Gruft wirklich so schau ist, wie die Grufties es immer sagen. Wir haben aber keine Gruft gefunden. Da waren wir ganz schön geladen und frustriert. Da haben wir uns eben auf dem Friedhof abreagiert. Das lief unter uns ab wie in einem Wettstreit und hat mächtig Spaß gemacht.
Seid Ihr Neonazis, Rassisten oder Skins? Habt Ihr was gegen Juden?
Rene: Waren wir nie, nur eine Gruppe, die sich schon lange kannte und die alle so einen Haß auf alles hatten. Warum sollen wir was gegen Juden haben, es gibt ja gar keine mehr.
Warum habt ihr euch einen jüdischen Friedhof ausgesucht, warum keinen anderen?
Hatten wir doch. Wir waren noch auf zwei anderen Friedhöfen und hatten dort auch Grabsteine umgeschmissen. Bei dem Prozeß sagten die aber, das interessiert uns nicht, das wird nicht verhandelt. Das war es dann, es ging nur um die Sache mit dem jüdischen Friedhof. Uns sollte eben ein Schauprozeß gemacht werden.
Wußtet Ihr, daß die Beschädigung von jüdischen Friedhöfen etwas ganz besonders Heikles ist? Die Ruhe der Toten darf bis zur Auferstehung des Messias nicht gestört werden, und Vandalismus an jüdischen Gräbern wird heute immer als antisemitische Ausschreitung ausgelegt.
Oliver: Nee, von den Juden wußten wir gar nichts, wir konnten uns das gar nicht vorstellen, daß es da so eine besondere Tradition gibt. Der Friedhof sah für uns nur wie ein Schlachtfeld aus, da war ja alles verwildert und ungepflegt.
Habt Ihr von den Friedhofsschändungen in Frankreich gehört?
Rene: Ja, da waren wir ganz schön fertig. Das war ja kurz vor unserer Kassationsverhandlung und natürlich haben wir Angst, daß die Stimmung jetzt gegen uns schlägt. Daß das so in einen großen Zusammenhang gestellt wird. Das wurde damals bei dem Urteil auch gemacht. Kurz vor dem Prozeß tauchten vor der Synagoge antisemitische Flugblätter auf. Damit sollte abgerechnet werden. Wir haben das abgekriegt.
Habt Ihr Euch im Gefängnis mit den nationalsozialistischen Judenverfolgungen und mit der Geschichte der Juden beschäftigen können?
Oliver: Nee, eigentlich nicht. Im Gefängnis lernt man nur Mist. Ich wollte was über die Juden lernen und hatte aus der 'NBI‘ so einen Fortsetzungsbericht über die Fernsehsendung „Der gelbe Fleck“ gesammelt. Und das fand ich ganz interessant. Das hat dann der Wärter gefunden und dann haben die gleich so eine fette Aussprache draus gemacht, daß ich immer noch nichts gelernt habe, daß ich unbelehrbar bin. Dabei war das gar keine Hetze, die hatten keine Ahnung. Keiner hat Ahnung.
Habt Ihr Angst, daß Ihr von den Skins oder Neonazis als rechte Heroen vereinnahmt werdet?
Rene: Das wurden wir schon im Gefängnis. Da saßen Leute, die haben sich alle Presseausschnitte über uns an die Wand gepappt. Da waren wir die dicken Vorbilder, die es den Juden mal gezeigt haben. Wie das jetzt wird, weiß ich nicht.
Seid Ihr politisch, zählt Ihr Euch zu den Rechten?
Oliver: Ach, es gibt andere Probleme. Sicher ist aber, wir und die Leute, die wir kennen, haben ganz schön Probleme mit den Linken und den Autonomen. Neulich kamen sie mit Latten und wollten uns verprügeln.
Weil Ihr Oliver und Rene seid, oder weil Ihr mit Leuten zusammen seid, die Skins sind oder wie solche aussehen?
Oliver: Die Autonomen denken, daß jeder, der eine Bomberjacke anhat und kurze Haare trägt, ein Skin ist. Noch wissen die Autonomen nicht, wer wir sind, aber wenn die das rauskriegen, sieht es nicht gut für uns aus.
Interview: Anita Kugler
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