: Leuchtschrift im Darkroom
■ Rosa von Praunheims Aids-Trilogie geht ab heute auf Tour
Die Aidszeit in den Medien ist vorbei, die Skandale sind erzählt, die Toten gezeigt, die Aufklärung erledigt der Fernsehspot. Und: Der Einbruch der Krankheit in die heterosexuelle Mehrheit hat nicht stattgefunden. Die, die immer noch erkranken und sterben, sind Schwule und FixerInnen, damit läßt sich leben.
Jetzt ist Rosa von Praunheim, der einzige Schwule, den die Republik kennt, wieder angetreten, dem Thema eine neue Öffentlichkeit zu geben. Gedreht hat der Filmemacher eine „Aids-Trilogie“, drei Streifen über die Krankheit und den Umgang damit in New York und Berlin. Bundesweit starten die Filme diese Woche in den Kinos der Großstädte, begleitet von Show- und Diskussionsprogrammen. Später geht es damit auch nach Leipzig und Amsterdam.
Positiv und Schweigen Tod berichten über den Kampf der Selbsthilfegruppen und schwuler Künstler in New York gegen die tödliche Krankheit. Da schreit ein Künstler, David Wojnarowicz, seine ganze Wut über das Elend heraus in einem Text ohne Maß, und die militante Aktionsgruppe „Act Up“ wird gezeigt, wie sie Staat, Kirche und Pharmaindustrie den Kampf ansagt. Im letzten Film der Trilogie, Feuer unterm Arsch - Vom Leben und Sterben in Berlin, gibt Praunheim vor, die kontroversen Positionen der Safer-Sex und Selbsthilfeaktivisten im Widerpart zu den Unverbesserlichen in Szene zu setzen. Da wird einer vorgestellt, der einen schwulen Sportverein gegründet hat und einen Männerchor, ein anderer hat sein drittes Coming out - nach Homo und Tunte als Positiver -, die Berliner Version des New Yorker „Act-Up„-Vorbildes kommt ins Bild, und „Tornado„-Kabarettist Günther Thews, selbst an Aids erkrankt, plädiert für Phantasie mit Kondom und rät allen „Verlierertypen“: „Präser weglassen. Überhaupt erst keinen kaufen.“
Doch diesen nach Praunheimscher Rechnung wenigen Aktiven, die das Richtige tun, stehen jene massenhaft gegenüber, die ihre „Party“ weiterfeiern in Berlin. Dreien dieser Counterschweine gibt von Praunheim im Film Namen und Gesicht: dem AL-Abgeordneten Dieter Telge, dem Journalisten Matthias Frings und dem Sexualwissenschaftler Martin Dannecker. Sie reden von Selbstverantwortung und freier Entscheidung, sprechen gegen Safer Sex als neue Gruppennorm und gegen Aids als neue Schwulenidentität. Das macht sie zu „Kriminellen“, so Praunheim, die es zu bekämpfen gilt, und zu „Schuldigen am Tod von vielen Unschuldigen“.
In der neuesten Ausgabe des 'Spiegel‘ gar - ganz Apokalyptiker und Katastrophentheoretiker - darf Praunheim sich ein paar Gauweilers mehr in diesem Lande wünschen, damit Schluß ist mit diesen triebhaften Schwulen, die nur den „anonymen Fick“ kennen und die „Hamburgersexualität“, die dem „faschistischen schwulen Männerkult“ frönen und hemmungslos die Großstadtnächte durchforsten als „Cowboys und Rocker“. Für sein erklärtes Ziel, Leben zu retten, ist Praunheim alles recht: Da wird denunziert und der 'Spiegel‘ für seine umstrittene Aids-Berichterstattung gelobt, schließlich „hat er mehr Leben gerettet als die Verharmloser aus der Scene“. Und das Plakat zur Trilogie-Tournee ziert ein Zitat des New Yorker „Act-Up„-Aktivisten Larry Kramer: „Aids ist unser Holocaust, und Reagan ist unser Hitler. New York ist unser Auschwitz.“
Mit Feuer unterm Arsch und der medialen Begleitmusik hat Praunheim das Terrain der Polemik und Provokation verlassen, den Schwulen ist der Kampf angesagt. Nicht von Gauweiler und Co., den Part hat jetzt Rosa von Praunheim übernommen.
eka
taz: Du hast mal gesagt, du willst nicht geliebt werden. Wie Ernst war es dir damit?
Rosa von Praunheim: Das ist wohl so in meinem Charakter, und das prägt auch meine Arbeit. Meine Methode ist nicht die, daß ich um Sympathie werbe. Ich will eher Fronten schaffen. Ich greife immer erst einmal an, um damit zu provozieren. Mein erster Film Nicht der Homosexuelle ist pervers... ist ja entstanden aus einem ungeheuren Haß heraus, ein Haß auf die konservativen Schwulen, auf ihre Feigheit, auf ihre unpolitische Haltung.
Welcher Haß hat dich bei deinem neuen Film Feuer unterm Arsch geleitet?
Bei diesem Film ist das etwas anders. Ich hatte ursprünglich überlegt, ob ich nicht meine persönliche Geschichte in der Aids-Krise aufzeigen sollte und dabei ganz parteiisch meine Wut rausschreie, meine Wut gegen die linken Schwulen und die Sexualwissenschaftler, die die Aidsgefahr immer nur runtergespielt haben. Ich war ja immer eher auf seiten der bürgerlichen Presse und hatte nichts gegen Panikmache und Hysterie, denn das kann ja in gewissem Maße Leben retten. Ich finde ja so Leute wie Gauweiler nicht schlecht, die provozieren uns und zwingen uns zu reagieren. Bei Feuer unterm Arsch habe ich aber dann meine persönlichen Wutschreie zurückgehalten und mehr Wert darauf gelegt, Leute zu zeigen, die konstruktiv Beispiel dafür geben, daß sie durch ihren persönlichen Einsatz etwas machen, etwas verändern.
Das machst du aber um den Preis, daß du andere, wie Dannecker, Frings und Telge, im Film als Gegenfiguren aufbaust und mit ihren Haltungen denunzierst.
Ich denke, ich bin sehr fair mit den dreien umgegangen, ich habe sie ja nicht kommentiert. Die Haltung der drei finde ich kriminell, und ich muß sie bekämpfen. Das ist doch geradezu Aufforderung zum Mord in der jetzigen Situation, nach Öffnung der Grenzen von Selbstverantwortuung zu sprechen, wo die Leute das einfach nicht können. Da kommen junge Leute aus Rostock hierher in eine Szene, wo Frings und Telge den Ton angeben und ein theoretisches Modell von Eigenverantwortung predigen, das einfach nicht machbar ist. So ein Satz von Frings „Jeder hat das Recht auf Aids“ ist ein wunderbarer Satz, aber in dem Moment, wo du die Infektion hast, was ist dann? Da hilft doch nur die Prävention.
Du kannst doch nicht den Genannten unterstellen, daß sie jede Neuinfektion billigend in Kauf nehmen.
Doch, das tue ich. Deren Haltung ist eine Mithilfe zum Mord und zum Totschlag. Ob diese Haltung nun Blödheit oder theoretischer Überlegung entspringt, ist mir egal. Man kann doch einen rein theoretischen Freiheitsgedanken nicht höher setzen als das rein Praktische, das Leben rettet. Ich bin unheimlich sauer auf Dannecker, der seit Beginn der Aidskrise das Utopische einer freien Sexualität immer höher angesiedelt hat als das praktische Bemühen, Leben zu retten. Ich glaube, das interessiert den gar nicht.
Was schlägst du denn praktisch vor?
Ich will, daß an den Orten, wo Sexualität gemacht wird, auf fantasievolle Weise, ohne Verbote und repressive Regeln, über Safer Sex informiert wird. Warum kann eine Theatergruppe zum Beispiel nicht bei Kerzenlicht in den Darkrooms Sketche aufführen? Man kann auch Safer-Sex-Plakate in Leuchtschrift in die Dunkelräume hängen. Warum kann man nicht im Schwulenzentrum um Mitternacht mal eine Minute darüber reden, wer gerade gestorben ist?
Wie stellst du dir Sex unter Männern heute vor?
Meine Hauptfrage dagegen ist: Warum definieren wir schwulen Männer uns nur über Sex? Wenn ich da von mir ausgehe, muß ich sagen, daß ich ungeheuer promisk lebe. Ich habe wahnsinnig viel Sex und finde das sehr problematisch. Das war auch schon so vor Aids. Das ist ein großer Konflikt: Auf der einen Seite habe ich das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Nähe, und andererseits erlebe ich in der schwulen Welt Sexualität nur als Mittel, um den anderen wieder loszuwerden. Ich selbst bin in diese promiske Haltung reingerutscht und finde das oft fatal, weil ich das selber nicht mehr kontrollieren kann. Deshalb wünsche ich mir wieder mehr Kommunikation unter den Schwulen, daß wir miteinander reden, vor allem an den Orten, wo wir miteinander Sex haben, vor allem beim Sex selbst. Und daß wir mehr miteinander reden und diskutieren, ist natürlich jetzt in der Aidskrise um so zwingender.
Wenn dies dein Anliegen ist, dann trägst du mit deinem neuen Film überhaupt nicht dazu bei. Du verschärfst die Debatte so, daß kein gemeinsames Reden mehr möglich scheint.
Mir geht es darum, Leben zu retten. Auch wenn ich noch so unpopulär werde dabei und bis an mein Lebensende beschimpft werden sollte, nur weil es den Schwulen nicht paßt, daß sich jemand in der Weise damit auseinandersetzt. Bitte, wenn es dennoch so ist, dann ist es so.
Du zitierst Larry Kramer, der die Situation in New York mit Auschwitz vergleicht, der meint, daß Aids unser Holocaust sei. Wird durch solcherart Vergleiche nicht die systematische Vernichtung der Juden im Nazi-Deutschland auf unzulässige Weise verharmlost?
Das finde ich überhaupt nicht. Ich denke, daß wir uns bewußt sein müssen darüber, daß dieser Verlust von unheimlich vielen Leuten aus den eigenen Reihen doch der Situation unter den Juden damals sehr ähnlich ist. Wir dagegen in Deutschland wollen nicht sehen, daß so viele unserer Freunde verschwinden. Wir wollen uns nicht bestätigen lassen damit. Wir steuern auf eine Situation zu, die sich mit der damaligen vergleichen läßt, die steigenden Infektionszahlen sprechen dafür, daß immer mehr sterben, und wir fangen an, uns damit zu arrangieren, so wie die Schwulen damals im Dritten Reich sich damit arrangiert haben, daß ihre Freunde verschwunden sind. Larry Kramer wollte mit diesen Vergleichen bewußt provozieren, um zu erreichen genau wie ich -, daß wir anfangen, uns bewußt unserer Situation zu stellen und Verantwortung dafür zu tragen. Das ist doch nur ein letzter verzweifelter Aufschrei, damit endlich was passiert.
Interview: Elmar Kraushaar
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