: Schröders plötzlicher Wettlauf mit der Zeit
SPD und Grüne wollen Regierungswechsel in Niedersachsen noch vor der Bundesratssitzung zum Staatsvertrag / CDU kann die Ministerpräsidentenwahl am ersten Tag der neuen Legislaturperiode kaum verhindern / Chancen für eine rot-grüne Koalition in gestiegen ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Bereits am 21.Juni und damit zum frühestmöglichen Termin soll Gerhard Schröder zum neuen niedersächsischen Ministerpräsidenten gewählt werden. Eine Wahl Schröders am Tag vor der Abstimmung im Bundesrat über den Staatsvertrag mit der DDR streben sowohl die SPD-Fraktion als auch die Grünen im niedersächsischen Landtag an. Heute Nachmittag werden in Hannover die Verhandlungen über ein rot-grünes Bündnis beginnen. Nach Auffassung der Juristen der Landtagsverwaltung hat weder die CDU-Opposition noch der jetzige CDU-Landtagspräsident die Möglichkeit, eine konstituierende Sitzung des neuen niedersächsischen Landtages am ersten Tag der Legislatur und damit eine Ministerpräsidentenwahl am 21.Juni zu verhindern. Mit der frühestmöglichen Wahl von Gerhard Schröder soll verhindert werden, daß ein Ministerpräsident Albrecht ohne Mehrheit und auf Abruf noch am 22.Juni der CDU die Bundesratsmehrheit verschafft.
Der Grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin nannte gestern den Versuch der CDU, die Wahl Schröders am 21.Juni zu verhindern, einen „offensichtlichen Verfassungsbruch“. Ein Viertel der Abgeordneten könne ein Zusammentreten des neuen Landtages durchsetzen. Nur die neugewählte Regierungsmehrheit dürfe das Land in der Bundesratssitzung am 22.Juni vertreten.
Unter Berufung auf den bisherigen Landtagspräsidenten, Edzard Blanke (CDU), der noch die konstituierende Sitzung einberufen muß, hatte der CDU-Fraktionsvorsitzende Jürgen Gansäuer am Dienstag angekündigt, daß seine Fraktion eine erste Sitzung des neuen Landtages am 21.Juni verhindern werde. Die Landtagsjuristen haben inzwischen allerdings dieser Auffassung Gansäuers widersprochen. Der jetzige Landtagspräsident sei verplichtet, die konstituierende Sitzung am 21.Juni einzuberufen, wenn mindestens ein Viertel der 155 Abgeordneten des neuen Landtages dies früh genug verlange, sagte der Sprecher der Landtagverwaltung gestern. Zumindest die 100 direktgewählten Abgeordneten des neuen Parlaments würden schon ab 1.Juni den Abgeordnetenstatus besitzen. Damit könnten die 61 direkt gewählten Abgeordneten der SPD eine Sitzung am 21.Juni durchsetzen. Ein umfängliches Gutachten des Gesetzgebungs- und Beratungsdientes dazu sei in Arbeit, sagte der Landtagsprecher.
Die Aussichten für ein rot-grünes Bündnis in Niedersachsen sind durch den Streit um die Ministerpräsidentenwahl und Bundesratssitzung noch einmal kräftig gestiegen. „Die SPD will die Bundesratsmehrheit, und die kann sie nur über Rot -Grün bekommen“, sagte der Grüne Trittin gestern. Bei einem sozialliberalen Bündnis in Niedersachsen müßte die SPD die Bundesratsmehrheit Graf Lambsdorf überlassen. Dies hätten wohl inzwischen auch die Sozialdemokraten begriffen. Außerdem lasse die Festlegung der SPD auf den 21.Juni als Termin für die Ministerpräsidentenwahl keine Zeit mehr „für ein Pokern mit der FDP“.
In Kreisen der SPD Landtagsfraktion scheint man inzwischen richtig froh darüber zu sein, daß die FDP das Verhandlungsangebot der SPD noch einmal ablehnt hat. In den Augen der Öffentlichkeit sei nun die FDP selbst schuld, wenn es in Niedersachsen zu Rot-Grün komme, hieß es gestern.
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