: „Wir werden erheblichen Ballast abwerfen“
Dr. Karl Enders, Leiter der Hauptabteilung Umweltschutz beim Chemiekombinat Bitterfeld (CKB), über die Zukunftschancen seines Unternehmens ■ I N T E R V I E W
taz: Herr Enders, hat der Chemiestandort Bitterfeld noch eine Zukunft?
Enders: Der Standort Bitterfeld muß auf jeden Fall erhalten bleiben. Schon deshalb, weil nur wir in der Lage sind, die hier entstandenen Lasten und Altlasten zu sanieren. Dazu brauchen wir vor allem eine zentrale Kläranlage. Wenn die einmal steht, kommen hier zumindest keine neuen Lasten dazu. Damit wäre eines der Hauptprobleme gelöst. Eine Rückstandsverbrennung und eine Sondermülldeponie würden das zweite Problem der anfallenden Abprodukte lösen. Dann bliebe noch die Luftreinhaltung, die aber auch zu packen ist.
Aber ihre gesamten Produktionsanlagen sind doch völlig veraltet und verschlissen.
Wir müssen zuallererst alte, verschlissene Betriebe eliminieren. Da gibt es nur eines: stillegen. Wir planen bislang 25 Produktionseinstellungen und sechs Produktionsreduzierungen. Wir werfen also erheblichen Ballast ab. Und das ist erst der Anfang. Denn mittelfristig brauchen wir neue Anlagen, bei denen die Ökologie von Anfang an in den Produktionsprozeß integriert ist.
Werden Ihre Stillegungen und Bereinigungen ausreichen, um die dramatische Umweltsituation in Bitterfeld wirklich grundlegend zu ändern?
Die Sofortmaßnahmen unseres Kombinats haben sich schon jetzt ausgewirkt. Wir werden bis Mitte 1991 die Belastung der Luft um 30 Prozent reduzieren. Beim Wasser sind wir um zehn bis 15 Prozent besser. Bei den Abprodukten werden wir 20 bis 30 Prozent weniger toxische Stoffe auf die Kippe bringen. Für die Bevölkerung ist es besonders wichtig, daß wir einige geruchsintensive Stinker stillegen.
Zur Nachrüstung in Bitterfeld haben Sie einmal gesagt, daß man einer Leiche nicht auch noch goldene Taschenuhren hinterherwerfen sollte...
Damit habe ich konkret die beiden Quecksilber-Alkali -Elektrolysen gemeint, die die Elbe mit jährlich fünf Tonnen Quecksilber belasten. Das ist wahrscheinlich die höchste Umweltbelastung in derDDR überhaupt. Die ursprünglich geplante Nachrüstung ist dann ja auch fallengelassen worden, denn beide Anlagen sind tatsächlich Leichen. Die erste wird jetzt im April 1991 stillgelegt, die zweite wahrscheinlich Ende 1991.
Sie hatten bisher schon erhebliche Grenzwertüberschreitungen. Wie wollen Sie denn nach der Vereinigung die strengeren BRD-Grenzwerte einhalten?
Wir können nicht von heute auf morgen alles ändern. Um neue Anlagen und Betriebe aufzubauen, brauchen wir Jahre. Neben den Sofortmaßnahmen und Still legungen sind weitere 41 Maßnahmen bis hin zu völlig neuen Produktionslinien geplant. Mit diesen Effekten werden wir dann die Luftbelastung um bis zu 70 Prozent reduzieren. Und wir werden durch eine moderne Abproduktverbrennung und Deponierung die Normen der BRD einhalten. Der Zeithorizont dafür heißt 1995.
Das bedeutet eine Grenzwertüberschreitung bis 1995.
In der Übergangszeit muß man uns eine Ausnahmeregelung zubilligen. Sie dürfen nicht vergessen, daß wir jetzt auf einem Niveau starten, das die BRD-Chemie Anfang der 60er Jahre hatte.
Haben Sie Zusicherungen, daß diese Ausnahmeregelungen bewilligt werden?
Sie sind lebensnotwendig, weil sonst der Industriestandort Bitterfeld passe ist. Auch bei Ihnen gab es ja für die Entschwefelung von Kraftwerken großzügige Übergangsfristen. Und man muß auch mal sehen, daß wir in Bitterfeld 40 Jahre lang etwa fünfmal soviel produziert haben wie im Schnitt jeder andere DDR-Bürger. Diese enormen Werte sind aber weggeflossen nach Berlin, in den Straßenbau und sonstwohin. Die Reproduktionskraft dieses Raumes ist also jahrzehntelang unterlaufen worden. Nur deshalb ist der Verschleiß in diesem Ausmaß entstanden. Für 60 Prozent unserer Produkte waren wir Alleinhersteller. Da wurde nicht lange nach Ökonomie oder Ökologie gefragt. Wir mußten sie einfach herstellen.
Glauben Sie im Ernst, daß die Bevölkerung mit Ihrem Sanierungsprogramm zufrieden ist, wenn in den nächsten fünf Jahren die geltenden Grenzwerte weiterhin überschritten werden?
Große Teile der Bevölkerung werden das akzeptieren. Aus Sorge um den Arbeitsplatz überwiegt der Wunsch, den Standort beizubehalten. Natürlich müssen wir der Bevölkerung spürbare Anzeichen für den Wandel zu einer sauberen Chemie bieten.
Wirklich sauber wird die Chemie niemals werden. Auch bei uns gibt es reichlich Unfälle...
Keine Industrienation kann es sich leisten, auf die Chemie zu verzichten. Deshalb muß man uns eine neue Chance geben. Was wollen Sie denn sonst mit Bitterfeld machen. Wollen Sie einen Zaun rumziehen und ranschreiben „Niemandsland“?
Wie viele Arbeiter müssen Sie wegen der Stillegungen entlassen?
Wir müssen bis Ende 1991 etwa 1.300 Kräfte freisetzen. Das ist noch zu verkraften, weil gleichzeitig viele Betriebe unterbesetzt sind. Dazu kommen noch Freisetzungen in vielen Zulieferbetrieben. Das geht bis zum Küchenpersonal. Wir brauchen auf jeden Fall Preisstützungen, sonst wird die Zahl der Freisetzungen gravierend. Für unsere energieintensiven Produktionen brauchen wir weiterhin Stromsubventionen, sonst müssen wir einige zentrale Anlagen eventuell stillegen. Dann wird es große Probleme geben.
Probleme wird es auch geben, wenn Ihr Unternehmen auf dem Markt konkurrieren muß.
Bisher hatten wir eine zentralistische Kommandowirtschaft, bei der wir unser Betriebsergebnis zurechtfrisieren konnten. Jetzt stehen wir plötzlich mit der Spitze der Welt im Konkurrenzkampf. Dem können eine Reihe von Produkten nicht standhalten. Die 25 Anlagen werden deshalb nicht nur aus ökologischen Gründen stillgelegt, sondern auch aus ökonomischen. Bei vielen Produkten, bei Farbstoffen, Ionenaustauschern, Pflanzenschutzmitteln können wir mithalten. Aber wir müssen auch hier investieren, um die Qualität zu erhöhen. Und dazu brauchen wir Kredite. Daß der 1. Juli und die Stunde Null erhebliche Probleme bringen werden, ist klar. Sie dürfen aber auch nicht vergessen, daß wir in Osteuropa einen erheblichen Markt haben.
Wie läuft die Kooperation mit westlichen Firmen?
Gut, mit allen großen der BRD-Chemie.
Aber so richtig einsteigen will niemand, weil potentielle Interessenten die Probleme samt Altlasten gleich mitkaufen würden.
Es will uns niemand en bloc kaufen. Es wird jetzt bei einzelnen Produktionsstrecken kooperiert. Bei Pflanzenschutzmitteln zum Beispiel.
Es gibt Befürchtungen, daß die DDR die dreckigen Bereiche der Chemie übernehmen soll, für die es in der BRD keine Akzeptanz mehr gibt.
Es wäre blauäugig, das zu bestreiten.
Sind Sie denn insgesamt mit den Hilfen und Kooperationen aus dem Westen zufrieden?
Konkrete Hilfsangebote sind bisher nur in der Form gekommen, daß man uns bestimmte Techniken angeboten hat. Natürlich gegen entsprechende Bezahlung. Da hat keiner was zu verschenken. Wir brauchen auf jeden Fall Geld, Steuervergünstigungen, Kredite, Zuschüsse, die uns von de Maiziere auch versprochen wurden. Nur wenn diese finanzielle Unterstützung kommt, kann Bitterfeld wieder lebenswert werden und als Standort überleben.
Interview: Manfred Kriener
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