: Die Altanlagen sind bis in die Fundamente zerstört
Cord Schwartau vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) analysiert Entwicklung und Zustand der Chemieindustrie der DDR / Sein Fazit: die Altanlagen der Chemiegiganten sind nicht zu retten / Nachsorgender Umweltschutz hat hier keinen Sinn / Nicht in die Unternehmen, sondern in die Menschen muß investiert werden ■ Von Cord Schwartau
Braunkohle, Salz und sauberes Wasser, das waren die Gründe dafür, zwischen den beiden Weltkriegen im Raum Halle-Leipzig die Produktion chemischer Grundstoffe anzusiedeln. Im Kriege brauchten die Nationalsozialisten dieses Revier um in der Treibstoffversorgung autark zu sein. Die Braunkohlenschwelereien zwischen Leipzig und Altenburg und die Teerhochdruckhydrieranlagen in Leuna und Zeitz wurden in dieser Zeit ausgebaut.
Die Wirtschaftsführung der DDR übernahm nach dem Kriege diese Anlagen und bis weit in die 60er Jahre wurden die Kraftfahrzeuge der DDR noch mit Braunkohledestillaten betankt. Die Grundstoffchemie basierte weiter auf Rohstoffen, die seit Jahrzehnten die Gewässer und die Luft dieser Region in unerträglichem Maße verschmutzen. Die Anlagen der Kohlechemie, die bei uns schon lange dem Wettbewerb der Petrochemie unterlegen sind, wurden in der DDR für das Wachstum der Chemie noch gebraucht. Stillegungspläne wurden nur halbherzig durchgeführt und verschwanden im Zuge steigender Ölpreise in den Schubladen der Planer. Dennoch wurde vor Ort in die verrotteten Anlagen nicht mehr investiert. Allen Fachleuten in der DDR war längst klar, daß hier Relikte aus der Urzeit auf dem Rücken der hart arbeitenden und dort lebenden Menschen überdauerten.
Nun schlägt ihre letzte Stunde. Saale und Mulde, Pleiße und Weiße Elster sind lebensbedrohende Kloaken und die Luft in Halle-Leipzig zerstört den Lebensraum von Mensch und Tier, läßt historisch wertvolles Kulturgut verrotten. Die Altlasten schrecken zudem selbst hartgesottene Investoren. Eine der erfolgreichsten Wachstumsbranchen der Bunderepublik Deutschland, die vor Liquidität strotzt, fühlt sich angesichts dieser ökologischen Zeitbomben überfordert.
Fast zwei Millionen Tonnen Schwefeldioxid entweicht den Schornsteinen dieser Region. Die Chemie braucht jährlich etwa 35 Millionen Tonnen Braunkohle als Rohstoff, dazu aber, was vergleichsweise weniger beachtet wird, noch ein Vielfaches an Braunkohle zum Betrieb der Industriekraftwerke, für die Chlor- und Aluminiumelektrolysen und die Karbidöfen in Leuna, Buna, Bitterfeld und Piesteritz.
Die Monopolisierung der Wirtschaft durch die Bildung von Kombinaten hatte zwar für diese den Vorteil, daß sie als Staat im Staate und wegen der Bedeutung der chemischen Industrie in einer modernen Wirtschaft ihre Macht ausbauen konnten, doch litten sie gleichzeitig darunter, daß sie nicht wie ihre Schwestern am Rhein in gewinn- und zukunftsträchtige Verarbeitungszweige ( wie z.B. Farben, Kosmetik und Pharmazeutika) diversifizieren durften.
Die chemische Industrie wuchs also in den konservierten Strukturen. Die Erdölverarbeitung wurde nur deshalb bevorzugt gefördert, weil man auf steigende internationale Rohölpreise setzte. Der von der UdSSR zu Vorzugskonditionen gekaufte Rohstoff wurde zu Grundstoffen verarbeitet, die sich dann im Westen gegen Devisen leicht verscherbeln ließen. Die alte Führung der rohstoffarmen DDR spekulierte einseitig auf steigende Rohstoffpreise, ließ aber keine Gelegenheit aus, die bösen preistreibenden Kartelle der westlichen Welt ideologisch anzuschwärzen.
Fallende Rohstoffpreise ließen diese Spekulationen platzen und lähmten offenbar die Wirtschaftskraft des Landes so, daß der ökologisch und ökonomisch längst fällige Ausstieg aus der Braunkohle weiter vertagt wurde. Dabei wirkt auch die Autarkiedoktrin noch weiter. Als in der Karbidfabrik in Buna, einem Ort schlimmster Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, auf tragische Weise Arbeiter ums Leben kamen, wurde nur nach Schuldigen gesucht und ausgerechnet, wieviel Arbeitsplätze in der Verarbeitenden Industrie von den Erzeugnissen des „Karbidstranges“ abhängen. Im profitablen Westen wäre die Antwort klar ausgefallen, denn Karbid als Rohstoff ist sofort ersetzbar, der Stoff der daraus letztendlich entsteht übrigens auch. Auf der Basis von Braunkohlen, Salz und Energie entsteht der Kunststoff PVC, wenn man dem aus Karbid gewonnenem Acetylen Chlor aus den ökologisch ebenso unerträglichen Quecksilberelektrolysen hinzufügt.
Selbst nach Öffnung der DDR hatte man nicht den Mut, mit der Umprofilierung der Produktionsstruktur in Richtung hochwertiger chemischer Spezialitäten zu beginnen, um in Jahrzehnten Versäumtes nachzuholen.
Kein nachsorgender Umweltschutz
Die Altanlagen sind nicht nur oberflächlich in einem maroden Zustand, sondern sie sind auch in ihrer Grundsubstanz, d.h. bis unter die Fundamente zerstört. Erst als in Bitterfeld die Werkstraßen unter der Last von Fahrzeugen zusammenbrachen war man gezwungen, zumindest in diesem Bereich die Kanalisation wieder in Ordnung zu bringen. Alle diese Chemiegiganten sind nicht durch den Bau von nach -sorgenden Kläranlagen zu retten, denn die Altanlagen entwässern unkontrolliert in den Untergrund, verseuchen diesen u.a. mit Teeren, Phenolen und Quecksilber. Nachsorgender Umweltschutz in diese Ruinen einer „großen“ chemischen Vergangenheit ist sinnlos. Deshalb darf an diesen Orten nicht einseitig in Unternehmen investiert werden. Investiert werden muß in den Menschen.
Wenn man kurzfristig 25% der Anlagen ersatzlos stillegt, sind mindestens 50% der Beschäftigten in diesem Raum betroffen, denn diese Anlagen gehören zu den unproduktivsten in der DDR, und fast jeder zweite Arbeiter ist hier ausschließlich mit Reparaturen beschäftigt. Erste Stillegungen, von denen schon Tausende kurzfristig betroffen sind sollten dennoch unverzüglich weitere nach sich ziehen. Der neue Umweltminister der DDR hat jüngst berichtet, daß mit dem Schwerpunkt in der chemischen Industrie rund 450 Betriebe mit einer Ausnahmegenehmigung noch die Gewässer verschmutzen „dürfen“ und daß in diesen Betrieben noch 68.000 Menschen beschäftigt sind.
Nimmt man die Beschäftigtenstruktur der chemischen Industrie der BRD als Maßstab für eine optimale Anpassung an Wettbewerbsbedingungen, dann stellt sich heraus, daß die chemische Industrie der DDR in vier von acht Industriezweigen relativ 75.000 Menschen zu viel beschäftigt. Das sind genauso viele, wie nach ökologischen Maßstäben kurzfristig arbeitslos werden müßten. Deshalb sollten diese Arbeitplätze sofort darauf überprüft werden, ob man sie nach Stillegung der Anlagen nicht auf Dauer ersatzlos streicht - selbst wenn dies im Raum Halle-Leipzig zu Problemen führt, vor denen man im Ruhrgebiet schon vor Jahrzehnten stand.
Alte Denkweisen
Selbst der neue Umweltminister der DDR, Karl-Hermann Steinberg, ist noch in alten Denkweisen gefangen. Er sieht immer noch Gefahren für die Kunststoffverarbeitung der DDR, wenn Grundstoffe ausfallen. Akribisch wird im Umweltministerium weiter aufaddiert, was bei Still legung ökologisch und ökonomisch unhaltbarer Anlagen an Umsätzen wegfällt und angeblich - durch zusätzliche Importe und wegfallende Gewinne - den Staatshaushalt zusätzlich belastet. So sollen auf diese Weise allein in Bitterfeld Kosten von einer Milliarde Mark entstehen, bei Produktionsreduzierung in der Karbochemie gar nochmals fünf Milliarden Mark jährlich. Kosten für zusätzliche Importe von Grundstoffen entstehen jedoch nur, wenn die Verarbeitung lohnt und dafür ist dann doch wohl der Staat nicht mehr zuständig.
Dauerarbeitslosigkeit kann in dieser Region allemal vermieden werden. Gerade in diesem Raum fehlen der DDR -Arbeitskräfte für den Aufbau einer Bau- und Umweltindustrie. Nötig ist ein regionales Förderprogramm, das aktive Bürgerbewegungen und -initiativen einbezieht. Warum sollten die fleißigen Chemiearbeiter, statt weiter die Umwelt zu belasten, nicht die viel sinnvollere Arbeit leisten können, die ganze Region von Altlasten zu befreien, da deren Ursachen zum großen Teil auch ein Ergebnis des faschistischen Krieges und seiner politischen Folgen sind.
Die Region hat es verdient. Bevor die Chemie hier einfiel, gab es hier Badeorte und Kuranlagen. Die Dome von Merseburg und Naumburg weisen ebenso auf frühere Größe, wie das schöne Schloß von Schkopau an der Saale.
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