: Frankreichs Juden gehen nach Israel
Friedhofsschändung in Carpentras ist Auslöser, nicht Ursache einer jüdischen Emigrationswelle Von den Tätern fehlt weiterhin jede Spur / Engagierte Lehrerin wurde von Antisemiten überfallen ■ Aus Paris A. Smoltcyk
2.000 französische Juden haben in der vergangenen Woche einen Antrag auf Emigration nach Israel gestellt. Normalerweise sind es etwa 50 pro Woche. Claude Leloum, Direktor der zuständigen „Agence Juive pour Israel“, sieht dabei in der Friedhofsschändung von Carpentras lediglich den Auslöser für eine Entwicklung, die schon seit einigen Monaten zu beobachten ist: „Es handelt sich bei diesen Zahlen nicht um eine Panik-Reaktion, sondern um eine Entscheidung nach reiflicher Überlegung. 20 Prozent der Juden in Frankreich geben an, an eine Übersiedlung nach Israel zu denken. Wenn das Fieber etwas steigt, wie jetzt nach Carpentras oder früher beim Jom-Kippur-Krieg, steigt auch die Zahl der Anträge bei uns. Mit einem Protest gegen Frankreich hat das nichts zu tun.“
In der westfranzösischen Kleinstadt Royan überfielen am Mittwoch vormittag zwei maskierte Männer eine Lehrerin, die eine Unterrichtsstunde über das Verbrechen von Carpentras gehalten hatte. Die 41jährige Frau wurde als „Drecksjüdin, Drecksaraberin“ beschimpft und bewußtlos geschlagen. Lehrergewerkschaften haben für heute zu einem einstündigen Solidaritätsstreik aufgerufen.
Gestern morgen wurden in St. Herblain, bei Nantes, Schmierereien auf fünfzig Gräbern entdeckt. Die Inschriften seien „verworren“, hieß es, manche hätten aber einen antisemitischen Klang.
In Carpentras fehlt trotz Verstärkung der ermittelnden Beamten bislang noch jede erfolgversprechende Spur von den Tätern. Fest steht, daß jener Sonnenschirm, mit dem ein jüdischer Leichnam durchbohrt wurde, von außerhalb auf den Friedhof gebracht worden war. Die Polizei ist auch auf der Suche nach einer großen Pariser Limousine, die Zeugen in der Nacht zum Mittwoch in der Nähe des Friedhofs gesehen haben.
Am Mittwoch wurden in Paris drei Sympathisanten der neo -nazistischen „Parti nationaliste fran?ais et europeen“ (PNFE) festgenommen. Sie werden verdächtigt, Sonntag nacht 32 Gräber auf dem jüdischen Teil des Friedhofs von Clichy -sous-Bois bei Paris mit Hakenkreuzen beschmiert zu haben.
In zahlreichen französischen Städten wurde auch gestern wieder gegen Antisemitismus und Rassismus demonstriert.
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