: Frankreich sitzt wieder auf dem Trockenen
Nach zwei regenlosen Wintern verzeichnen Wasserreservoire Tiefststand / Elektrizitätswerken geht der Strom aus In bretonischen Brunnen steigt der Nitratgehalt / Rationierung angekündigt / Umweltminister fordert Wasserpolizei ■ Aus Paris Alexander Smoltczyk
Frankreich-Touristen aufgepaßt! Es könnte sich in Zukunft empfehlen, bei der Fahrt in die Gascogne oder die Bretagne ausreichend Trinkwasser mitzunehmen, denn: „Wenn es in den nächsten zwei Monaten nicht regnet, müssen verschiedene Teile der Bevölkerung mit Wasserrationierung rechnen“, prophezeite unter strahlend blauem Himmel Landwirtschaftsminister Henri Nallet.
Wasserfreie Wochenenden für jedermann - so wie die autofreien von 1974, als das Öl zur Neige ging? Eines ist sicher: Nach mittlerweile zwei extrem warmen und trockenen Winterperioden droht besonders Südwestfrankreich ein ernstzunehmender Wassernotstand.
Bereits im letzten Jahr nippte das Land an der Katastrophe: 77.000 Hektar Wald wurden durch Brände vernichtet, Kanäle mußten gesperrt werden, AKWs standen monatelang still, weil das Kühlwasser von Rhone und Loire zu warm oder garnicht mehr vorhanden war. Die Stauwerke produzierten derweil statt Megawatt nur noch profane Fischbrut.
Ein Bericht des Premierministers beziffert den Stromausfall infolge der Dürre für 1989 auf 15.000 Megawatt. Die dadurch entstandenen Kosten werden auf 1,2 Milliarden Francs (400 Millionen DM) veranschlagt. Und weil der erhoffte Regen trotz des Berichts weiterhin ausblieb, erreichten die Wasserreservoire von Frankreichs Strommonopolisten EDF Ende Januar ihren tiefsten Stand seit einem Jahrzehnt. Die April -Schauer änderten auch nichts an der Misere, denn den spärlichen Tropfen blieb nicht genügend Zeit, ins Grundwasser abzusickern.
Ein von Premierminister Rocard am 26. April vorgelegter Aktionsplan sieht vor, daß EDF die Wasserreserven ihrer Stauwerke möglichst nicht zur Stromgewinnung verwenden, sondern für die dürstende Bevölkerung bereithalten solle. Gestern kündigte die Gesellschaft allerdings an, daß drei große Stauseen zu Bewässerungszwecken abgelassen werden. Um die Lichter nicht ausgehen zu lassen, laufen die thermischen E-Werke auf Hochtouren.
Doch bedenklicher als der Mangel an Wasser ist die Knappheit an sauberem Wasser. Denn selbst als die Januar -Stürme die Meere über die Ufer jagten, änderte dies nichts an der Trinkwasserknappheit. Im Gegenteil: das Hochwasser spülte den Kunstdünger ins Grundwasser. Viele bretonische Gemeinden mußten ihre Brunnen wegen Phosphat- und Nitratgehalten sperren, die teilweise um das zehnfache höher waren als die Euro-Norm vorschreibt.
Die niedrigen Pegelstände infolge der Trockenheit führen außerdem dazu, daß sich die Konzentrationen von Pestiziden in den Gewässern erhöhen. Mehrere Naturschutzgebiete melden bereits eine anormale Sterberate empfindlicher Arten.
So sind die Hauptverantwortlichen für den großen Durst nicht im Jenseits sondern in den Agrarfabriken zu suchen, mit deren Hilfe Frankreich seine Handelsbilanz ausgleicht. Jahrzehntelang wurde die Umstellung auf Gülle-intensive Schweineproduktion und wassersüchtige Futterpflanzen wie Mais gefördert. Überall, in der Bretagne wie in den Obstplantagen des Pyrenäenvorlands, wurde aus vollen Rohren bewässert und gesprengt, bis sich der Grundwasserspiegel abzusenken begann und neue Brunnen gebohrt werden mußten.
Umdenken, umschwenken, fällt naturgemäß schwer und schon gar angesichts der mächtigen französischen Agrar- und Chemielobby. Das Land ist nicht nur der Welt zweitgrößter Pestizidkonsument, sondern auch einer der größten Düngemittelproduzenten.
Seit Umweltminister Brice Lalonde es kürzlich als „nicht normal“ bezeichnete, daß die Bauern ohne jede öffentliche Kontrolle kostbares Grundwasser für ihre intensive Bewässerung verwenden, und er zudem noch eine Nitratsteuer forderte, herrscht zwischen Regierung und Großbauern kalter Krieg. Die Agrarier sehen in Bewässerung und Düngung die einzige Möglichkeit, die Preise marktfähig und niedrig zu halten. Lalonde ließ nicht locker und forderte am Donnerstag eine „Wasserpolizei“, um beispielsweise das völlig sinnlose Sprengen während der Mittagszeit zu unterbinden.
Die Wasserwerker der EDF sehen als einzigen Ausweg die zumindest saisonale Erhöhung des Wasserpreises. Nur: gerade Grundwasser hat keinen Preis. Falls alles schief geht und die Hochs weiter auf Frankreich lasten, bleibt immer noch der Griff zum Trinkwasser in Flaschen. Allein - drei Mineralwasserhersteller, darunter der Edelsprudler Perrier, mußten ihre Wässerchen schon in diesem Jahr vom Markt zurückziehen. Wegen Überdüngung.
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