: Eine Mauer der Ohnmacht
■ Zur Krise des entwicklungspolitischen Films in der BRD / Medienpädagogen und Dokumentarfilmer sehen sich vom Zeitgeist überrollt / „Dritte-Welt„-Länder entwickeln eigene Filmkultur
Die entwicklungspolitische Debatte, die einst auf einer breiten Basis geführt wurde, ist vielerorts verstummt. Gerade in den siebziger Jahren waren die „Verdammten dieser Erde“, die unterdrückten Völker Asiens, Afrikas und Leteinamerikas, Hoffnungsträger der bundesdeutschen Linken. Die Unterstützung der antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfer wurde zur Hauptaufgabe vieler entwicklungspolitischer Gruppen.
Zu Beginn der achtziger Jahre trat dann die Ernüchterung ein. Hoffnungsvolle Entwicklungsmodelle wie zum Beispiel Tansania, dem man eine Schlüsselfunktion für die Zukunft des schwarzafrikanischen Kontinents zurechnete, brachen ökonomisch zusammen. Auch die Schattenseiten der Vorbilder wie Hoh Chi Min oder Mao Tse Dong wurden sichtbar. Viele Lösungsansätze ließen sich international nicht durchführen, und der Traum von einer gerechten Welt rückte in weite Ferne.
Mit dem Fehlen von Utopien und überzeugenden Konzepten begann auch die Krise des entwicklungsbezogenen Films. Ein breites Forum für dieses Genre bietet seit 20 Jahren der Fernsehworkshop Entwicklungspolitik. Alle zwei Jahre werden dort, wechselweise unter dem Dach der katholischen oder evangelischen Kirche, ausgewählte Fernsehproduktionen, frei produzierte Filme und Beiträge aus der Dritten Welt vorgestellt. Ein Schaufenster des entwicklungsbezogenen Films, der verschiedene Sparten zusammenfaßt: den meist von kirchlichen Gruppen produzierten Spendenfilm, Werbefilme für die deutsche Entwicklungspolitik, Unterstützerfilme aus der linken Solidaritätsszene, Dokumentar- und Spielfilme aus und über die Dritte Welt sowie sämtliche Fernsehproduktionen zu diesem Thema.
Heftige Kritik an den vorgeführten Beiträgen wurde bisher auf jedem Fernsehworkshop geübt. Waren es 1972 die kirchlichen Spendenfilme, die den allgemeinen Unmut hervorriefen, so waren es 1974 die politischen Redaktionen der Fernsehanstalten wegen ihrer platten Berichterstattung, 1976 die Industrie mit ihren Werbefilmen für Großprojekte, 1978 die Auslandskorrespondenten wegen der zu wenig gezeigten Betroffenheit und 1980 die Fernsehanstalten in Bausch und Bogen.
In diesem Jahr glich die Stimmung unter den Fernsehredakteuren, Pädagogen, Filmemachern und anderen Interessierten, die sich letzten Monat in der Evangelischen Akademie trafen, eher einem Krisenmanagement. Einige Insider des Metiers behaupteten sogar, der entwicklungsbezogene Film sei tot. Und das sei auch gut so, denn er sei schon immer schlecht gewesen.
Vor zwanzig Jahren ähnelte das Filmangebot einem Horrorkabinett. In den Verleihstellen der Bildungseinrichtungen lagerten neben den Spendenfilmen die propagandistischen Werbestreifen der Industrie. Außer Kulturbeiträgen nach dem Motto Menschen, Tiere, Abenteuer bestand für das Fernsehen Afrikas nur aus Hunger, Elend und Ohnmacht, Asien war das Synonym für Überbevölkerung, Spiritualismus, kommunistische Gefahr und die Niederlage der USA, und in Lateinamerika kämpfte die Kirche immer auf seiten der Ausgebeuteten. Das war die Geburtsstunde des kritischen entwicklungspolitischen Films.
Es waren in der Regel Dokumentarfilme, die im Kino gezeigt werden sollten und sich von den bisherigen Produktionen ganz deutlich abgrenzten. Dem interessierten Publikum wollte man alles zeigen, was die anderen versteckten: die Auswirkungen der ausbeuterischen Verhältnisse zwischen der Ersten und Dritten Welt, gründliche Analysen, Parteinahme, Solidarität und Betroffenheit. Zu den bekanntesten Produktionen aus dieser Zeit gehören die „Peter-Filme“: Peter von Guntens Bananera Libertad, Peter Kriegs Flaschenkinder oder Peter Hellers Die Liebe zum Imperium. Als klassisches Beispiel gilt auch Modellfall Tanzania - Ein Staat erzieht zur Selbsthilfe von Christoph Maria Frohder.
Die Programm- und Kommunalkinos sowie Solidaritätsgruppen und Bildungseinrichtungen zeigten sich auch fast zehn Jahre lang als dankbare Abnehmer, da das Interesse an Aufklärungsfilmen groß war. Solange das Weltbild stimmte, nahm man auch das häufig puritanische Strickmuster der Beiträge in Kauf. In der Blütezeit des Revolutionstourismus wurde gerne auf künstlerische und ästhetische Gesichtspunkte verzichtet. Mit der wachsenden Ernüchterung und Entpolitisierung verschwanden auch die soliarischen Zuschauer so langsam aus den Kinos.
Entweder verteilten sie sich auf diverse Zielgruppen wie etwa die Friedens- oder Ökologiebewegung oder gaben sich der ideologischen Krise hin. Als Auftraggeber für dieses Genre blieb nur das Fernsehen, zumal sich mit der zeitlichen Ausdehnung der Programme die Dritte Welt als Rohstofflieferant für Bilder und Themen anbot. Damit gerieten die Filmemacher in die Abhängigkeit von Zwängen und Konventionen, gegen die sie einst angetreten waren.
„Die Erkenntnis, daß ein Genre, das die Wirklichkeit reflektieren und verändern will, statt sie wegzuträumen, vor einer Mauer von Ohnmacht angekommen ist, ist lähmend. Die Krise des dokumentarischen Films heute ist die Krise einer politischen Utopie, und der entwicklungsbezogene Film ist eines der Opfer.“ Nach 30 Filmen gelangte Peter Heller, einer der bekanntesten Filmemacher, zu dieser Erkenntnis. „Film beeinflußt die affektive Erlebnissphäre der Menschen und bestätigt oder verändert Werthaltungen weniger durch Einsichten als durch Emotionen. Für Filmemacher wie mich, die durch Argumente überzeugen und aufklären wollten, wurde diese Lehre zum Schock.“
Während noch einige Filmemacher, Pädagogen oder Soligruppen unter diesem Schock litten, ist jedoch in vielen „Entwicklungs- oder Schwellenländern“ eine eigenständige Filmkultur entstanden. In Peru bildete sich die Gruppe „Chaski“, die mit Filmen wie Gregorio überraschte; in Nicaragua drehte Miguel Littin Alcino und der Condor, aus Südkorea kamen die Filme von Im Kwon Taek wie Mandala oder Sibaji. Seit wenigen Jahren sind auch Spielfilme aus Schwarzafrika bei uns zu sehen. Dazu gehören Souleymane Cisses Yeelen - Das Licht und Yaaba von Idrissa Quedraogo oder Zan Boko von Gaston Kabore.
Die zum Teil sehr eigenwilligen und hochentwickelten Produktionen aus Asien, Afrika und Lateinamerika sind nicht nur in der Lage, einen Teil dieses Vakuums zu füllen, sondern können der hiesigen Szene auch neue Impulse geben. Sie strahlen eine Kraft aus, die dem europäischen und amerikanischen Film seit längerer Zeit abhanden gekommen ist. Sie arbeiten mit neuen Geschichten und vor allem mit noch nie gesehenen Bildern - eine Entdeckungsreise in neue Welten. Es sind zum großen Teil Spielfilme, die die Realität nicht aus dem Blickwinkel der Entwickelten und Unterentwickelten zeigen, mehr den Alltag und individuelle Schicksale beschreiben als die übergeordneten politischen Strukturen. Es sind Produktionen, die die Bezeichnung Film auch wirklich verdienen. Und sie sind sogar im Kino zu sehen.
Das Genre des Dritte-Welt-Films hat sich gewandelt. Der einst typische Aufklärungsfilm als Lehrstück hat seine dominierende Stellung verloren. Neben den Spielfilmen finden jetzt auch verstärkt ethnographische Filme Beachtung. Ein Teil der Filmemacher, Verleiher und Pädagogen sieht sich vom Zeitgeist überrollt. Andere sind froh, endlich schöne Bilder und leichtere Kost genießen zu dürfen. Eine Tendenz, die nicht nur den Trend der neunziger Jahre widerspiegelt, sondern auch den Zustand der entwicklungspolitischen Debatte.
Marina Schmidt
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