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Eurobull im Rausch

BKA rüstet zur großen Schlacht gegen das Böse / Europol und Anti-Drogen-Kampfes / Trotz dubioser Fahndungsmethoden und  ■  Von Hans-Georg Behr

„Für mich hat der Kampf gegen Rauschgift denselben Stellenwert wie der Kampf gegen Terrorismus.„ Innenminister Baum, 197

„Für mich hat der Kampf gegen Rauschgift denselben Stellenwert wie der Kampf gegen Terrorismus.„ Innenminister Zimmermann, 198

„Der Kampf gegen Drogen ist eine noch größere Herausforderung als der Kampf gegen Terrorismus.„ Innenminister Schäuble, 199

Es hat sich also etwas geändert. Der Staatsfeind Nummer eins steht nun endgültig fest. Das dankt er nicht zuletzt dem feinen Instinkt unserer Regierung für Populäres. Der Terrorismus glüht zwar unheimlich rot, ist auch medienträchtig, betrifft den Staatsbürger jedoch nur sehr selten direkt. Er gehört zu den Sorgen „derer dort oben“, als eine Art herrschaftliches Berufsrisiko, und der deutsche Herbst 1977 ist vergessene Geschichte. Der andere Staatsfeind ist überall wahrnehmbar, in menschlichen Wracks, ausgewrackten Autos und Wohnungen, und er ist nicht weniger unheimlich, da mittlerweile mit den höchstgehandelten Vokabeln der Kriminalliteratur geschmückt: Wir hören von Mafia, Kartellen, Syndikaten, Seuchen, Ansteckungsgefahren, Gift, und selbst die Knalleffekte des Terrorismus gehören zur Szenerie. Die Bedrohung ist international, weltweit, laut Präsident Bush „schlimmer als die Klimaveränderung“, und sie muß mit allen Mitteln bekämpft werden.

Das wird sie schon seit nunmehr zwanzig Jahren, und da kam ein stattliches Arsenal zusammen. Allerdings ist es nicht sehr phantasievoll bestückt, vielfach aus den Kampfplänen gegen den Terrorismus abgeschrieben, wohl wegen der Gleichheit in der Bedeutung, und manchmal bescherten uns die Drogen, was nicht einmal im Namen des Terrors durchzusetzen war. Nun haben wir also alles, was den vielbeschworenen Vätern des Grundgesetzes noch so befremdlich war: Durchlöcherung von Brief- und Telefongeheimnis, von Datenschutz sowieso, V-Leute, Kronzeugen, mit Geheimdienstmitteln ausgestattete verdeckte Ermittler, natürlich international agierend, Einschränkung der rechtlichen Wahrheitsfindung, und das alles vertrauensvoll einer üppig wuchernden Bürokratie in die Hände gelegt. Ganz zu schweigen vom wundersamen Wachstum des BKA, das dank Terror und Drogen zu einer Superbehörde des Bundes wurde. All dies, so hören wir immer wieder, sei unverzichtbar zum Sieg in diesem gewaltigen Krieg gegen das Böse. Schließlich brechen vor allem die OK-Gangs (Organisierte Kriminalität) immer unverschämter die Gesetze. Wie soll ihnen da die Polizei nachsetzen, wenn sie nicht...?

„Do-it-yourself„-Lockstoffe

Wie sonst, zum Beispiel, wäre am 2. Juni 1988 in zwei Schließfächern des Bremerhavener Bahnhofs ein Zentner Kokain entdeckt und gleichzeitig mit „fünf hochkarätigen Mitgliedern der Mafia“ aus dem Verkehr gezogen worden? Da Gottes und Justitias Mühlen Geduld erfordern, klärte sich der „bislang größte Erfolg der Drogenfahnder“ (BKA -Pressemitteilung) erst nach eineinhalb Jahren halbwegs: Da wollte also BKA-KHK Korn mit Hilfe von V-Mann Carlos Ponze einen Großdealer namens Carlos Hidalgo fangen (da die Namen vom BKA stammen, ist für die Richtigkeit keine Gewähr gegeben), weshalb Herr Korn in Columbien hundert Pfund Lockspeise erwarb und in Bremerhaven deponierte. Nur saß besagter Hidalgo schon zwei Jahre in Brasilien ein. Daher bat Herr Korn Herrn Ponze, für den schönen Stoff doch eine andere Mafia zu suchen. Zusammen kamen schließlich drei Lateinamerikaner mit insgesamt 20.000 Mark und zwei Hannoveraner Jungs mit ganzen fünf Mille, verbunden in der schönen Hoffnung, dafür den Trödel zu bekommen. Da sich das BKA nicht gerne in die Karten gucken läßt, wurden aus einem Anwaltsbüro auch noch Akten geklaut, doch dies half nicht mehr: Selbst die Staatsanwaltschaft verzichtete „angesichts unfaßbarer Aktenmanipulation“ auf Anklageerhebung.

Herr Hagen Saberschinsky, oberster Rauschgiftfahnder der Republik, findet es nicht fein, an diesen Fall erinnert zu werden. Er ist der Vater der „Vorverlagerungsstrategie“, die ihm mittlerweile 24 Beamte in 18 Ländern mit dem Auftrag bescherte, „das Rauschgift an seiner Quelle zu bekämpfen“.

An den Quellen kooperieren die James Bonds der Republik aufs innigste mit jenen der DEA (Drug Enforcement Agency), der Superbehörde der USA. Oder auch nicht, wenn's die Interessenlage erfordert. Seit in Kambodscha wieder der Bürgerkrieg kocht, kocht in Thailand soviel Heroin, daß die europäischen Preise zusammengebrochen sind. Doch die USA, auf Vietnam aus alten Gründen böse, unterstützen die Haufen um Prinz Sihanouk und drücken die Augen bei mancher Finanzierung zu. Auch im Libanon, wo niemand mehr durchblickt, gibt es Gemengelage: Im Bekaa-Tal hat der Mohn den traditionellen Hanf nahezu vollständig verdrängt, doch die Labors stehen unter christlichem Schutz. Und wo sprudeln bei Kokain die Quellen? Es ist ja nicht unbekannt, daß sich auch radikal linke Bewegungen mit Kokablättern finanzieren. Und bekannt ist auch, daß die Labors rechten Herren unterstehen und unter anderem die Todesschwadronen löhnen. Wer sich da profilieren will, muß wohl gelegentlich ... siehe oben.

Deutsches Wesen harmonisiert

Bei längerer Beobachtung der polizeilichen Strategien fallen einem allerdings auch Literaturredakteure beim Rundfunk ein, die bekanntlich stets mit ihren Obsessionen pensioniert werden wollen. Bayerns LKA-Boß Karl-Heinz Lenhard fordert seit November 1989 „Bundeswehr-Logistik für die Drogenbekämpfung“, Abfangjäger inbegriffen. Wozu? Um mit Tieffliegern Bayerns Felder nach den Blumen des Bösen abzusuchen? Nein, nein, man müsse an Europa denken und gerüstet sein, denn die Dealer würde immer schneller. Volker Limburg vom BKA assistiert: „Außerdem schreitet die Technik täglich voran. Wir bräuchten neue Detektionsgeräte, mehr Kraftfahrzeuge, mehr Telefone. Wir haben permament neue Bedürfnisse.“ Selbstverständlich gehören da auch schnelle Motorräder dazu. Und Baden-Württembergs unermüdlicher Stümper bietet dem nächsten europäischen Markt sein gewohntes Lager an: „Die Palette reicht vom effektiven Einsatz verdeckter Ermittler über Probleme des Abhörens, Gründung von Scheinfirmen, einer greifenden Kronzeugenregelung bis hin zum systematisierten Zeugenschutz.„1 Nun ja, mit solchen Mitteln wäre auch der eingangs erwähnte Fall ein Erfolg geworden.

Ein Problem des zusammenwachsenden Europa ist ohnedies, daß unsere BRD auch an Gebiete mit rechtsstaatlichen Traditionen grenzt. Herr Horst Durkowyak vom LKA Nordrhein-Westfalen klagte schon 1987: „Polizeilich eingesetzte Scheinaufkäufer werden häufig mit dem Argument konfrontiert, daß die Abwicklung von Geschäften in den Niederlanden weitaus risikoärmer ist als in der Bundesrepublik... Die Institution der eingeschränkten Aussagegenehmigung ist im niederländischen Recht nicht vorhanden, so daß damit gerechnet werden muß, daß die Identität dieser Person preiszugeben ist und gegebenenfalls ihre Vernehmungen in den gerichtlichen Hauptverhandlungen erfolgen. Zudem gibt es in der niederländischen Rechtssprechung eine Reihe von Kriterien, die beim Einsatz von V-Personen und Scheinkäufern zu beachten sind.„2

Natürlich, die bekannt bösen Niederlande, deren Drogenpolitik unter anderem bewirkt hat, daß dort die Mortalität unter den intravenös Drogenabhängigen unter 0,3 Prozent liegt, während wir's auf stolze 0,8 Prozent gebracht haben. Nur kommt dabei unser deutsches Legalitätsprinzip zu kurz, mit dem wir das Böse zumindest theoretisch unerbittlich verfolgen. Also brauchen wir eine „Harmonisierung“, bei der auf die berechtigten Interessen größerer Nationen Rücksicht genommen wird, zumal das Bundesgesundheitsministerium im Oktober 1989 feststellte: „Die Drogenpolitik hat sich von ihren Ansätzen her in der Vergangenheit bewährt.„3 Da zumindest bei Drogen Europa am deutschen Wesen genesen soll, forderte Herr Schäuble am 16. November 1989 denn auch in Den Haag: „Wir brauchen eine möglichst einheitliche Betäubungsmittelpolitik und eine effektive Bekämpfungspraxis, die von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt ist... Die Partnerstaaten verpflichten sich im geplanten Staatsvertrag zu einer grundsätzlich uneingeschränkten Unterbindung ... (und) unternehmen auch den Versuch, negative Auswirkungen unterschiedlicher Betäubungsmittelpolitik möglichst einzuschränken.“

Da ging's um das „Schengener Abkommen“, das gegen das Böse eine ständige Arbeitsgruppe und einen Exekutivausschuß mobilisiert. Ausdrücklich geht es gegen Cannabis, dessen Problematik in den Niederlanden bekanntlich nicht so recht eingesehen wird und dessen „unerlaubter Nachfrage vorzubeugen“ ist. Auch sollen die „Vermögensgewinne“ sichergestellt werden und verfallen, weshalb die Niederlande auch einwilligen sollen, „daß die kontrollierte Lieferung bei dem unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln angewandt werden kann“, also das deutsche Wesen des eingangs erwähnten Falles.

Miese Thriller-Attitüde

Überall wird so harmonisiert, und was den Strategen recht ist den Bürokraten billig. Ein europäisches Polizeiamt ist da nur eine billige Forderung, wo doch die Phantasie schon reichere Erfolge einfuhr. Schon mal von der Pompidou-Gruppe gehört? Ja, die gibt es schon seit jenem, Arbeitsessen inbegriffen, und sie soll für eine intensive Zusammenarbeit zwischen Südwest- und Mitteleuropa sorgen, mit Hilfe von Parteien, Koordinationsausschüssen und Erfahrungsaustausch. An solch großer Politik wollte natürlich auch der bekannte Stümper naschen und gründete die Arbeitsgruppe Südwest, unter Einbindung der Schweiz. Ein Dieb wertvoller Kirchenkunst soll ihr laut Eigenmeldung auch schon ins Schleppnetz gegangen sein. Und was fällt uns zu Rom und „Trevi III.“ ein? Nein, keine neue Folge von Dolce vita, sondern Terrorismus, Radikalismus, Extremismus, Violence International, eine EGemeinschaftsproduktion in Kommunikation, Datenverarbeitung, Kriminaltechnik, Ausrüstung und Ausbildung, seit 1985 um die Gruppe III. wie „Drogen“ erweitert. „Trevi“ ist ein sprudelnder Brunnen, und auch die vom Original bekannten Pferde fehlen nicht: Jede Haupt- und Untergruppe fährt mit einer „Troika“ auf, „gebildet von der gegenwärtigen, vergangenen und zukünftiger TREVI-Präsidentschaft“.4

Erinnert das nicht ein bißchen an schlecht gelesene Thriller? Bei längerem Studium diverser Strategiepläne und Sondergruppen entsteht die Vision eines leicht infantilen Beamten, eigens dafür eingestellt, für das politische Schlagwortgeschäft originelle Abstrusitäten zu erfinden. So darf man natürlich nicht denken, denn das Drogenproblem ist ernst und muß bekämpft werden, mit allen Mitteln, wie gesagt, und auf allen Ebenen. „Repression ist die beste Prävention“, hatte Stümper schon 1980 erkannt, und Hamburgs damaliger LKA-Drogenboß Wolf Plewka sattelte am 13. Dezember noch eins drauf: „Wenn wir die Kleinen hundertprozentig ausschalten, gibt es auch keine Großen mehr.“ Immerhin brachte er's mit dieser Kriminologik zum Leitenden Kriminaldirektor, und Stümper sieht das heute noch so und will deshalb „den kleinen Dealer, der selbst süchtig ist, bekämpfen. Gerade er - leider auch einmal Opfer - ist es, der in unserem Alltag unserer Söhne und Töchter, oft bei 'harmlosen‘ Gelegenheiten (Gartenparty, Diskobesuch, Grillabend usw.) mit in die Szene hineinzieht und - aus seiner Sicht hineinziehen muß, um sich einen Kundenkreis zu schaffen, damit er den eigenen Verbrauch finanzieren kann.„5 Schließlich handelt es sich um einen Markt von 500 Milliarden Dollar per annum, wie Stümper dem 'Spiegel‘ entnahm.

Eine schwindelerregende Zahl, doch im Rausch der Drogen sind viele Zahlen Schwindel, von den niedrig gehaltenen der Drogenopfer bis zu den hochgepokerten Werten bei Beschlagnahmen. Seltsam bescheiden und daher auch kaum für den Gebrauch in der Öffentlichkeit bestimmt sind nur die des tatsächlichen Bekämpfungserfolges. Maximal fünf Prozent der illegalen Rauschmittel ziehe man vom Markt ab, sagen optimistische Polizeichefs, mit ein bis zwei Prozent geben sich Pessimisten zufrieden, und Realisten im Bundeskriminalamt rechnen mit drei. Und das seit Jahren, zumindest seit jenen zwanzig, in denen das BKA von einer Handvoll Beamter auf eine halbe Tausendschaft gerüstet wurde und die LKAs auch nicht zurückstehen wollten.

Das wirft eine Reihe von Fragen auf, angefangen mit jener grundsätzlichen, auf welchem Gebiet sonst sich unser reiches Gemeinwesen eine zumindest zu 95 Prozent nachweislich ineffektive Behörde leistet. Allen Methoden und Erfolgen zum Trotz - und BKAmtlichen Optimismus folgend - kamen also 1989 immerhin zwölf satte Tonnen Heroin ins Land, gute 23 Tonnen Kokain, und die mindestens 250 Tonnen Haschisch nehmen wir auch dankend mit. Nur stimmt da nicht, was Herr Limburg vom BKA erzählt: „Wir müssen dafür sorgen, daß der Preis hoch und das Angebot knapp ist.“ Jeder Anfänger in Volkswirtschaft weiß, daß solche Marktregelungshoffnungen erst bei einer Kontrollmöglichkeit von über zehn Prozent der Gesamtmenge anfangen, es sei denn, es gäbe Preisabsprachen.

Polizei als Marktregulativ

An solchen und nicht an der Repression dürfte es denn auch liegen, daß die Preise für illegale Rauschmittel in der BRD tatsächlich relativ hoch sind, was von den diversen Dealern auch gerne mit der Gefahr durch die Polizei begründet wird. Solche Mogeleien kennen wir auch aus der legalen Wirtschaft, und in der Praxis ist das Risiko eines Dealers relativ gering.

Daß es überhaupt eines gibt, liegt wohl an den von Herrn Stümper so gepriesenen „unorthodoxen Methoden“ und den „V -Leuten mit Zugang zum kriminellen Milieu“. Kurz und herzlos: für eventuelle Konkurrenz ist dem Groß- und Mittelhandel die Polizei als Marktregulativ willkommen, und außerdem werden von ihr als eine Art Tribut auch Kleinhändler geliefert, die nicht genügend Umsatz machen. Das letztere erklärt auch, warum der ominöse Kronzeugenparagraph praktisch nur bei den ganz Kleinen greift, wo dann - aus Anerkennung für die vielen Verfahren, die aus der Lebensbeichte erwuchsen, der Strafnachlaß etwa das Strafmaß der polizeilich entdeckten Tat übrigläßt: Die da von sangesfreudigen Kleinen angegeben werden sind die Größeren, mit denen die Polizei des Erfolgs wegen zusammenarbeitet. Und diese Kooperation von Kriminellen und Kriminalisten beschert den Verfolgern denn auch „80 Prozent aller Erfolge“ (Stuttgarts Mellenthien), wenn nicht gar, so aus München und Hamburg zu hören, gleich neunzig. Andererseits entsteht dabei eine Art lizenzierte Kriminalität. So läßt sich in Frieden leben, die Narc-Mark rollt, und auch die Polizei hat ihre Erfolge. Nur Herr Limburg ist angesichts des drohenden Europa besorgt: „Wenn die Grenzen der EG allerdings jetzt aufgemacht werden, werden wir weit weniger beschlagnahmen können.“

Warum ist bei diesem eingespielten System zwar schwer einzusehen, doch Herr Boge als Boß des BKA assistierte schon: Man müsse dann eben im Inland noch verstärkter aktiv werden. Dafür hätte der Bürger schon Verständnis. So sieht dies auch Herr Schäuble: „Der Bürger wird ein geeintes Europa nicht akzeptieren, in dem vor allem Rechtsbrecher von der freien Fahrt profitieren“, und für beonders Besorgte hat er noch die Erkenntnis: „Der Schlagbaum ist kein besonders intelligentes Fahndungsinstrument.„6 Womit er der Tatsache Rechnung trägt, daß an den Grenzen tatsächlich nur quantitees negliables beschlagnahmt werden. Und zum Bodensatz der Repression: Knapp 25.000 Ermittlungen wegen illegalen Handels standen 1989 gut 45.000 Besitzdelikte gegenüber, wobei sich bei letzteren zwei Drittel auf kleine Mengen Cannabis bezogen, die harmloseste illegale Substanz. Da hier Erfolge billig sind, erwischte es mehr als 30.000 Kiffer, immerhin die Bevölkerung einer Kleinstadt, aber doch nur jeden 109. BKA-Geschätzten. Das erinnert an die Straßenverkehrsordnung, wo die Bußquoten für Falschparken ähnliche Höhen erreichen.

Selbst Matthias Seefelder, Vorstandsvorsitzender der BASF und Honorarprofessor in Heidelberg, vermerkt: „Die Analyse der Drogen-Unterdrückung führt zu dem Ergebnis, daß Prohibitionen immer ihr hochgestelltes Ziel verfehlt haben. Dagegen haben sie fast immer - und das ist zumindest für die Moderne belegbar - eine graue Wirtschaft und den Schwarzmarkt mit den verbotenen Produkten zum Blühen gebracht. Es läuft auf versteckte Produktion der verbotenen Ware, verdeckte Handelswege, Schmuggel, Bestechung von Beamten, Fälschung von Papieren und eine gnadenlos im Untergrund ausgetragene Konkurrenz hinaus.„7 Das ist keine einsame Erkenntnis, und zur Gründung einer „International Antiprohibitionist League“ fanden sich unter anderen 1989 auch Ralph Salerno, einst Chef-Drogenfahnder New Yorks, Wesley Pomeroy, sein amtierender Kollege in Miami, Italiens ehemaliger Geheimdienstchef General Ambrogio Viviani, Generalstaatsanwalt Georges Apap aus Frankreich und der Schweizer Richter Pierre Joset zusammen.8 Im März tagte die Liga gleichzeitig mit den Polizeichefs in London, wobei letztere ihre alte Litanei beteten: Mehr Gelder, mehr Möglichkeiten, noch polizeifreundlichere Gesetze, mehr Daten, weniger „Exerzierfelder für Formularisten“ (Stümper)

-ja dann würde man endlich „den großen Durchbruch“ schaffen und „die Gefahr endgültig bannen“. In Los Angeles war mittlerweile, im sechsten Jahr der „Null-Toleranz“, der Grammpreis für Kokain auf zwanzig Dollar gesunken und hatte damit fast schon jene dreißig Mark erreicht9, für die man das Zeug legal bei Merck beziehen könnte. Das ist nun mal so bei „totalen Kriegen“. Auch in unserer guten BRD knirschen die Preise. Bei Heroin gab's einen Einbruch von 50 Prozent und bei Kokain einen von mittlerweile 30. Ein Gesamteuropa wird bei aller Repression an dieser Tendenz nichts ändern.

Erfolg ist Nebensache

Und die neuen Strategien? Herr Schäuble verhieß in Den Haag die Wiedereinführung der Hotelmeldepflicht, den Beneluxländern noch aus der Nazi-Zeit bekannt, „die Kontrolle des Handels mit Basischemikalien“ und natürlich „die Entwicklung einheitlicher Verfahren zum Aufspüren von Drogengewinnen, insbesondere im Bereich der Banken“. Schön so. Ersteres wird ungeheure Fahndungserfolge bringen, letzteres wird seit zehn Jahren gefordert, und die diversen Bundesregierungen haben ja recht, daß so was nicht zu bewerkstelligen sei und höchstens die Produktionskosten unwesentlich erhöhe. Und mit dem Geld ist's auch so eine Sache: Die Drogengelder sind ja nur ein Teil illegaler und internationaler Transaktionen. Zu gewichtige Interessen stehen einer Kontrolle entgegen, auch wenn die noch so oft (und aus verschiedenen Gründen) gefordert wird. Wir werden auch, diesmal in Europas Namen, ein paar neue Gesetze und auch eine neues Betäubungsmittelgesetz bekommen, das im Namen des internationalen Angleichs Suchtstoffgesetz heißen wird. Wie die bisherigen wird es „vor allem den Dealern“ an den Kragen gehen und wie bisher vor allem die Kleinen treffen. Das ist so bei Gesetzen, die Täter und Opfer gleich kriminalisieren, und das Gesums drumherum ist Verkauf.

Nachdrücklich muß allerdings davor gewarnt werden, den Politikern und Polizeitstrategen die bodenlose Dummheit zu unterstellen, sie würden wirklich an einen Erfolg verstärkter Repression glauben, Dieser Wahnsinn mit Methode hat andere Gründe. Der erste ist simpel biographisch und betrifft unsere Drogenexperten, die in Bund und Ländern die Repression vertreten, wie zum Beispiel der Bundes -Drogenbeauftragte Manfred Franke schon seit zwanzig Jahren. Kann so wer überhaupt noch irren oder gar auf diesem Gebiet einen Fundamentalirrtum eingestehen? Das wäre denn doch zuviel verlangt, auch von unseren Politikern mit ihrem Busch -Prinzip, „wo gerade wenn man nichts versteht, der Schnabel um so leichter geht“. Traditionszusammenhang nennnt man so was.

Vision polizeilicher Mimikry

Anderes gilt für die polizeilichen Vordenker, die ja nicht nur auf dem Gebiet der Drogen, wenn dort auch wegen Nichtnachprüfbarkeit besonders erfolgreich, am Keks des Rechtsstaates zu nagen. Vielleicht haben auch sie ihren Heiligen, diesfalls Joseph Fouche, der es als Polizeiminister über die diversen Phasen der Revolution und Napoleon bis zu Louis XVIII. und zum Herzog von Otranto brachte: „Die Polizei als gesetzlicher Verfolger des normalen Verbrechens wie Mord und ähnlichem wird sich nie über den Rang eines Büttels erheben. Sie muß Eigenleben entfalten, sich über die Gesetze stellen und Gesetze schaffen. Sie muß sich mit dem Schleier des Geheimnisses umhüllen und die Aura der Allgegenwart entfalten. Dazu genügt nicht, das bestehende Verbrechen zu verfolgen - was besonders bei Höhergestellten sehr schwierig ist -, sondern sie muß selbst Verbrechen erzeugen, über die sie als Sieger triumphieren kann. Sie muß an Verbrechen teilnehmen, sie durchdringen und dadurch auf jene Bahnen bringen, die ihr opportun erscheinen; sie muß Spuren legen, die jene eindeutig überführen, an deren Zerstörung ihr gelegen ist, und sie muß verhindern, daß jemand ihren Wegen folgen kann, auch nicht der Souverän. So entfaltet sie, unangreifbar, eine Macht, die niemand mehr brechen kann.„10 Eine Vision für Paranoide?

Ein BKA-Vordenker, der nun nicht mehr zitiert werden möchte, sprach 1980 von einem „Bereich gleichgerichteten Denkens..., in dem eine natürliche Gestaltungsautonomie existiert kraft überlegener Sachkunde. Vor allem ist das der Bereich der Kriminaltechnik, den die Politik eigentlich nicht beachtet, wahrscheinlich, weil er zu spezialisiert ausgelegt ist, der aber bei näherer Betrachtung enorme Möglichkeiten eröffnet... Wir haben den Anspruch, die Kriminaltechnik zu einem Instrument der Verobjektivierung des Strafverfahrens zu entwickeln, das heißt, es zu so hoher wissenschaftlicher Perfektion und Güte auszugestalten, daß wir den Zeugen überflüssig machen... Nach meiner Theorie wäre, so schrecklich das auch klingen mag, auch der Richter entbehrlich... Die Polizei ist als kybernetisches System zu konstruieren, das von sich aus wirkt.“

Und bei so verheißungsvollem Zuckerbrot darf auch nicht die Peitsche fehlen: „Die Polizei ist eine isolierte Minderheit. Das ist eine Riesengefahr. Ich versuche auch die Politiker darauf hinzuweisen... Ich sage ihnen: Wenn Ihr es ununterbrochen zulaßt, daß wir uns als eine isolierte Minderheit fühlen müssen, dann werdet Ihr es eines Tages auch produzieren, daß wir uns in die Ecke gestellt sehen und nur noch blind um uns schlagen. Der Prozeß wird allmählich spürbar.“

Zeug wird's genug geben

Genug zitiert, zumal ja immer der Rechtsstaat, der nicht um sich schlagen kann, in die Ecke gestellt wird. Eigentlich ist die Sache rührend wie ein quengelndes Kleinkind, das kriegt, was es will, sobald es nur lange genug gemault hat, und mit der Gabe doch nichts anfangen kann. Das teuflische „Wenn's der Wahrheitsfindung dient“ ist Nostalgie in einer Warengesellschaft mit freier Marktwirtschaft, in der die Polizei auch ihre Erfolge produzieren will. Wenn uns schon das Celler Loch recht sein muß, darf uns auch ein Drogenberg billig sein, und die James-Bond-Allüren eines Mauss würden auch eine gewisse Demokratisierung für jeden Polizeibeamten bedeuten.

Die ersten Schritte in diese wohl richtige Richtung sind ja auch schon lange getan: Der Zug ist abgefahren, und das Europa der freien Fahrt soll ihn auch nicht aufhalten. Mögen die kleinen Länder ruhig in der Proportion ihrer Größe zu unserer ihre pingeligen Einwände machen - das kriegt die BRD schon demokratisch hin. „In den Grundsätzen fest und zugleich zur Zusammenarbeit bereit“, so nochmals Schäuble, stehen wir für Europa bereit, und was „sich von den Ansätzen her in der Vergangenheit bewährt“ hat, zum letzten Mal Franke, kann sich in Zukunft nur noch bewähren. Deshalb braucht sich niemand, der an dieses illegale Zeug kommen möchte, Sorgen zu machen. Die letzten zwanzig Jahre hier und in unserem Mutterland USA haben uns gezeigt, daß niemand um seinen Stoff zittern muß. Abgesehen davon, daß Repression den Markt belebt, ist ja auch zu fragen, ob wir auf diese aus sozialer Outcastverwertung basierende Wirtschaft verzichten können, auf die Beschaffungskriminalität beispielsweise, die ja auch den Markt belebt, Stichwort: Nachfragesteigerung durch Preisdiversifikation. Aber das sind andere Fragen als polizeiliche und führen in düstere Überlegungen, beispielsweise darüber, warum die Aufklärungsquote bei individuellen Verbrechen wie Mord so hoch und bei Wirtschaftsverbrechen so niedrig ist.

Das letzte Jahr bescherte uns den nunmehr ganz europaweiten Triumph unserer Spielart von Freiheit, und nur Nörgler mögen da über ihre Schattenseiten grübeln. Sicher gehört der Drogenmarkt zu ihnen, doch man muß das einmal auch positiv sehen: Als jene große Herausforderung unserer Gesellschaft, als die sie Politiker ja allgemein nehmen. Vertrauen wir ihnen und unseren Innenministern, deren einige ja schon die Drogenbeauftragten in ihr Ressort gezogen haben. Zwanzig Jahre leben wir schon mit dem Problem, demnächst europaweit, und es kann kaum schlimmer werden. Das neue Große ändert nichts am Elend, und jemand muß doch auch was davon haben. Sosehr wir der Mafia ihren Profit neiden, sosehr sollten wir ihn der Polizei gönnen, denn, zum allerletztenmal Schäuble: „Die Polizeien des Bundes und der Länder sind für Europa gerüstet.“ 1 'Kriminalistik‘ 1/90, unter dem schönen Untertitel „Ein Aufruf zur Besinnung“, Hervorhebungen HGB 2 'Kriminalistik‘ 8-9/87 3 Das war natürlich wieder unser alter Bundesdrogenbeauftragter Prof. Franke, von dem man allerdings auch nicht das Geständnis verlangen kann, zwanzig Jahre lang systematisch Katastrophen produziert zu haben. 4 'Bereitschaftspolizei heute‘ 1/89 5 'Kriminalistik‘ 1/90 6 16. November 1989 in Den Haag 7 Matthias Seefelder: Opium, eine Kulturgeschichte. Frankfurt 1987 8 'The Anti-Prohibitionist Review‘ 1/90 9 'DEA-Bulletin‘ 13. März 1990

10 „Meine Zeiten - Die Denkwürdigkeiten des Herzogs von Otranto“, Leipzig 1887

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