Wir müssen raus aus der Koalition!

■ Die Planung zum Potsdamer Platz zeigt, wie vereinbarte „Demokratische Stadtplanung“ zu einer wohlfeilen Lüge wird / In der Mitverantwortung in der Koalition verliert die AL ihre Identität

„Nur wenn das Unmögliche immer wieder gedacht wird, läßt sich das Mögliche retten. Das, was wir kennen, ist nicht alles.“ (Rossana Rossanda)

Den „Atem der Geschichte“ meinten einige im März letzten Jahres zu spüren. Walter Momper hatte die Vision einer „Modellstadt für menschliche, soziale Lösungen der bestehenden Probleme“ und Christian Ströbele sah eine „Jahrhundertchance“, denn „Optimismus“ könne eine „solche Kraft entwickeln, daß Dinge, die eigentlich nicht gehen können, dann doch gehen“. Heute schleppt sich die rot-grüne Koalition von Krise zu Krise, von Koalitionsausschuß zu Koalitionsausschuß, Tendenz: steigend. Jüngstes Glied in der Kette der Streitpunkte ist die Gestaltung des Potsdamer Platzes.

Zwar haben zähe Beharrlichkeit und drohende Worte der AL -Fraktion in Richtung SPD dazu geführt, vorläufig die Planung hinauszuschieben, die Pläne von Daimler-Benz einem städtebaulichen Ideenwettbewerb zu unterziehen und um den Beton herum eine Grüntangente zu legen. Das ist nicht einmal wenig, doch die „Grundsatzoption“ für den riesigen Konzern -Komplex bleibt bestehen. Daimler-Benz, sagt etwa Finanzsenator Meißner, bekomme das Gelände, und damit basta. Und für jemanden wie Bausenator Nagel gehören Ökonomie und Ökologie schon immer in etwa so zusammen wie Daimler und Benz oder Peek und Cloppenburg - die 'FR‘ hat es bereits am 9.4. 90 auf den Begriff gebracht: „Das Scheckbuch schafft Fakten am Postdamer Platz.“

Doch die Entscheidung über die Ansiedlung von Daimler ist lediglich um kurze Zeit verschoben. „Im Gegensatz zum bisherigen Senat soll der Ausbau der Bürgerbeteiligung und der Transparenz des Verwaltungshandeln Grundvoraussetzung der Politik des neuen Senates sein.“ Geht die Momper/SPD -Planung auf, so gehört nicht nur dieser Satz aus den Koalitionsversprechen auf den Müllhaufen. Auch die „demokratische Stadtplanung“ ist dann nichts weiter gewesen als eine wohlfeile Lüge. Und mit Daimler-Benz wird im Zentrum Berlins ein Konzern thronen, der 1988 etwa einen Waffenumsatz von 8.700 Millionen Dollar hatte und zu den vier größten Rüstungsfirmen der Welt gehört. Für ihn gibt es Sonderregelungen und Quadratmeterpreise, die in jeder Investitionsabteilung einen Freudentaumel auslösen müssen.

In der Mitverantwortung für eine derartige Weichenstellung nach der anderen - trotz aller Erfolge bei der Ausgestaltung des Ganzen mit mehr Grün - geht all das unter, was wir in Programmen und Kampagnen seit 1978 uns vorgestellt und gefordert haben. Aber gleichzeitig wissen wir auch, daß nur durch uns der ungezügelte Galopp in Richtung jener Bau- und Wirtschaftspolitik, die mit dem Namen Diepgen-Senat untrennbar verbunden ist, da und dort noch gebremst werden kann. In diesem Dilemma macht die AL ihre Politik, hat kleine Erfolge und große Niederlagen und verschleißt Menschen, die in und mit ihr Politik machen. Aber die Zahl derer, die nach einem Ausweg aus der derzeitigen Situation suchen, steigt kontinuierlich. Auch wir wollen keinen Senat mit Momper und Diepgen an der Spitze - und nicht nur deshalb, weil Diepgen und seine Truppe wohl auch dem heutigen Regiermeister dumm wie Bohnenstroh und konzeptionell belanglos erscheinen mag. Auch wir glauben, daß eine von der Zustimmung der AL abhängige SPD für die Stadt das kleinere Übel darstellt im Verhältnis zu einer SPD, die mit der CDU koaliert.

Niemand hat mit allem recht, was sie oder er prophezeit wir auch nicht. Und es ist manchmal nicht einmal schön, recht zu behalten. Aber das Minderheitenvotum von Mitgliedern der Verhandlungskommission vom März 1989 hat sich bestätigt. „Zum anderen“, schrieben wir und andere damals, „schreckt die SPD vor jeder politischen Option zurück, die die Austragung relevanter gesellschaftlicher Widersprüche verlangen würde“ - daß dies eingetroffen ist, überrascht noch am wenigsten. „Eine Beteiligung der AL an der Exekutive ist gleichbedeutend mit der Umsetzung sozialdemokratischer Politik durch alternative SenatorInnen“ - das haben uns vor einem Jahr schon weniger Leute abgenommen. Und: „Das Integrationsproblem der SPD hin zur Mitte“ - unter besonderer Berücksichtigung der hiesigen Presselandschaft - „muß die Spielräume für Reformen einengen und den Druck auf die AL erhöhen, sich dem enger werdenden Spielraum unterzuordnen“ und „alle Ungebührlichkeiten zu unterlassen“. Der Preis „entweder des Identitätsverlustes der AL oder der permanenten Koalitionskrise“ wurde fast von Beginn an bezahlt.

Die AL muß aus der Koalition mit der SPD ausscheiden. Auf der MVV im Juni, die das Thema Koalition behandelt, werden wir zusammen mit anderen einen Antrag einbringen, die Koalition von SPD und AL zu beenden. Da wir nach wie vor davon ausgehen, daß es mehr gibt als die Wahl zwischen einem rot-grünen oder einem CDU/SPD-Senat, werden wir diesen Antrag mit dem Vorschlag an die SPD verbinden, eine Minderheitsregierung zu bilden, die von der AL toleriert wird. Konkret würde dies bedeuten, daß die SPD die Regierungsgeschäfte bis zu den Wahlen in Gesamt-Berlin fortführen würde. Die AL ihrerseits würde der SPD zusichern, daß sie bei allen Maßnahmen, die dem Inhalt und „Geist“ der derzeitigen Koalitionsvereinbarungen entsprechen, für die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten sorgen würde.