: Zinsproblematik
■ betr.: "Markt und Plan", taz vom 10.5.90
betr.: „Markt und Plan“ (Wirtschaft, Seite 11), taz vom 10.5.90, Leserbrief „Geld- und Planwirtschaft“, taz vom 17.5.90
Der Leserbrief von Bernd Marquard ist interessant, weil er über das übliche Ökonomie-Niveau in der „linken“ und „alternativen“ Szene hinausgeht und die Zinsproblematik anspricht. In der Tat ist der Zins für eine leistungsgerechte Einkommensverteilung sehr wichtig, macht doch der Geld-, Kapital- und Bodenzins, der privaten Geldverleiher(Innen - d.sin)n und Kapital- und Bodeneigentümer(Innen - d.sin)n als arbeitsfreier Gewinn zufließt, rund 400 Milliarden DM jährlich aus, mit steigender Tendenz. Diese fast achtfache Summe des Verteidigungshaushalts, die einer kleinen Minderheit zufließt, müssen andere Menschen Jahr für Jahr erarbeiten.
Dieses Problem ist jedoch nicht dadurch zu lösen, daß Kapital im engeren Sinne, also die vermehrbaren Kapitalien wie Maschinen, Mietshäuser und so weiter, vergesellschaftet oder gar verstaatlicht werden. Die Erstellung von Kapital muß finanziert werden, doch Kreditmittel sind Gelder, und Geldbesitzer(Innen - d.sin) verlangen für die Aufgabe ihrer „Liquidität“ (J.M.Keynes) eine „Liquiditätsverzichtsprämie“: den Geldzins. Diesen als „Profit“ (Kapitalrendite) erwirtschafteten Zins muß auch das vergesellschaftete oder staatliche Kapital an die Geldgeber(Innen - d.sin) abführen. Ein Prozent Kreditzins belastet zum Beispiel den Mietpreis einer Wohnung mit etwa 150 bis 180 DM im Monat; bei einem Kreditzins von nur acht Prozent beträgt der Zinsanteil der monatlichen Kostenmiete also um 1.300 DM. Erst wenn zinsfrei Kredite, wie sie Proudhon gefordert hat, möglich sind, kommt langfristig eine Einkommensumverteilung zugunsten der Produzent(Innen - d.sin)en zustande. Dann „stirbt“, wie Keynes sagt, „der Kapitalrentner eines sanften Todes“. Doch dazu ist ein Geld mit „negativen“ Zinsen, mit „Durchhaltekosten“, wie es Keynes und Gesell gefordert haben, notwendig.
Etwas anders sieht es beim unvermehrbaren Boden aus. Er könnte durch eine Bodenwertsteuer, wie sie von Adolf Damaschke und Henry George gefordert worden ist und wie sie in Dänemark praktiziert wird, ins Angebot gezwungen werden. Das hat zur Folge, daß die Bodenpreise fallen und daß zumindest ein großer Teil der Bodenrente über diese Steuer und die Gemeindekassen an die Produzent(Innen - d.sin)en zurückrückfließt. Hier wäre jedoch eine Kommunalisierung der Bodenflächen die konsequentere Lösung. Lediglich bei den Bodenschätzen empfiehlt sich eine Art Verstaatlichung und zentrale Verwaltung. In beiden Fällen müßten jedoch die Bodenflächen und -schätze im Rahmen einer Marktwirtschaft und sozialer, städtebaulicher und ökologischer Vorgaben an Meistbietende verpachtet werden.
Angesichts der Tatsache, daß der Westberliner Senat das Gemeindeland am Potsdamer Platz an Daimler-Aktionäre verramschen möchte und daß in der DDR diese Politik bereits in Gang ist, ist die Bodenrechtsfrage besonders aktuell.
Klaus Schmitt, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen