: Schlechte Zeiten für Denkmäler
Die 16jährige Monica Seles stürzt Steffi Graf mit 6:4, 6:3 von ihrem angestammten Berliner Sockel ■ Aus Berlin Matti Lieske
Berlin scheint ein ausgezeichnetes Pflaster für die Zertrümmerung von Tennismythen zu sein. Vor vier Jahren demontierte die 16jährige Steffi Graf im Finale der Internationalen Deutschen Tennismeisterschaften der Frauen am lauschigen Berliner Hundekehlesee das Denkmal Martina Navratilova so gründlich, wie es sonst nur den Lenin-Statuen im ehemaligen Ostblock widerfahren ist. 15 Monate später verdrängte sie Navratilova von der Spitze der Weltrangliste.
Am Sonntag war sie nun selbst an der Reihe. Die 16jährige Jugoslawin Monica Seles ließ ihr nicht die Spur einer Chance und prompt sagte die Seriensiegerin des letzten Jahres, nicht ohne Sarkasmus: „Monica wird jetzt wahrscheinlich die Nummer eins.“ Diese widersprach heftig. Davon könne überhaupt keine Rede sein. Es sei schließlich nur ein einziges Match gewesen und nächstes Mal könne es schon wieder ganz anders aussehen. Im übrigen hätten alle beide nicht sehr gut gespielt.
In der Tat. Das Match hielt keinen Vergleich mit jenem hochklassigen Halbfinale von Paris aus, das Steffi Graf im letzen Jahr schließlich knapp in drei Sätzen gewonnen hatte. „Wir haben heute beide viele Fehler gemacht“, sagte Seles, die derzeit drittbeste Tennisspielerin der Welt, die dem zweiten Rang von Martina Navratilova aber schon gefährlich nahe rückt.
Das Schlüsselspiel des gesamten Matches war das dritte im ersten Satz. Monica Seles hatte zaghaft und unsicher begonnen und war schnell mit 0:2 in Rückstand geraten, als wolle sie ihrer Prognose - „Ich werde wohl verlieren“ möglichst schnell gerecht werden. Danach hatte sie gewaltige Mühe, ihren Aufschlag zu gewinnen, ohnehin der problematischste Schlag ihres Repertoires. „Mein Service existiert praktisch immer noch nicht“, hatte sie schon zuvor selbstkritisch geäußert. Mit guten Returns brachte die 20jährige Graf ihre Gegnerin sofort in Bedrängnis und trieb sie oft so weit aus dem Platz hinaus, daß die Jugoslawin die ungeliebte einhändige Vorhand spielen mußte; ein Schlag, den sie zwar manchmal trainiert, von dem sie aber nicht glaubt, daß er einmal ihre verblüffende beidhändige Vorhand ablösen wird. „Mit beiden Händen kann ich viel mehr Druck machen.“
Ein 0:3 wäre fatal gewesen, doch mit Hängen und Würgen verkürzte Seles zum 1:2, und auf der Stelle kamen Sicherheit und Souveränität in ihr Spiel. Plötzlich hatten ihre grauenerregenden Grundlinienschläge die gewohnte Wucht und Präzision, sie ging den Bällen entgegen und postierte sich bei Grafs erstem Aufschlag sogar frech ein Stück vor der Grundlinie. Vorzugsweise visierte sie die Rückhand der Weltranglistenersten an. Diese spielt Steffi Graf ausnahmslos als Slice - den Topspin übt sie zwar, aber „die Umsetzung im Spiel klappt noch nicht“ (Graf) -, und der reichte nicht, um dem Druck auf Dauer standzuhalten. Die Folge war eine Unmenge von Rückhandfehlern. Die Vorhand war ebenfalls wacklig, der erste Aufschlag kam selten, kurzum: „Ich habe einfach schlecht gespielt.“
Das hindert sie in der Regel nicht, ihre Matches trotzdem zu gewinnen, doch gegen Monica Seles, die nun 25 Spiele hintereinander ohne Satzverlust beendet hat, geriet sie hoffnungslos ins Hintertreffen. Sie brauchte viel Glück, um im ersten Satz nochmal auf 4:4 heranzukommen und den zweiten Durchgang am Anfang ausgeglichen zu halten, aber zu diesem Zeitpunkt zweifelte längst niemand mehr daran, daß die Siegerin dieses Turnieres, das vier Jahre lang eine Domäne von Steffi Graf gewesen war, Monica Seles heißen würde außer Monica Seles. „Erst als es 5:3 und 3:0 im zweiten Satz stand, habe ich gedacht, daß ich gewinne.“
Nach einer Stunde und drei Minuten verwandelte sie ihren zweiten Matchball und durfte zur Belohnung Berlins Regierenden Bürgermomper, der von den versammelten fetten Brieftaschen mit einem frenetischen Pfeifkonzert begrüßt wurde, die Hand schütteln. Außerdem bekam sie einen formschönen Pokal und einen Scheck über 100.000 Dollar. Damit will sich Monica Seles einen Herzenswunsch erfüllen, der ihr so peinlich ist, daß sie ihn erst gar nicht verraten mochte. Mit verschämtem Lächeln tat sie es schließlich doch: Es ist ein Lamborghini, den sie mit einer Sondergenehmigung durch die Lande kutschieren will. Wenn ihre Fahrweise auch nur annähernd ihrem Tennisspiel entspricht, ist von Mitte Juni an auf den Straßen dieser Welt allerhöchste Vorsicht geboten.
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