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Wie die Danziger Werft zugrunde gerichtet wird

Der Staatsbetrieb wird jetzt in eine AG verwandelt / Die Werftdirektion gab mit Scheingeschäften und dubiosen Firmengründungen der eigenen Werft den Rest  ■  Aus Danzig Klaus Bachmann

Solidarnosc verliert zusehends die Kontrolle über die Belegschaft der Danziger Werft. Zu dieser Schlußfolgerung kommt inzwischen die 'Gazeta Wyborcza‘ angesichts der sich häufenden Warnstreiks und Proteste.

Auch Walesa unterstützt inzwischen die Forderungen der Werftarbeiter, denen es hauptsächlich um eine langfristige Lösung für die Werft und um höhere Löhne geht. Ein Teil der Postulate kann dabei auch auf Verständnis beim neuen Werftdirektor Hans Szyc rechnen. Dieser, selbst zuvor Solidarnosc-Experte in der Werft, ist der Ansicht, die Lohnstoppgesetze der Regierung seien auf dem besten Weg, der Werft den Rest zu geben.

„Unsere Kapazitäten sind zur Zeit nur zu 40 Prozent ausgelastet“, sagt Szyc. Grund für die Misere: Der Beschluß der Regierung Rakowski von 1988 die Werft zu schließen, hat zu einer Massenabwanderung der Arbeiter geführt, worauf die Werft in Lieferverzug gekommen ist. Jetzt drohen Konventionalstrafen ausländischer Reedereien wegen Vertragsnichterfüllung in Höhe von 72,4 Millionen Dollar, eventuelle Schadenersatzforderungen wegen Gewinnausfall gar nicht mitgerechnet.

Auch sozialpolitisch wäre der Konkurs der Werft zu einem Problem geworden, über das die Regierung innenpolitisch leicht hätte stürzen können. Szyc: „Wir haben hier etwa 1.000 kleinere Zulieferbetriebe, die ausschließlich für die Werft produzieren und Schulen, die künftige Werftangestellte ausbilden. Die hätten alle schließen müssen.“

Und noch ein Anschlußkonkurs wäre fällig gewesen, der die Regierung einem internen Bericht zufolge umgerechnet knapp 30 Millionen Dollar gekostet hätte: Die Außenhandelszentrale „Centromor“, die für die Werft internationale Verträge zeichnet und für die Reedereien der eigentliche Vertragspartner ist, gehört zu 51 Prozent dem Staat. Den Rest der Anteile halten die polnischen Werften, die ihr Kapital im Konkursfall ebenfalls hätten abschreiben können.

Die Minister griffen zum einzigen Rettungsanker und gründeten eine Aktiengesellschaft die zunächst einmal alle Lasten der Werft übernimmt und gleichzeitig versucht, mit den Kunden neue und bessere Bedingungen auszuhandeln. An der könnten sich dann auch ausländische Investoren beteiligen, doch nach dem Durcheinander, das in der Werft seit dem Auflösungsbeschluß von 1988 entstanden ist, ist es wenig wahrscheinlich, daß sich da jemand findet.

Kaum hatte der damalige Industrieminister und im Westen als profilierter Reformer gefeierte Mieczyslaw Wilczek den Liquidationsbeschluß verkündet, da machte sich die damalige Werftleitung daran, ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Plötzlich entstanden überall auf der Werft kleine Privatfirmen, die auf dem Grund und Boden, in den Büros und Produktionsräumen und mit den Betriebsstoffen der Werft begannen, für diese Aufträge auszuführen. Damals bestanden für Staatsbetriebe noch staatliche Preisbegrenzungen, Privatbetriebe waren davon befreit. Statt nun Bauteile für Schiffe selbst herzustellen, gab die Werft deren Herstellung bei den „Spolki“, wie solche privaten GmbHs auf polnisch heißen, in Auftrag. Die sorgten für prompte Ausführung - und kassierten dabei horrende Summen.

Trotzdem bestellte die Werft eifrig weiter. Grund: Fast die gesamte Werftdirektion hielt Anteile an den „Spolki“: Czeslaw Tolwinski, bis vor wenigen Wochen noch Werftdirektor, Tadeusz Albecki, bis heute Zimmernachbar von Hans Szyc und ökonomischer Direktor. Tadeusz Deptala, stellvertretender technischer Direktor und Wiktor Baruch, ehemals erster Sekretär der PVAP-Betriebszelle in der Werft.

Ihre Einlagen, die im Falle der „Ref GmbH“ kaufkraftmäßig gerade dem Gegenwert einer Taxifahrt durch Danzig entsprechen, wurden auf diese Weise auf das 117fache erhöht. Eine Tatsache, die Solidarnosc zur Weißglut brachte, denn besonders Werftdirektor Tolwinski entpuppte sich als fleißiger Firmengründer.

Auch in der Teilhaberliste der „Remgaz GmbH“ findet sich sein Name; zusammen mit dem Investitionsdirektor, dem leitenden Energetiker und dem stellvertretenden Hauptbuchhalter der Werft erwirtschaftete er auf Kosten der Werft im vergangenen Jahr 449,2 Millionen Zloty ( 47.000 Dollar), womit sein Anteil in nur einem Jahr das Tausendfache davon, nämlich 12.896 Dollar abwarf. Bezahlt hat das der Staat, über die höheren Kosten der Werft. Von Parasiten, Schiebern und Krisengewinnlern wetterte denn auch Lech Walesa. Nach dem Wirbel, den die Danziger Solidarnosc inzwischen veranstaltet hat, hat sich inzwischen auch der Oberste Rechnungshof eingeschaltet, Czeslaw Tolwinski ist die längste Zeit Direktor gewesen.

Zu langsam habe Warschau reagiert, meint Lech Walesa, man hätte das „Spolki- Unwesen“ schon vor einem Jahr verbieten müssen. Doch nicht allein die Regierung ist schuld - nach polnischem Recht mußte der Betriebsrat den Verträgen jeweils zustimmen. Er tat es, denn die Spolkis erlaubten es den Werftarbeitern auch, die Lohnbremse der Regierung zu umgehen. Die Arbeiter nahmen einige Monate bezahlten Urlaub, in dem sie manchmal bis zu 16 Stunden am Tag für eine Spolka arbeiteten und ein Dutzendfaches ihres bisherigen Gehalts verdienten - anschließend kehrten sie auf ihren Arbeitsplatz im Staatsbetrieb Werft zurück und nahmen erst einmal ein paar Wochen Urlaub auf Staatskosten. Die Zahl der Spolki ist inzwischen in der Werft auf 49 angestiegen.

Unter diesen Bedingungen könne man ja nicht vernünftig investieren, fand die amerikanische Multimillionärin Barbara Johnson und flog nach Hause. Die wirklichen Gründe für die lange als „Retterin der Werft“ gefeierte polnischstämmige Unternehmerin lagen allerdings woanders. Bis heute ist unklar, welchen Wert das Werftvermögen wirklich hat und wem es eigentlich gehört. Prompt berechneten die Experten der Millionärin das Vermögen nach dem Schrottwert - schließlich, so argumentierten sie, sei die Werft ja liquidiert. Statt über die so errechneten 6 bis 7 Millionen Dollar verfügt die neugegründete Aktiengesellschaft dagegen über ein Stammkapital von umgerechnet 42 Millionen Dollar, was mehr oder weniger dem der Inflation angepaßten Buchwert des Vermögens entspricht. Barbara Johnson wollte ursprünglich für maximal 100 Millionen Dollar 55 Prozent der Werft erwerben. Nach der neuen Wertschätzung bekäme sie dafür nicht einmal eine Sperrminorität. Zur Zeit, so Szyc, gibt es niemanden, der an der Werft interessiert wäre. Das Industrieministerium hat errechnet, daß erst ab 1992 Gewinne wieder im Bereich des Möglichen liegen, selbst bei geringem Anstieg der Beschäftigtenzahl.

Bis 1991 binden Polen noch zweiseitige RGW-Abkommen mit der Sowjetunion, ein Verlustgeschäft für jeden ausländischen Investor. Erst wenn ab 1992 Schiffe für die Sowjetunion in Dollar verrechnet werden, wird sich das Schiffbauen in Danzig wieder lohnen.

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