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„Sklavenstadt“ der Raketenproduktion als Museum

Für die Freilegung des ehemaligen KZ „Mittelbau Dora“ fehlt noch das Geld  ■  Aus Nordhausen Reimar Paul

Die früheren Eingänge in den Berg sind zugewachsen, die Stollen verschüttet. Von der Umzäunung der ehemals größten unterirdischen Fabrik der Welt ist nur noch rostiger Stacheldraht übriggeblieben. Möglicherweise gibt es aber schon bald mehr zu sehen: Die „Sklavenstadt“ soll freigelegt und zu einem Museum umgebaut werden.

Nachdem die englische Luftwaffe im August 1943 die Raketenschmiede Peenemünde an der Ostsee in Schutt und Asche gelegt hatte, bauten die nationalsozialistischen Machthaber den Kohnstein, eine Hügelkette bei Nordhausen in Thüringen, zum Zentrum ihrer Kriegswaffenproduktion aus. Tief unter der Erde wurde hier fieberhaft an der Entwicklung der sogenannten „Wunderwaffen“ V1 und V2 gearbeitet.

60.000 Häftlinge aus dem eigens zu diesem Zweck errichteten Konzentrationslager „Mittelbau Dora“ preßte die SS in den bombensicheren Stollen zur Arbeit. Mehr als 20.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Als „Geheimnisträger“ sollten die Gefangenen nach Anweisung der Lagerkommandatur das Lager „nur über den Schornstein“ wieder verlassen dürfen.

An das ein paar hundert Meter vom Berg entfernte KZ erinnern noch die Betonstraßen, der Stehbunker und das Krematorium. Hier informiert eine Ausstellung über die grauenvollen Lebens- und Arbeitsbedingungen in „Dora“. Weil nach Ansicht der Nazis durch den täglichen Anmarsch aus dem Lager unnötig Zeit verschwendet wurde, mußten die Häftlinge oft wochenlang unter Tage bleiben. Peter Kuhlbrodt, Direktor des Vereins „Gedenkstätte Dora“, beschreibt die Verhältnisse so: „Ein solcher Schlafstollen faßte 3.000 Personen, war unzureichend belüftet, noch nicht einmal Pritschen.“ Die Raketenproduktion lief Tag und Nacht weiter. Der Lärm im Berg, so Kuhlbrodt, „war unbeschreiblich“.

400 halbverhungerte, todkranke Menschen konnten die nordamerikanischen Truppen, die am 11. April 1945 Nordhausen erreichten, im Konzentrationslager befreien. Die übrigen Überlebenden waren von der SS Hals über Kopf zu „Evakuierungstransporten“ nach Bayern zusammengetrieben worden.

Die Raketenfabrik im Berg aber war unangetastet und voll funktionsfähig. Als „sensationellen Fund“ wertete der US -Geheimdienst die Entdeckung. Ohne Konsultation der andern Siegermächte wurden alle fertigen Waffen, darunter 100 V2 -Raketen, aus dem Berg und in die USA geschafft. Ein klarer Bruch der alliierten Vereinbarungen. Denn die sahen vor, daß die deutschen Waffen und Forschungseinrichtungen von allen Mächten der Anti-Hitler-Koalition gemeinsam genutzt werden sollten.

Ärger mit der Sowjetunion, die kurz darauf das Gebiet besetzte, ließ denn auch nicht lange auf sich warten, wie der Historiker Kuhlbrodt weiß. „Die Rote Armee wollte nicht nur die Konstruktionspläne, sondern auch die fertigen V2. Sie erklärten den Kohnstein zum militärischen Sperrgebiet und begannen hier selber mit der Raketenproduktion.“ Erst 1948, die Anlagen waren inzwischen demontiert, ließen die Sowjets den Berg in die Luft sprengen.

Die Idee, die unterirdische Fabrik als Museum wiederaufzubauen, entwickelte der Verein „Gedenkstätte Dora“ erstmals vor zehn Jahren. Zunächst mit tatkräftiger Unterstützung der SED im Bezirk Erfurt. Doch dann wurden die vom Kulturministerium bereits bewilligten Mittel, fünf bis sechs Millionen Mark, wieder gestrichen. Jetzt hofft Peter Kuhlbrodt auf andere Geldgeber: „Die Salzgitter AG oder andere Unternehmen aus der BRD sollten den Umbau hier in die Hand nehmen und finanzieren. Denn wenn es gelingt, die Sklavenstadt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wäre das eine einmalige Sache.“

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