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Klingelbeutel auf dem Weg nach Wladiwostok

■ Freigedachtes von einem Freidenker zum Katholikentag '90 in Berlin / Beiwohnungsverbot für Klerus und Politik!

Gelassen könnten sich die BerlinerInnen zurücklehnen und dem Treiben des 90. Deutsche Katholikentages zusehen und die vier Tage, an denen die Herden von Gläubigen mit frommem Blick und aufgeklapptem Stadtplan durch die Großstadt irren, vorübergehen lassen.

Wäre nicht mit der deutsch-deutschen Vereinigungsmesse einiges anders: Aus dem Aufzug der katholischen Lämmer wird eine innenpolitische Machtdemonstration der katholischen Kirche. Es gilt, den Einfluß und die enge Verknüpfung mit dem Staat zu retten. Das Motto „Wie im Himmel so auf Erden!“ spiegelt dies wieder und kann unter den neuen politischen Vorzeichen als Kampfansage an all jene gewertet werden, die für die strikte Trennung von Kirche und Staatsmacht eintreten.

Zur Diskussion um eine neue Verfassung für Deutschland und damit der Verdrängung der beiden großen Kirchen aus ihren privilegierten Stellungen wollen es die Kleriker nicht kommen lassen.

Denn so schön kann es selbst im Himmel nicht sein, daß mit den staatlichen Steuereinzug der Obulus für den Kirchenschatz gleich miteinbehalten wird. Dazu regnet es noch Staatsleistungen in Milliardenhöhe, weil zu erwarten ist, daß der Kirche das marode Sozialsystem weitgehend überlassen wird.

Die Kirche als einer der größten ArbeitgeberInnen kann frei entscheiden, ob sie Schwule, Lesben, Geschiedene und AtheistInnen als ErzieherIn, Krankenschwester oder HausmeisterIn arbeiten läßt. Sie erteilt den Kindern an den Schulen Religionsunterricht, den ihr der Staat finanziert.

Die katholische Kirche kennt keine Demut, wenn es um ihren politischen Einfluß geht. Obwohl sie genau weiß, daß schon die Weimarer Verfassung (1919) wie auch später das Grundgesetz (1948) alle die Kirchen betreffenden Artikel als vorläufig ansah und es Konsens war, daß bei einer Neufassung der Verfassung diese Privilegien aufgehoben werden. Jetzt ist es soweit!

Doch die katholische Kirche will davon nix mehr wissen. Schließlich geht es um die Christianisierung und Eroberung des gottlosen Raumes: von Ost-Berlin, der DDR und wenn sie niemand aufhält, bis nach Wladiwostok.

Die Strategie ist klar. Der katholische Klerus greift von seinen südlichen Hochburgen aus mit Verfassungsklagen gegen den Paragraphen 218 das Grundgesetz an. In Berlin - der Stadt mit über 500.000 Konfessionslosen - macht er mit Regierungsgästen aus dem gesamten Ostblock seine bisher größte Staatsaffäre aus der Privatsache Religion.

Wer die Demokratisierung der DDR als Vorwand nimmt, um erkämpfte Rechte beim Schwangerschaftsabbruch (§ 218) oder der sexuellen Neigung (§ 175) wieder zu kippen, der fordert all jene heraus, die für Selbstbestimmung und Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Handelnden eintreten.

In diesem Sinne seien alle BesucherInnen des Katholikentages recht herzlich begrüßt. Denn es geht nicht gegen die Personen oder ihren Glauben, sondern die Politik der Institution Katholische Kirche. Wer aber vorschreiben will, wie, mit wem und mit wessen Segen wir zu leben haben, der muß nicht nur mit Spott, sondern auch mit Widerstand rechnen. Eberhard Mutscheller

Deutscher Freidenker-Verband Berli

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