: Wahlbetrug im Herzen der Revolution?
Rund ums rumänische Temeswar wurden Unregelmäßigkeiten, Schlampereien und Gerüchte gemeldet ■ Aus Temeswar Erich Rathfelder
Gänseschnattern, Bienensummen, Vogelgezwitscher und ein Storch kehrt zurück auf seinen Horst, einen Pfahl, der neben dem für die Region typischen, gelben Gemeindehaus steht. Wir befinden uns im Banat, dem westlichen Teil Rumäniens, dort, wo die Revolution am 16. Dezember 1989 begonnen hat. Es könnte ein ganz normaler Sonntag sein - wenn da nicht der Wahltag wäre. Geduldig warten Männer und Frauen, alle im Sonntagsstaat, vor dem Gemeindehaus von Partpata, bis sie an der Reihe sind. Und das kann selbst in diesem Dorf Stunden dauern, obwohl hier nur etwa 400 Menschen leben.
Drinnen herrscht die Wahlkommission: Fünf Männer und eine Frau, alle aus unterschiedlichen politischen Parteien, die erst die drei Wahlzettel kontrollieren, dann den Wählern einen Stempel in die Hand drücken und sie in eine der Kabinen leiten. Alles scheint in Ordnung, hier in diesem Dorf. Die Wahl wird korrekt abgewickelt. Der Wahlleiter, ein Jurist aus Temeswar, so beklagt sich später die einzige Frau in der Wahlkommission, habe aber manche des Lesens und Schreibens unkundige BürgerInnen „eingewiesen“ und sogar in die Kabine begleitet, was er nicht dürfe. Aber die meisten Leute stellten sowieso nur die Frage, wo die Rose ist, das Symbol der „Front zur Rettung der Nation“, um dann mit dem Stempel ihre Stimme aufzudrucken.
In anderen Wahlkreisen ging es da schon etwas anders zu. Im Dorf Utvin zum Beispiel. Dort hat der Präsident der örtlichen LPG seine Schäflein offen aufgefordert, die „Front“ zu wählen, erklärt ein Mitglied der „Liberalen Partei“, der in der Zentralen Wahlkommission in Temeswar die Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen untersuchen läßt. In Chizatau Mare sollen sich fünf bis sechs „Front„-Leute im Wahlraum aufgehalten und die WählerInnen zur „richtigen Stimmabgabe“ aufgefordert haben. Schmunzeln sogar bei dem Liberalen erregt die Nachricht, im Dorfe Mosnita Noau habe die Wahlkommission so stark dem Alkohlol zugesprochen, daß sie außerstande war, ihren Amtspflichten nachzukommen. Ernst werden die Wahlbeobachter jedoch bei der Nachricht, einem Mann sei es gelungen, zweimal zu wählen, im Wahlkreis 75 und 76 in Temsvar. Und als Verstöße gegen das Wahlgesetz könnte man werten, daß manche Wahllokale bis 5 Uhr früh offengehalten wurden, obwohl offiziell um 23 Uhr abends Wahlschluß war. Auch die Tatsache, daß in Temeswar in einzelnen Wahllokalen die Urnen für die Stimmzettel zu klein waren (man benutzte die aus der Ceausescu-Zeit) und die Wahlkommissionen diese Urnen kurzerhand in einer Wahlkabine ausleerten, die Wahlzettel dort offen lagerten, wird als Schlamperei gewertet. Manipulationen wären Tür und Tor geöffnet gewesen.
Der Wahlleiter des zentralen Wahlbüros in Temeswar, ein Richter, der die Ceausescu-Zeit im Amt überlebte, streitet alle Unregelmäßigkeiten ab. Die Wahllokale hätten so lange geöffnet bleiben müssen, um allen, die Schlange standen, die Möglichkeit zur Wahl zu geben. „Es ist eben Schlamperei oder bei manchen Provinzmächtigen noch das alte Denken, das da vorherrscht“. Von einem systematischen Betrug zu reden, wäre zu hoch gegriffen, gibt der Wahlbeobachter der „Zaranisten“ (Bauernpartei) im zentralen Wahlbüro zu Protokoll. „Die Front hätte auch unter ganz regulären Umständen gewonnen.“
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