: Keine Diestel ohne Dornen
■ Mißtrauensvotum der DSU-Fraktion gegen den Innenminister - der denkt jedoch nicht an Rücktritt
Peter-Michael Diestel ist bei seiner Fraktion in Ungnade gefallen - er ließ zuviel Milde gegenüber ehemaligen Stasi -Mitarbeitern walten. Am Dienstag hatten ihn die DSU -Abgeordneten in der Volkskammer zum Rücktritt aufgefordert, doch der smarte Bodybuilder weigert sich, dem Ansinnen nachzukommen.
Ein sächsischer Mauerermeister hat es schon am Abend des ersten Einigungstreffens im Januar prophezeit. Als CSU-Chef Theo Waigel mit den zukünftigen Parteivorsitzenden, Generalsekretären und Vorstandsmitgliedern der anvisierten „Deutschen Sozialen Union“ in der Goldenen Krone in Leipzig feierte, sagte er bereits den Untergang der DSU voraus. „Da will doch jeder sein eigenes Süppchen kochen, das geht nie gut!“. Gemeint waren die „Fürsten“ der kleinen C-Parteien, die sich unter dem massiven Einfluß Theo Waigels zu einer Partei zusammenschließen wollten. Im Februar dann wurde die Zwangsehe geschlossen. Jetzt, kaum drei Monate später, kracht es in der Partei laut und heftig.
Die 25köpfige Fraktion der DSU hat am Dienstag mit erfrischender Offenheit den Rücktritt von Innenminister Peter-Michael Diestel gefordert, dem ehemaligen Generalsekretär ihrer Partei. Die Gründe die sie anführt scheinen vordergründig plausibel. Weil er ehemalige Stasi -Mitarbeiter in seinem Ministerium weiterbeschäftige, habe er die Partei geschädigt, meinen die Abgeordneten. Daß er den ehemaligen Stasi-Chef Markus Wolf um Mithilfe bei der Auflösung des Apparates gebeten habe, finden sie besonders infam. Ein Nachfolger Diestels sei bereits ausgesucht, behauptete der Fraktionsvorsitzende und Wahlkampf -Spitzenkandidat Hans-Joachim Walter. Wer, wollte er allerdings noch nicht verraten.
Unterstützt werden die Abgeordneten aus der BRD. Lindtner, deutschlandpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, hatte bereits letzte Woche den Rücktritt des umstrittenen Innenministers gefordert. Und auch von der Mutter- und Schwesterpartei CSU aus München kommt Schelte. Diestel müsse seine Politik besser verkaufen, heißt es.
Ganz anderer Meinung ist der Vorstand der DSU. Der amtierende Generalsekretär Ralph Schiek stand dem Innenminister zur Seite. In Sachen Stasi habe er noch gar nicht viel machen können, da er die Verantwortung für die Auflösung erst am Mittwoch letzter Woche übernommen habe. Am Donnerstag hätte Diestel darüber einvernehmlich mit der Fraktion beraten, am Freitag mit dem Vorstand der Partei. Dort habe man Diestel das Vertrauen ausgesprochen.
Der Innenminister zeigte sich vom Beschluß der Fraktion „sehr überrascht und bewegt“. Er denke nicht daran, zurückzutreten, grollte er nach dem Mißtrauensvotum der Fraktion. Er habe von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, ehemalige SED-Mitglieder in seinem engen Beraterstab beschäftigen zu wollen. Es komme ihm nur auf die fachliche Qualifikation an, nicht auf das Parteibuch, hatte er bereits auf seiner ersten Pressekonferenz nach Amtsantritt formuliert.
Daß ihm inzwischen das „gesamte Innenministerium“ das Vertrauen ausgesprochen hat, wird seine Kritiker nicht gerade freundlicher stimmen. Genausowenig wie die Solidarität, die er von der Gewerkschaft der Volkspolizei erhalten hat.
Der Vorwurf gegen Diestel, er sei in Sachen Stasi-Auflösung zu zögerlich und kompromißbereit, wiegt auch deswegen schwer, weil sich die DSU selbst immer als die einzige Kraft dargestellt hat, die in der Lage sei, neue Verhältnisse im Land zu schaffen. Noch im Wahlkampf hat gerade Peter-Michael Diestel der CDU und ihrem Vorsitzenden de Maiziere vorgeworfen, als Blockpartei eine „schmutzige Weste“ zu haben. Seine Nonchalance als Chef eines Ministeriums, das fast nur aus ehemaligen SED-Mitgliedern und haupt- oder nebenamtlichen Zuarbeitern für die Stasi besteht, wird den DSU-Basisfunktionären sicher Probleme bereiten. Denn in Sachen Stasi und SED ist die Parteibasis radikal. Schon auf dem Gründungsparteitag deutete sich ein Streit darüber an, ob ehemalige SED-Mitglieder jemals in die Gemeinschaft der DSU aufgenommen werden können. Man vertagte dies damals auf den nächsten ordentlichen Parteitag.
Doch hinter dem Streit über die Stasi steht das, was der sächsische Handwerksmeister schon im Januar wußte. Aus dem Dutzend Splittergrüppchen ist nie eine Partei geworden. Das Kalkül des bayerischen CSU-Chefs Theo Waigel, seine Partei über den Umweg einer Schwesterpartei in der DDR auf das ganze Teutschland auszudehnen, ist gescheitert. Daran sind auch die offensichtlichen Querelen zwischen den Spitzenpolitikern in der DSU schuld. Der ehrgeizige Pfarrer Wilhelm Ebeling, der im letzten Herbst in Leipzig eine Partei namens CSPD gegründet hatte, später von Waigel zum DSU-Vorsitzenden gemacht wurde, heute Entwicklungshilfeminister ist und sich als Günstling von Waigel und Kohl sehen darf, will jetzt zur CDU übertreten. Ihm ist spätestens nach der verheerenden Niederlage bei den Kommunalwahlen klar geworden - die Partei bekam 3,3 Prozent aller Stimmen im Landesdurchschnitt -, daß er mit dieser Partei bei gesamtdeutschen Wahlen wohl über die Fünfprozenthürde stolpern wird. Sein Posten als Entwicklungshilfeminister wäre flöten und die Hoffnung auf einen anderen Posten im gesamtdeutschen Parlament mit DSU -Parteibuch minimal.
Der Fraktionsvorsitzende Walter, den man im allgemeinen Pöstchenverteilen vor dem Wahlkampf zum Spitzenkandidaten gemacht hatte, versucht jetzt als Wortführer der Kritik am Innenminister Profil zu gewinnen - wohl, weil er neben Ebeling und Diestel nie zum Zuge kam. Und der Fraktionär Hubertus Nowack, im Parteigründungsfieber von einst der Gegenspieler von Ebeling - er hatte in Sachsen die CSU ins Leben zu rufen versucht - tritt jetzt ebenfalls gegen Diestel an.
Mit der Entscheidung, bei den Kommunalwahlen außerhalb des alten „Allianz„-Bündnisses anzutreten, hat sich die DSU ins Abseits manövriert. Ein bundesdeutscher Parteienstreit hat sich damit von selbst erledigt. Die CDU ist jetzt in der DDR konkurrenzlos. Für den 30. Juni hat die DSU einen Parteitag einberufen, um eine neue Führung zu wählen. Das Spannendste allerdings wird sein, ob überhaupt noch Delegierte kommen.
Brigitte Fehrle
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