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Flüchtlingslager von türkischem Militär umstellt

Aus dem Irak geflüchtete Kurden befürchten Deportation / Aufforderung zur freiwilligen Rückkehr greift nicht / Bewaffnete Polizei zerstörte Zelte und schoß auf Menschen / Jeder Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten / 11.500 Menschen vegetieren in dem Lager von Mardin  ■  Von Dorothea Hahn

Berlin (taz) - Seit Tagen ist das Flüchtlingslager Kiziltepe nahe der kurdischen Stadt Mardin von türkischen Truppen belagert. Jeder Kontakt der rund 11.500 eingeschlossenen irakischen Flüchtlinge zur Außenwelt ist abgebrochen. Das Lagerkomitee, ein von den Flüchtlingen gewähltes Gremium, befürchtet nun, daß die türkischen Behörden mit ihrer Aktion die Deportation der Familien in den Irak vorbereiten. Anlaß für diese Befürchtungen sind die seit einiger Zeit intensivierten Kontakte zwischen der türkischen und irakischen Regierung. Bereits einige Tage vor Beginn der Belagerung hatten Vertreter der Flüchtlinge in einem Appell an den deutschen Bundestag dringend um Hilfe gebeten.

„Außer offiziellen Verlautbarungen ist jetzt nichts mehr aus den Flüchtlingslagern zu hören“, beschreibt Ilker Maga, türkischer Fotograf und Journalist, die Situation. Seit Inkrafttreten der Bestimmung 413 im April ist es unmöglich, in den in der Türkei erscheinenden Zeitungen Nachrichten über die kurdischen Flüchtlinge aus dem Irak zu veröffentlichen. Bei der Eröffnung einer Fotoausstellung mit dem Titel Flucht vor dem Giftgas über das Flüchtlingsleben in den Lagern Kiziltepe, Diyarbakir und Mus, die jetzt in Bremen zu sehen ist, berichtete Ilker Maga über die Stimmung unter den Flüchtlingen. In der vergangenen Woche, so sein Bericht, seien 2.250 bis 2.500 kurdische Flüchtlinge in den Irak zurückgekehrt, ohne daß es ein offizielles Protokoll über diese „Rückführung“ gibt. Damit ist jegliche Kontrolle der Sicherheit der Rückkehrer unmöglich.

Am 21. Februar dieses Jahres war eine Delegation mit dem türkischen Innenminister im Irak. Danach begannen die Aufrufe zur Rückkehr. Am 26. Februar hatte der irakische Präsident Saddam Hussein eine Amnestie für Rückkehrer verkündet - gleichzeitig sagten die Vereinten Nationen ein 14,5-Millionen-Mark-Projekt für ein Flüchtlingsprojekt in Yosgat ab. „Danach waren die Kurden völlig desillusioniert“, erklärte Ilker Maga. Saddam Hussein befristete die Amnestie zunächst bis zum 11. April, verlängerte sie dann jedoch bis zum 11.Juni. Aufgrund des zunehmenden Drucks und aus Furcht vor weiteren Repressalien forderte inzwischen der Gouverneur des Lagers Mus die Flüchtlinge auf, daß aus jeder ihrer Wohneinheiten einer in den Irak zurückkehren solle.

In den drei Flüchtlingslagern ist die Stimmung zweigeteilt. Während die einen das Leben dort nicht mehr aushalten und den über Lautsprecher verbreiteten Aufrufen „Kehrt zurück in die Dörfer“ Glauben schenken wollen, fordern die KDP („Kurdische Demokratische Partei“) und die Sprecher der Lager zum Bleiben auf. KDP-Führer Barzani teilt den Flüchtlingen per Flugblatt mit, daß in den Dörfern ihr Hab und Gut längst beschlagnahmt worden sei. Man weiß auch, daß Rückkehrer mit einem roten Paß ausgestattet werden sollen, der sie künftig gegenüber den gebräuchlichen gelben als Rückkehrer aus der Türkei ausweist und sie von der irakischen Bevölkerung abgrenzt.

Die Repressionen in den Lagern sind seit Februar verschärft worden. Im Lager Kiziltepe wird seit zwei Monaten die wöchentliche Fleischration nicht mehr ausgegeben. Bis dahin durften die Flüchtlinge noch in den umliegenden Dörfern einkaufen - seit zwei Monaten ist ihnen auch dies verboten, um sie von der türkisch-kurdischen Bevölkerung fernzuhalten. Dreimal war die tägliche Brotration vergiftet, angeblich vom irakischen Geheimdienst, der sich mit den türkischen Bäckern verbündet haben soll. Schreibutensilien wie Bleistifte und Papier werden konfisziert, um die selbstorganisierte Erziehung der Kinder in den Lagern hinter Stacheldraht zu verhindern. Die Gesundheitsversorgung ist nach wie vor katastrophal.

Nach Berichten der Hilfsorganisationen „medico -international“ und „Gesellschaft für bedrohte Völker“ drangen in der Nacht zum 13.Mai bewaffnete Polizisten und Mitglieder der militärischen Sondereinsatzkommandos unter Führung des türkischen Provinzgouverneurs in das mit Stacheldraht abgeriegelte Lager ein, wo sie wahllos auf Menschen schossen und einprügelten. Die Uniformierten zerstörten bei dem Einsatz mit gepanzerten Fahrzeugen auch mehrere der von der Bundesregierung finanzierten Flüchtlingszelte. Sämtliche Läden, die Flüchtlinge in Selbstorganisation am Lagereingang errichtet hatten, wurden niedergemacht. Seither befindet sich das Lager im Belagerungszustand. Die Wasserversorgung wurde unterbrochen, Mitglieder des Lagerkomitees inhaftiert. Die Menschen trauen sich aus Angst vor weiteren Übergriffen und Festnahmen nicht mehr aus den Zelten heraus.

Kiziltepe ist eines von drei großen Lagern im Südosten der Türkei, in denen rund 32.000 kurdische und christlich -assyrische Flüchtlinge interniert sind. Sie waren nach den irakischen Giftgasangriffen vom August 1988 in die Türkei geflohen. Damals wurden im Irak rund 500 Dörfer zerstört und mehrere tausend Menschen getötet und gefangengenommen. Dennoch haben die türkischen Behörden sie nicht als politische Flüchtlinge anerkannt.

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