HEILIGE BRÄNDE

■ Shaws „Saint Joan“ von den Berlin Play Actors

Das Stück spielt zu einer Zeit „when refrigerators didn't exist“, als eine nur leben konnte, wenn sie das Zwitschern der Vögel in den Bäumen vernehmen konnte, und da sie lebenslang eingekerkert werden sollte, hat die heilige Johanna aufs Leben lieber ganz verzichtet und nicht abgeschworen. Sie wurde also verbrannt, alles an ihr ging in Flammen auf bis auf ihr Herz. Das war echt. Searching for a heart of gold... wer das tut, sollte unbedingt in dieses Stück Saint Joan“ von George Bernard Shaw gehen. Wie alle großen Produktionen der englischsprachigen Theatergruppe „Berlin Play Actors“ sind keine Erwartungen zu hoch gesteckt. Sie symbolisieren noch jedes Symbol fünfmal, holen aus den Figuren noch den Schatten heraus, und charmante Männer gibt es, daß man aus dem Entzücken gar nicht mehr herauskommt.

Jeder Modedesigner könnte sich bei den Kostümen eine Scheibe abschneiden: Thomas Maria Mrozek, der Kostümbildner, zieht ein unglaublich surreales Band durch die Historie der visuellen Erscheinungen. Mittelalterlich-schaurige Kirchenväter in ausgeschweiften Flattermänteln und Badekappen aus schwarzem Filz mit dazugelieferten schwarzen Augenringen lügen das Blaue vom Himmel und exerzieren paradebeispielhaft, was Verlogenheit ist, was sprachliche Verschleierungen sind und Machtgier, die sich mit wohlmeinender institutioneller Verantwortung kaschiert.

So, da haben wir dann Joan, die später heiliggesprochene, sie ist das Mädchen vom Lande, frisch, fröhlich, direkt, unerschrocken. Aber sie ist auch geistreich, klar und in ihrer Überzeugung so verankert, daß sie menschlich allemal den Spielraum hat, die hochwürdigen Figuren auf die Schippe zu nehmen, deren schwächliche Knackpunkte zu finden und sich nicht von ihrer Überzeugung durch gesellschaftlichen Firlefanz abschrecken zu lassen. Die überlieferte Story erzählt, daß sie Stimmen gehört hat, von Gott, die ihr sagen, wie Frankreich gegen die Engländer verteidigt werden könne. Damit schießt sie aber quer gegen jede Hierarchie von Logik und routinemäßigem Procedure. Sophie Sarre, die Joan, wird in ihrer „Echtheit“ nie pathetisch, kitschig schon gar nicht, obwohl sie die Trägerin der Botschaft schlechthin ist. Gut und böse, schwach und stark, das sind die Pole dieser zeitlos gewordenen Geschichte. Rik Maverik, der Inquisitor und Regisseur des Ganzen, der Böseste der Bösen, ist so eiskalt und gestisch so präzise, daß sich der Kreis sauber schließt. Präzision der Gesichtszüge ist eine weitere Hauptfreude an dieser Aufführung, eine Tragikomödie über Menschen, wie sie eben sind, wenn sie mal aus sich herauskommen. Darum gehen wir auch ins Theater, um mal richtig zu sehen, wie einer vor Angst schlottert, nämlich Patrick Lanagan als zukünftiger König, ein rührender Schwächling, der in seiner armseligen Ehrlichkeit durch und durch transparent ist. Die Spielfläche seines Gesichts ist dieser Figur völlig ergeben. Am Ende hoppelt er auf Samtsocken, über die jedes Kind stolpern würde, auf seinem französischen Lilienbette hin und her und freut sich über kriegerisches Gemetzel fernab, während die Geschichte längst zu Ende ist, zwanzig Jahre nach der Verbrennung der Johanna, und alle Figuren noch einmal aus der Hölle hervorkommen. Nur Johanna kommt aus dem Himmel herunter, und man reicht sich einige vertraulich geplauderte Versöhnlichkeiten. Der Kern der Wahrheit war ja auch bei den Hochwürdigen nicht auszurotten gewesen, so bricht ein geistlicher Verfolger beim Brennen der verhaßten Jungfrau schluchzend zusammen, was habe ich gemacht... Zu spät. Verleugnung von Wissen ist eines der Themen.

Die Bühne ist schlicht konstruiert, eine Rampe, auf der die Hin- und Herlaufenden von beiden Seiten besehen werden können. Eine metallic schimmernde Conferencier-Dame erklärt den Fall: „Was, wenn alles gesagt ist, ist ein Heiligenschein? Nur noch etwas zu putzen...“ Joan soll relativiert werden, damit die Historie zum Lehrstück werden kann.

Sophie Ferdinand

„Saint Joan“ von den Berlin Play Actors in der „Pumpe“, Lützowstraße Heute, morgen, am 30. 5. und im Juni ebenfalls um 20 Uhr.