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SALTIMBOCCA DELL'ARTE

■ Gabriele Mucchis „Arbeiten zum Theater“ in der Akademie der Künste (Ost)

Auf Wunsch legt die Kartenverkäuferin die Videokassette ein. Zu flirrenden Farben, die immer wieder ins Schwarzweiß abstürzen, erzählt eine frostige Frauenstimme sozialistisch -realistischen Wahnsinn: Gabriele Mucchi, der italienische Maler und Graphiker, Architekt und Designer, sei bis dato ein Kämpfer der Witwen und Waisen, der Arbeiter und Bauern. Sein Hauptmotiv, angelnde Fischer im Wind, spiegle in expressiver Bildsprache und „unruhigen Farben“ immer wieder neu die Tragik gefährlicher Arbeit auf See und die Not der Daheimgebliebenen wider. Selbst bei Themen wie dem Netzeflicken auf der Mole spüre man noch den Schiffbruch. Auch Mucchis späte Arbeiten seien von geradezu revolutionärer Manier. Gabriele Mucchi, der von 1928 bis 1931 in Berlin studierte und seit den fünfziger Jahren, neben Mailand, auch in Ost-Berlin wohnt und arbeitet, habe so die Kunst der DDR mehr als angeregt.

Wahrlich, in wenig genug Bildnissen Mucchis sitzen die Figuren wie Felsbrocken der Arbeiterklasse. Dann meint man, sie ausschneiden zu können, so plastisch und skulptural wirken ihre Konturen. Die klassische Monumentalität, geeignet für den naiven Realismus von Kinderspielzeug, läßt die sinnliche Vitalität der Körper beinahe platzen, soviel Kraft geht von ihnen aus. Was die Wirklichkeit ihnen abgetrotzt hat, gibt Mucchi den Revolutionären in seinen Gemälden zurück.

Doch gleichen die meisten Bilder Mucchis einer metaphysischen Irrfahrt ins Innere seiner Porträts, die hinter fast geometrisch komponierten Linien - wie die funktionalistischen Bauten des Künstlers - ein zweites unruhiges Leben zu leben scheinen, das zerbrechlich, einsam und voller Abgründe ist. In die vordergründig glatten Fassaden der gemalten Figuren reißen die riesigen Augen schwarze Löcher, die den Blick des Betrachters ins Innere ziehen.

Auch im Unterschied zum frostigen Kommentar des Videobands sind Gabriele Mucchis Arbeiten für das Theater, die in der Akademie der Künste (Ost) aus Anlaß des 90. Geburtstags des Künstlers ausgestellt sind, das schiere Gegenteil von Sachlichkeit, Pathos und Opfermut. Mucchis Skizzen und Zeichnungen, Figurinen und Bühnenbilder, die er für Inszenierungen am „Deutschen Theater“ und am „Berliner Ensemble“ in den fünfziger Jahren entwarf, haben nichts mit dem strengen Realismus gemein, der nur auf den Text schaut, um diesen abzubilden. Sie sind vielmehr Interpretationen von Dichtung und variieren das Objekt, bewegen und verwandeln es, versuchen selbst Theater zu sein. Mucchi inszeniert ein Modell-Spiel mit den Personen. Er läßt sie verschiedene Masken und Posen probieren und denkt sie in weiten, offenen Räumen. Die Bühne gleicht eher einem Zauberland denn einem definierten Ort. Aus einem Sammelsurium von Requisiten, die ein phantastisches Beziehungsgeflecht miteinander verknüpft, entwirft er eine metaphysische Topographie aus Sein und Schein, in der sich die Protagonisten nur ebenso artistisch verhalten können.

Schon Mucchis Figurinen zu Brechts Der gute Mensch von Sezuan (Berliner Ensemble, 1957) lassen eine Folge von windigen Typen und lustigen Karikaturen erscheinen, die den Possenreißern aus der Commedia dell'arte näher sind als dem chinesischen Puppenspiel oder einem deutschen Lehrstück. Skizzenhaft inszeniert Mucchi das Verwechslungsspiel von Shen Te alias Shui Ta als ein sprunghaftes Hin- und Hergerissensein, das nicht aus Not drängt, sondern Spaß macht. Ein Saltimbocca mit den Masken für böse Buben und gute Lieben wird angerichtet.

Filmisch-dramatisch dagegen sind die Entwürfe zum Theaterstück Das Leben des Galilei für das Berliner Ensemble, ebenfalls aus dem Jahre 1957, bei dem Ernst Busch den Mathematiker aus Padua gab. In einer Folge von Porträts, die Buschs Gesicht im Halbprofil immer enger an den Rahmen pressen, dringt Mucchi auf Galilei ein. Aus dem Brechtschen Taktiker wird hier ein Gehetzter. Die storyboardartigen Zeichnungen dynamisieren die Figur, als stecke in seinem Charakter das Wesen rasanter Geschwindigkeit und technischer Zukunft. Den Bühnenraum, so verrät ein Plakat, das Mucchi zur Aufführung entwarf, beließ der Künstler beinahe leer und verstärkte die Sogwirkung durch einen schwarzen Hintergrund, als führe der Raum in kosmische Tiefen.

Einer Zeitmaschine schließlich gleicht das Bühnenbild zu Eduardo de Filippos Weh dem, der träumt, das 1958 am Deutschen Theater aufgeführt wurde. Unter einem kellerartigen Tonnengewölbe hat Mucchi eine surreale Welt kreiert. Durch zwei seitliche Fenster fällt gleißendes Licht herein, das den Raum in Abschnitte rhythmisiert. Die Requisiten eines mittelalterlichen Laboratoriums versetzen den Betrachter anstelle des Schauspielers ins Träumen.

Neben die Theaterentwürfe hat der Veranstalter auch Einzelblätter Mucchis gehängt, die Illustrationen zu Gedichten von Bertolt Brecht und Charles Baudelaire zeigen. Der scharfe lakonische Strich und die aggressiven witzigen Kompositionen der Bühnenarbeiten sind hier einer lyrisch -malerischen Stimmung gewichen, die sich der melancholischen Atmosphäre seiner Gemälde anpaßt, wenn sie nicht gar das revolutionäre Pathos seiner sozialistisch-realistischen Phase beschwören.

rola

Die Ausstellung „Gabriele Mucchi - Arbeiten zum Theater“ ist noch bis zum 8. Juni in der Akademie der Künste, Robert-Koch -Platz 7, Berlin-Mitte zu sehen, Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr. Gleichzeitig sind Entwürfe des Bühnenbildners Karl von Appen ausgestellt, der bis zu seinem Tod im Jahre 1981 am Berliner Ensemble tätig war und für Brecht, Engel und Tenschert die Inszenierungen einrichtete.

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