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Die Ökonomie der Zukunft

■ Wirtschaftliche Blüte ohne Geld? Bartering, das heißt der direkte Tausch von Gütern und Dienstleistungen macht es möglich - zumindest in einem gewissen Rahmen.

Von

MATHIAS BRÖCKERS

eld stinkt nicht“ - mit diesem Motto wurde von der Antike bis zu Dagobert Duck die Qualität barer, unverderblicher Zahlungsmittel gerühmt. Doch erst heute trifft es richtig zu: Plastikgeld ist nicht nur geruchlos, es hat überhaupt keine physischen Eigenschaften mehr und existiert einzig als magnetische Spur im Speicher eines Großrechners. Die elektronische Datenverarbeitung hat aber nicht nur die Form des Geldes abgeschafft, sie hat es auch ermöglicht, daß sein „Inhalt“, die Funktion als Medium des Tauschs, im Verschwinden begriffen ist. Der Einsatz von Computern rückt die authentische Form des Handelns, den geldlosen, freien Tausch, wieder ins Blickfeld - nicht als nostalgisches Relikt, sondern als effiziente Ökonomie der Zukunft.

Die Idee geht zurück auf das Konzept des „Tausch -Sozialisten“ Pierre Joseph Proudhon (1809-1865), den Marx in seinen ökonomischen Schriften als utopischen Spinner polemisch abservierte, was sich nicht erst heute, nach dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Murkswirtschaft, als verfrüht herausstellt - seit Jahren prosperieren in den USA und Kanada „Barter-Clubs“ (bartertauschen), die eng an Proudhons Vorstellungen des direkten, geldlosen Tauschs angelehnt sind. Das Prinzip dieser Tauschbörsen, deren Jahresumsatz weltweit auf 400 Milliarden Dollar geschätzt wird, ist denkbar einfach: Die Mitglieder bieten Waren und Dienstleistungen an, ohne dafür Bezahlung in Geld zu verlangen. Für jede Leistung oder Lieferung erhalten sie eine Gutschrift auf ihrem Barter-Konto und können im Gegenwert Leistungen und Lieferungen jedes beliebigen anderen Mitglieds beziehen. Dieser Bezug ist auch möglich, wenn das Mitglied selbst noch keine Leistung erbracht hat, das Barter-Konto wird dann entsprechend belastet und - das ist der Knackpunkt - muß (regional verschieden) erst nach neun oder zwölf Monaten ausgeglichen werden.

Ein Beispiel: Wer eine Pizzeria eröffnen will und einen Ofen braucht, bekommt ihn von einem Barter-Mitglied kostenlos geliefert. Den Wert der Lieferung handeln Bäcker und Ofenbauer unter sich aus, er wird ihrem Barter-Konto belastet bzw. gutgeschrieben. Da nun der Ofenbauer bis zum Jahresende keine tausend Pizzas gebrauchen kann, tritt der Barter-Club als Clearing-Stelle ein, indem er der Pizzeria das Angebot einer Firma vermittelt, die zur Jubiläumsfeier tausend Gäste verköstigen muß. Der doppelte Vorteil des Systems liegt auf der Hand: Einerseits spart der Pizzabäcker die Kreditkosten für den Ofen, andererseits erhält er Aufträge, an die er ohne Barter nicht oder nur mit immensen Werbekosten herangekommen wäre. Für den Ofenbauer gilt dasselbe, er hat nicht nur einen quasi zusätzlichen Ofen verkauft, sondern muß auch die neuen Werkstattfenster, die er sich dafür von einem Barter-Mitglied einbauen läßt, nicht finanzieren.

o ist der Haken bei der Sache? Oder ist Bartering schlichtweg die geniale Idee? Das Problem, was geschieht, wenn eine entgegengenommene Leistung innerhalb eines Jahres nicht völlig durch eigene Waren oder Dienstleistungen ausgeglichen werden kann, weil die Clearing-Stelle eben keine Betriebsfeier mit tausend Pizzas vermitteln kann, führt schnell zur Grundsatzfrage, ob Barter tatsächlich völlig ohne Geld funktioniert. Hugo Godschalk, der die Geschichte des direkten Tauschs theoretisch untersucht hat (Hugo Godschalk: Die Geldlose Wirtschaft - Vom Tempeltausch zum Barter-Club, Basis-Verlag 1986), verdeutlicht, daß der Gewinn, der zinslose Kredit des Barter -Prinzips nicht aus dem Nichts kommt. Ein Hundertmarkschein ist mehr wert als ein Haufen Bleistifte für hundert Mark, der Schein hat einen Liquiditätsvorteil, er wird überall fraglos als Cash akzeptiert. Dieser Vorteil beruht nicht auf der Qualität des Geldbesitzers, sondern auf der allgemeinen Akzeptanz des Geldes - und dies ignorieren die Barter -Mitglieder ein Stück weit, indem sie auch den Haufen Bleistifte als Barter-Geld akzeptieren, zumindest eine gewisse Zeit lang. Nach Ablauf eines Jahres muß das Barter -Konto ausgeglichen werden - wenn unser Bäcker bis dahin nur Angebote für fünfhundert Pizzas „verbatern“ konnte, muß er den Rest der Ofenrechnung jetzt begleichen, in einer Verrechnungseinheit, die von allen Barter-Mitgliedern akzeptiet wird: Cash.

o ganz geldlos geht es also nicht, und völlig zinslos und ohne Transaktionskosten kann Barter nur auf gemeinnütziger Non-profit-Basis funktionieren. Bei kommerziellen Barter -Clubs schlägt neben einer vom Umsatz abhängigen Mitgliedsgebühr noch eine Pflicht-Versicherungsprämie zu Buche - dennoch scheint sich die Barter-Mitgliedschaft vor allem für kleine und mittlere Betriebe zu lohnen. Der 1986 in Österreich, mittlerweile mit Filialen in der Bundesrepublik und Spanien vertretene kommerzielle „Barter Clearing & Information„-Club (BCI) expandiert stramm und hat mittlerweile 7.400 Mitglieder. Als wichtigstes Element ihres Clubs nennen die BCI-Vertreter ihre Datenbank, die in mittlerweile 13.000 Branchengruppen für einen optimalen Abgleich von Angebot und Nachfrage sorgt - und das Talent, stets neue Mitglieder zu akquirieren.

Denn es liegt auf der Hand, daß die Funktionsfähigkeit des Barter-Clubs mit der Zahl der Mitglieder steigt, auf eine Mindestzahl wollten sich die Praktiker nicht festlegen: Der gescheiterte Versuch der „Tauschzentrale“ in Hamburg hätte gezeigt, daß 400 offenbar zu wenig seien. Andererseits mochte man auch semantische Probleme nicht ausschließen: „Tauschzentrale“ - das klinge eben nach „Täuschzentrale“.

aß es sich bei Barter tatsächlich um einen optimierten Tausch und nicht um Täuschung handelt, belegen vor allem Beispiele aus den USA. Die größte Barter-Firma, die New Yorker „Attwood Richards Inc.“, wies schon 1984 einen Jahresumsatz von 100 Millionen Dollar aus und bedient hauptsächlich Großfirmen. Den Mitgliedern wird 36 Monate lang Kredit gewährt, und als Verrechnungseinheit fungiert eine „Trade Unit“, die einem Dollar entspricht. Als in Paris der Eiffelturm überholt wurde, vermittelte Attwood sämtliche Stahl- und Sicherheitsnetze an das beauftragte französische Unternehmen. Die Franzosen zahlten unbar: mit dem Interieur des Eiffelturm-Restaurants, für das die Clearing-Stelle dann einen Vergnügungspark und ein traditionsversessenes Hotel als Abnehmer suchte.

Das Barter-Prinzip ist ökonomisch, weil es genau das Umgekehrte tut wie eine Bank: Es belohnt den, der Geld ausgibt und bestraft den, der es hortet. Es lohnt sich nicht, erbrachte Leistungen als Barter-Gutschrift stehenzulassen, es gibt keinen Zins dafür - bevor jemand also eine Leistung erbringt, muß er wissen, welchen aktuellen Bedarf er hat und ihn am selben Tag bei Barter anfordern. Insofern hat das Barter-Prinzip auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen - es verhindert die Akkumulation von Schätzen und fördert produktive Investitionen.

Diesen kreislaufbeschleunigenden Effekt des geldlosen Tauschs hat in der Nachfolge von Proudhon der anarchistische Ökonom Silvio Gesell in den Mittelpunkt seines „Freiwirtschaft„-Konzepts gestellt, seine Ideen haben das Spätwerk des berühmten Ökonomen John Meynard Keynes, sein von der etablierten Wissenschaft gern ignoriertes IWF- und Weltbank-Modell, deutlich beeinflußt.

Könnten also Tauschbörsen die „Macht der Banken“ knacken und zur Ökonomie der Zukunft werden? Gesell und Keynes waren davon überzeugt, und in den USA haben Barter-Clubs mittlerweile eine Größe erreicht, die die Mitgliedschaft, auch für Nichtunternehmer, zur Deckung des alltäglichen Bedarfs interessant macht. Andererseits funktionieren Börsen wie ein Barter-Club nur deswegen so gut, weil sie den Gesamtmarkt auf eine Nische verkleinern und das im Großen unüberschaubare Oszilieren von Angebot und Nachfrage überschaubar machen. Sofern der Barter-Marktausschnitt auch nur annähernd repräsentativ ist, muß die Sache funktionieren: Indem es den bestraft, der Leistung (Geld) hortet und den mit zinslosem Kredit belohnt, der damit arbeitet. Die Aktualität des Barter-Prinzips für den Aufbau der Marktwirtschaft in der DDR ist offensichtlich: Nichts wird dort dringender gebraucht als zinsloser Kredit.

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