: Künftig Selbstverwaltung in polnischen Gemeinden
In den ersten Kommunalwahlen seit dem Machtwechsel werden am Sonntag die Weichen für den Aufbau des staatlichen Unterbaus in Polen gestellt / Solidarnosc ist im Streit mit Solidarnosc, weil viele Bürgerkomitees sich gespalten haben / Weißrussen und Ukrainer melden sich zu Wort / Deutsche in Oppeln drittstärkste Kraft ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
„Angst vor der Urne?“ fragte kürzlich die 'Trybuna‘, Organ der aus der PVAP hervorgegangenen polnischen Sozialdemokratie ihre Mitglieder ironisch. „Wenige der Parteichefs vor Ort wollen sich bei den Kommunalwahlen aufstellen lassen“. Viele der Genossen von einst glauben einfach nicht, daß ihre Partei reale Chancen hat. Denn wenn am Sonntag in Polen zum ersten Mal nach dem Krieg Kommunalwahlen im Mehrparteiensystem stattfinden, steht für sie der Sieger trotz der vermutlichen niedrigen Wahlbeteiligung schon fest. Allen Umfragen nach werden 40% der Sitze die Kandidaten der verschiedenen Bürgerkomitees einnehmen, die von Solidarnosc beeinflußt werden.
Trotz der Übermacht der Bürgerkomitees wird es aber in Wahrheit einen Solidarnosc-Sieg wie vor einem Jahr bei den Parlamentswahlen nicht mehr geben. Denn die Bewegung von damals hat sich aufgespalten. In manchen Städten und Dörfern gibt es mehrere Bürgerkomitees, in anderen hat die örtliche Gewerkschaftsorganisation von Solidarnosc dem Bürgerkomitee das Recht auf das inzwischen geschützte „Firmenzeichen“ Solidarnosc entzogen. Auch deshalb ist die Zahl der Parteien und Listenverbindungen, die sich um die rund 52.000 Mandate in den 2.348 Gemeinden bewerben, auf über 80 gestiegen. Aufgrund der ländlichen Struktur Polens werden auch der polnischen Bauernpartei sehr gute Chancen eingeräumt. Aufsehen erregte dabei das Bündnis der Bauernpartei mit der kleinen, aber radikalen „Nationalen Partei“, die bisher vor allem durch minderheitenfeindliche und antisemitische Äußerungen aufgefallen ist. Die Nationalisten treten in 26 von insgesamt 49 Wojwodschaften allein an, in anderen in Koalitionen. Nationale Minderheiten
Sehr aktiv sind auch die nationalen Minderheiten, die durch die Wahlen erstmals die Möglichkeit haben, sich vor Ort Grundlagen für ihre kulturelle Eigenständigkeit zu schaffen. Im weißrussischen Teil Polens um Bialystok im Nordosten, wo sich vor kurzem eine eigene weißrussische Partei, die „Demokratische Weißrussische Vereinigung“ gegründet hat, treten „Weißrussische Bürgerkomitees“ an, die Weißrussisch in Gemeinden mit weißrussischer Mehrheit als Pflicht- und zweite Amtssprache einführen, zusätzliche weißrussische Schulen gründen und die Ortsschilder mit zweisprachigen Aufschriften versehen wollen. In Olsztyn koaliert indessen das „Ukrainische Bürgerkomitee“ mit dem Bürgerkomitee Solidarnosc zusammen. Die Ukrainer haben es von allen Minderheiten am schwersten, aufgrund der Umsiedlungen nach dem Krieg sind sie über ganz Polen zerstreut und bilden nur selten geschlossene Gemeinden.
Am aktivsten tritt indessen die deutsche Minderheit auf, in der Wojewodschaft Opole bewirbt sie sich um über 500 der knapp 1.500 Mandate, in Katowice treten 39 deutschstämmige Kandidaten an, in der Wojewodschaft Tschenstochau fünf. In Oppeln, wo die „Gesellschaftlich-Kulturelle Vereinigung der Deutschen Minderheit“ gute Aussichten hat, in zahlreichen Gemeinden die Mehrheit im Rat zu stellen, machen sich deren Aktivisten bereits Hoffnungen auf deutschstämmige Bürgermeister und Vögte, wie die Gemeindevorsteher in Polen künftig heißen werden. Im Gegensatz zu den Senatsnachwahlen im Februar, als Solidarnosc und die Minderheitenvereinigung noch gegeneinander antraten, gibt es jetzt gemeinsame Listen. In der Bierawa koaliert das Bürgerkomitee Solidarnosc mit der Vereinigung, in anderen Dörfern haben sich die Deutschstämmigen mal mit einem „Bauernkreis“, mal mit der örtlichen Feuerwehr zusammengeschlossen.
Der Wahlkampf wird auch in den Massenmnedien geführt. In Katowice selbst hat die „Gesellschaftlich-Kulturelle Vereinigung der Deutschstämmigen“ von den ihr zustehenden kostenlosen Werbezeiten gar keinen Gebrauch gemacht, eine Ausnahme. Häufig versuchen Organisationen aber, noch zusätzlich Zeit einzukaufen. In Torun hat das dortige Solidarnosc-Komitee seine Sendezeit auf besonders orginelle Weise erweitert: mit Hilfe des Senders der dort stationierten Einheit der Roten Armee.
In Polen werden die Kommunalwahlen als wichtigster Schritt zur Demokratie und Überwindung des alten Systems gewertet. Mit ihrer Hilfe hofft das Regierungslager die Nomenklatura auf dem Lande, in Jahrzehnten gewachsene Korruptionsnester und dörfliche Mafias loszuwerden. Zugleich soll damit die Macht dezentralisiert werden, denn künftig werden die kommunalen Gebietskörperschaften nicht mehr bloße Exekutive der Zentrale in Warschau sein, sondern selbständige kleine Republiken. Sie erhalten das Recht, eigene Steuern zu erheben, Betriebe zu gründen und ein Budget aufzustellen. Der Wojewode, wie bisher vom Premier ernannt, wird die Tätigkeit der Räte nur noch kontrollieren. Manches weist darauf hin, daß diese Rechnung aufgeht. Von den bisherigen Gemeinderäten haben sich nur ganz wenige wieder aufstellen lassen.
Klaus Bachmann
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