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CHRISTUS ZU DIENSTEN

■ „Ecce Homo!“ - christliche Motive in Bildern und Skulpturen der Gegenwart bei Brusberg

Die Galerie Brusberg gibt sich als vornehmste Galerie der Stadt. Schon von weitem winken majestätisch im Sommerwind flatternde weißgelbe Fahnen. Einen roten Teppich hinauf geht es in die Folge lichter Räume, in die Beletage des Eckhauses Kurfürstendamm/Uhlandstraße. Kleine Balkone führen Richtung Boulevard - man bräuchte nur hinauszutreten und der Menge unten huldvoll zu winken.

Vor dem Haus läuft aber niemand auf, auch wenn das Thema der gegenwärtigen Ausstellung auf den 90. Katholikentag zugeschnitten ist: „Ecce Homo! oder: Christus verweigert den Gehorsam“ ist sie nach dem gleichnamigen Bild von Bernhard Heisig betitelt. Abends, wenn alles getan ist, versammeln sich hier graumelierte Herren, trinken Weißwein und sprechen über Politik. Ihre Ehefrauen stehen vor einem anderen Bild und geben sich den Tip, daß Karten für Voraufführungen von Theaterstücken billiger sind als für die regulären Spielabende. Tagsüber ist es ruhig, die Scharen kunstgieriger Katholiken bleiben aus. „Gar keine Zeit für so etwas“, gab ein aus Düsseldorf angereistes Ehepaar Auskunft. „Bei dem Programm!“

Dabei arbeitet bei Brusberg die Guardini-Stiftung mit, um wie schon im Martin-Gropius-Bau mit „GegenwartEwigkeit“ und im Haus der Deutschen Geschichte mit der Wettbewerbsausstellung „Altarbild - Geist und Körper“ weiter zwischen Kunst, Wissenschaft und Religion zu vermitteln. Die Guardini-Stiftung, gegründet 1988, ist ebenfalls eine Versammlung graumelierter Herren. Aus dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben sie ihre eigenen Konsequenzen gezogen: Sie benannten sich nach Pater Romano Guardini, der zwischen 1923 und 1939 einen Lehrstuhl für katholische Weltanschauung an der Friedrich-Wilhelms-Universität innehatte, und zitieren in ihrer Eigendokumentation eine Notiz des Geistlichen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: „Wissenschaft und Technik haben die Energien der Natur wie des Menschen selbst derart zur Verfügung gestellt, daß Zerstörungen schlechthin unvorstellbaren Ausmaßes, akute wie chronische, eintreten können. Mit genauestem Recht kann man sagen, daß von jetzt ein neuer Abschnitt in der Geschichte beginnt. Von jetzt an und für immer wird der Mensch am Rande einer sein ganzes Dasein betreffenden, immer stärker anwachsenden Gefahr leben.“ Von hier aus zieht sich für die Guardini-Stiftung eine Linie über Harrisburg, das Ozonloch, Tschernobyl und SDI. Um die vom Menschen selber entfesselten physikalischen Kräfte zu meistern, bräuchte es mit Guardini „eine neue menschliche Haltung“, die ausgerechnet mit einer Rückbesinnung der Wissenschaft auf die katholische Ethik hergestellt werden soll - die Kunst macht den Kasper irgendwo dazwischen.

In dieser dritten christlichen Ausstellung am Kurfürstendamm wird Christus vor allem gekreuzigt. Den Bildern vom irdischen Leiden gegenübergestellt sind nur wenige Arbeiten zur Auferstehung und Bilder und Skulpturen, die einen Grenzbereich thematisieren, in dem Irdisches und Jenseitiges ineinander übergehen. Die meisten Werke kommen aus der DDR, wie um einen Überblick über sozialistisch -realistische Malerei mit religiösen Motiven zu geben bzw. um Brusberg reichliche Lagerbestände an DDR-Malerei, noch rechtzeitig bevor diese aus der Mode kommt, an den Mann zu bringen. Draußen finden sich aber relativ willkürlich Arbeiten aus der BRD, aber auch solche aus Spanien, Großbritannien, Brasilien und Kolumbien.

Auf den ersten Blick verweigern sich die Christusdarstellungen den auf diesem Gebiet trotz gebrochener Tradition im 20. Jahrhundert immer noch (spät -)mittelalterlich oder romantisch geprägten Sehgewohnheiten. Harald Metzkes Christus am Kreuz (DDR, 1979) wurde genau auf die Mittelsenkrechte genagelt: An unendlich langen, von schmeißfliegenähnlichen Wunden übersäten Armen hängt ein spillerdünner Körper, unter dessen ungesund gefärbter Haut sich die Rippen einzeln abzählen lassen. Die sind umso auffälliger, als daß der Betrachter nicht etwa wie vor den Christusdarstellungen der Vergangenheit zu Füßen des Gekreuzigten steht und staunend aufschaut. Vielmehr trifft der Blick gleich den Bildmittelpunkt, den Bauch des Opfers, und gleitet von dort an einer Blutspur herab zum Penis des Unbeschürzten. Der Betrachter schwebt sozusagen, wenn das Kreuz nicht lächerlich kurz sein sollte. Über dem Schauenden befindet sich nur noch der Kopf Christi, der schlaff vornüber gesackt ist. Unter dem dunkelblonden Schnäuzer steht der Mund des Toten recht unedel offen und gibt mit den aufgedunsenen Backen dem Hingerichteten einen dümmlichen Gesichtsausdruck. Alles in allem bietet der Mann einen jämmerlichen Anblick. Hinter ihm tut sich die Wüste auf, vielleicht mit etwas Gebirge, etwas Wasser. Von den beiden anderen Gekreuzigten ist weit und breit keine Spur.

Umso wichtiger sind diese auf Werner Tübkes Lithographie Kreuzigungsszenen. Rechts und links des Herrn Jesu mit dem römisch edlen Kopf krümmen sich die beiden Verbrecher. Ihre Gesichter wirken dumm und verschlagen, aber unendlich menschlich im Vergleich zu denen der Gliederpuppen, die sich zu Füßen der drei Kreuze in höfischer und klerikaler Tracht tummeln. In der Kreuzigungsszene von 1987 haben diese Gestalten dann endgültig affenähnliche Masken anstelle an Antlitzen, dunkle Höhlen anstelle von Augen, oder gleich Totenschädel auf dem Hals.

Neben den beiden Tübke-Bildern erhebt sich die große, stumpfweiße Gestalt Wolfgang Peukers aus ihrem kühlen, weißgequaderten Grab. Merkwürdig proportioniert mit schon seelenlosem Gesicht steigt der weiße Riese nach rechts oben seinem ausgestreckten Arm folgend aus dieser Welt heraus.

Heike Ruschmeyers Autisten (1988/89) haben dieses Auffahren nicht nötig. Auf jedem Teil des Triptychons steht je ein junger Mann, nackt, und berührt mit einer Hand einen Teil seines Körpers, den Arm oder den Bauch. Die drei halten ihre Augen geschlossen, ihre Gesichter sind selig entrückt. Die schmalbrüstigen, unbehaarten Körper wirken kindlich und verletzlich, engelsgleich, und wie Engel nahezu geschlechtslos: Das Glied löst sich in den Strukturen von Kunstharz, Eitempera und Ölfarbe auf Packpapier und Nessel auf und wird mit dem verschwommenen dunklen Hintergrund eins.

Zu diesen illustren Namen gesellen sich bei Brusberg noch Altenbourg, HAP Grieshaber und der abstrakte Tapies, und auch bei den Skulpturen findet sich Prominenz: Emil Cimiotti mit seinen bis auf die blanken Knochen entfleischten Figuren und Dietrich Klinges mit ebenerdigen Bronzeplatten. Den Vogel aber schießt Brusberg mit dem populär freundlich dicken Ecce Homo! von Fernando Botero (Kolumbien) ab, das für 800.000 Mark aus der Galerie zu tragen ist.

Natürlich verweigert sich die Mehrzahl der hier versammelten Christusse nicht wirklich dem Gehorsam - weder Gott noch dem Menschen, wenn von Heisigs namengebendem Werk abgesehen wird, das Jesus sich die Dornenkrone vom Kopf reißen läßt. Brusberg und die Guardini-Stiftung können den Titel nicht ernst genommen haben: Wem gegenüber Christus ungehorsam sein soll, lassen sowohl Titel wie Ausstellung selber offen. Die Überzahl der figürlichen Darstellungen verhalten sich (mittlerweile) konform: der Kunstgeschichte und dem etablierten Kunsthandel gegenüber, den Katholiken gegenüber, denen das Abbild Anzubetender Gewohnheit ist.

Claudia Wahjudi

Bis 14. Juli, Galerie Brusberg, Kurfürstendamm 213, Dienstag bis Freitag 10 bis 18.30 Uhr, Samstag von 10 bis 14 Uhr.

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