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Meister P(r)opper

 ■ S T A N D B I L D

(Philosophie heute, Sa., 22.40 Uhr, West 3) Die Philosophie ist eine Dame ohne Gewissen. Wie in der biblischen Geschichte von Jakob und Esau verkauft sie ihr Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht. Weshalb der wabernde Eindruck entsteht, das Fernsehen selbst philosophiere, und nicht der über sein Werk befragte, 87jährige Sir Karl Popper. So rahmen die Bilder von der (Er-)Öffnung des Brandenburger Tors leitmotivisch die Sendung ein: „Sieg der Vernunft über eine Ideologie“, lautet der triumphale Kommentar von Autor Uwe Zimmermann, der dem liberalistischen Gestus des greisen Philosophen damit noch reaktionäre Untertöne verlieh. Die Bilder vom Brandenburger Tor bilden eine geradezu zynische Evidenz einer opportunen Philosophie, die mit dem programmatischen Slogan „Laßt Theorien sterben, nicht Menschen“ - gewollt oder ungewollt - für die Marktwirtschaft wirbt. Zeitgenössischer Philosophie käme aber gerade die Aufgabe zu, Hintergründe von freiheitlichen Entscheidungen zu hinterfragen, Motivationen differenziert zu untersuchen. Freiheitliche Entscheidungen, wie die der Mehrheit der DDR Bevölkerung, sich dem Westen anzuschließen, erscheinen aus philosophischer Perspektive längst nicht mehr so frei. Die Aufgabe einer Sendung, die sich bemüht, eine Philosophie vorzustellen, die gerade über den Freiheitsbegriff philosophiert, wäre die, den Simplifizierungen des Medienapparates entgegenzuwirken. Statt dessen hören wir z.B. Poppers Forderung nach „Selbstverantwortung des Menschen über seine Geschichte“, während wir - geradezu der Hohn - Bilder eine Gruppe von Bauarbeitern sehen, die einen Weg betonieren.

Die philosophischen Thesen Raimund Poppers wurden auch im Weiteren weder transparent dargestellt, noch kritisch hinterfragt, sondern zu telegenen Häppchen aufbereitet. Poppers Methodologiekritik, nach der die Verallgemeinerung der einzelnen Beobachtung zu allgemeinen Gesetzen letztlich nur auf Vermutungen basiert, wird anhand eines Schwanenteiches illustriert, auf dem anscheinend nur weiße Schwäne dahindümpeln und uns fälschlicherweise zur Annahme verleiten, es gäbe nur weiße Schwäne. Doch just in diesem Moment werden wir durch die Großaufnahme eines schwarzen Schwans belehrt, daß wir da einem Trugschluß aufsitzen. Kurz darauf versichert man uns, die „Ideologen des Historizismus“ lebten in „Wolkenkuckucksheimen“: Klar und deutlich sehen wir die dazu passende Wolkenformation eines bedeckten Himmels. Ob Popper tatsächlich so naiv ist oder nur in der Darstellung im Fernsehen so erscheint, bleibt unbeantwortet.

Manfred Riepe

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