„Für ein vereinigtes Eurasien“

■ John Runnings und Sean Teaschner kämpfen gegen militärische Grenzen / Spektakuläre Aktionen „gegen alle militärischen Grenzen in der Welt“

Am Checkpoint Charlie gibt es seit einigen Tagen Aufregung. Zwei Amerikaner verbrannten ihre Pässe, übermalten den weißen Grenzstreifen mit schwarzer Farbe, legten sich auf die Fahrbahn und blockierten den Verkehr und versuchten immer wieder ohne Paß und Visum die Grenze zu überqueren. Die beiden heißen John Runnings und Sean Teaschner. Sie selbst bezeichnen sich als internationale Politiker.

„Wir sind gegen alle militärischen Grenzen in der Welt“, sagt Sean und zeigt auf das große gelbe Poster, das er trägt. In der oberen Hälfte sieht man, wie ein sowjetischer und ein amerikanischer Panzer aufeinander zu fahren, hinten fahren sie voneinander weg. John lehnt sich an einen Holzpfeiler des Sektorenschildes am Checkpoint. Er singt leise vor sich hin, während er an Passanten Flugblätter verteilt. John ist 72 Jahre alt und kommt aus Seattle. Er wurde durch seine spektakulären Auftritte an der Mauer bekannt. Die Zeitungen nennen ihn den Mauerläufer, weil er 1986 auf der Mauer herumspazierte, bis ihn die Grenzer runterzerrten.

John Teaschner ist 25 Jahre alt. Er hat Germanistik studiert und wollte Hochschullehrer werden. Da er keine Stelle bekam, begann er in einem Werkzeugladen als Verkäufer zu arbeiten. Nun dolmetscht er für John und begleitet ihn bei den Aktionen. „Als wir in Amerika von der Revolution in der DDR erfuhren und hörten, daß die Mauer gefallen sei, beschlossen wir, nach Deutschland zu reisen. Wir wollten uns davon überzeugen, daß die Mauer, gegen die John so lange gekämpft hat, wirklich offen ist. Dann sahen wir, daß man immer noch nicht frei und ohne Kontrolle von einem Teil der Stadt in die andere gelangen kann und deshalb blieben wir hier und starteten unsere Aktionen“, erzählt Sean. „Wir wollen zeigen, wie einfache Bürger mit friedlichen Aktionen gegen Grenzen kämpfen können. Wir warten nicht darauf, bis die Politiker und Diplomaten etwas tun. Unser Ziel ist es, zu erreichen, daß Grenzen nicht durch das Militär kontrolliert werden, sondern über zivile Gesetze“, erklärt John. Sein Vorbild ist Mahatma Gandhi.

Auf Ostberliner Territorium ist am Checkpoint noch ein Teil der Mauer intakt. Mit roter und gelber Farbe haben die beiden ihren Schlachtruf auf den Beton gemalt: „Wir brauchen keine Militärgrenzen mehr; wir brauchen die Vereinigten Staaten von Eurasien“.

John ist stolz auf Sean: „Er ist der einzige, der mir hilft“, sagt er, und ein wenig traurig erklärt er: „Es ist schon komisch, daß so große Aktionen keine Unterstützung finden.“

Sean bewundert John. „Der John hilft Leuten, die nicht mehr wissen wohin, zum Beispiel entlassenen Strafgefangenen. Er läßt sie in seinem Haus wohnen, sie müssen nur ein wenig Geld für das Essen bezahlen. So etwas gibt es in Amerika selten“, sagt er.

Bevor John versucht, eine Weltreise ohne Paß und Visa über Polen, die Sowjetunion, die Mongolei, Korea und China zu unternehmen, und John wieder nach Hause fliegt, wollen sie noch einmal auf sich und ihre Ziele aufmerksam machen. Mit einer Säge gehen sie auf die Holzpfeiler des Sektorenschildes los. Schnell greifen Polizisten ein. Sie zerren an der Säge und versuchen, sie aus Johns Händen zu entreißen. Sean und John werfen sich auf den Boden und schreien. Die Polizisten heben die beiden auf und schleifen sie zum Polizeihäuschen am Checkpoint. Kurze Zeit später kommen zwei Polizeitransporter. Die Säge und das Poster werden von den Polizisten „sichergestellt“. John und Sean werden „eingetütet“, wie ein Polizist sagt. Das ganze dauert nur wenige Minuten. Hat es einen Sinn gehabt?

„Jeder, der mich anfaßt und meine Taten verhindern will, gibt mir eine Bühne. Und vielleicht beginnen die Leute auch über Politik nachzudenken“, sagt John. Ein paar Neugierige, die die Szene am Checkpoint beobachtet haben, sind geteilter Meinung. „Ach, die verrückten Amerikaner“, sagen die einen, „es ist eine Schande, daß es nicht mehr Menschen gibt wie John und Sean“, sagen die anderen.

Mara Kaemmel