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Erst Mensch bleiben...

Chinesischer Computerunternehmer Runnan unterstützte Demokratiebewegung  ■  I N T E R V I E W

taz: Wie sah Ihre Unterstützung für die Demokratiebewegung des Pekinger Frühlings 1989 aus?

Wan Runnan*: Damals war ich Vorstand der Stone-Computer -Firma und habe die Studenten unterstützt so gut ich konnte, sei es finanziell oder auch mit technischen Mitteln. Wir haben sie mit Telefonen, Nahrungsmitteln und Medikamenten ausgestattet. Darüber hinaus haben wir aber auch eigene Leute auf den Tian'anmen entsandt. Wir hatten sehr enge Verbindungen zu den Studenten und gehörten der autonomen Organisation der Intellektuellen an und dem Koordinationskomitee. Drei Mal haben wir die Studentenführer zusammengerufen - darunter auch Wan Dan und Wuer Kaixi - und ihnen geraten, sich zurückzuziehen, sobald sich die Situation zuspitzen sollte. In einem Aufruf forderten wir zudem die sofortige Einberufung des Volkskongresses. Dieser Aufruf wurde von vielen Mitgliedern des Volkskongresses unterzeichnet, was uns Li Peng bis heute noch nicht verziehen hat.

Sie konnten sich also auf eine relativ große Fraktion, auf die Leute hinter Zhao Ziyang, verlassen?

Nein die Demokratiebewegung war eine der Studenten und Bürger. Natürlich haben die Fraktionen, etwa die Zhao Ziyangs von der anderen Seite her die Bürger unterstützt, aber wir haben keinen Kontakt aufgenommen - vielleicht wäre das besser gewesen.

Wie war die Situation in Ihrer Firma, hat denn die ganze Belegschaft hinter Ihren Aktionen gestanden? Wie kann der Konzern heute weiterproduzieren?

Damals stand in der Tat die ganze Firma hinter dieser Bewegung. Die Leute haben mir Briefe geschrieben, einen sogar unter dem Motto „Erst Mensch bleiben, und dann Geschäfte machen“.

Stone ist allerdings ein Huhn, das goldene Eier legt. Hätte der Staat es geschlachtet, hätte er auf Steuereinnahmen in Höhe von jährlich 50 Millionen Yuan verzichten müssen. Deshalb läuft die Produktion weiter.

Kürzlich hat sich die chinesische Regierung über Computerviren beschwert, von denen die staatlichen Informationszentren befallen seien. Sind da die Hacker der Opposition am Werke?

Ich vermute daß es technische Ursachen sind. Allerdings ist die Bevölkerung seit der Niederschlagung der Bewegung sehr aufgebracht und macht sich natürlich durch passiven Widerstand Luft, auch in der Computerbranche. Darunter könnte durchaus die Qualität der Programme leiden.

Die Demokratiebewegung fand ihre entschlossensten Anhänger doch gerade in jenen Kreisen, die mit westlicher Lebensweise und Gedankengut ganz unmittelbar in Berührung kamen, etwa unter den Hotelbelegschaften, Computerfirmen und Studenten. Andererseits wurde u.a. von der hiesigen Solidaritätsbewegung wiederholt ein umfassendes Wirtschaftsembargo gefordert. Welche Position vertritt die FDC in diesem strittigen Punkt?

Wir sprechen uns nicht für einen totalen Wirtschaftsboykott aus. Wir sind nur gegen langfristige Regierungskredite zu niedrigen Zinssätzen. Wir unterstützen aber den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch. Diese Türe sollte nicht zugeschlagen werden.

Sie setzen demnach auf Reformen, die die Kommunistische Partei innerhalb eines Mehrparteiensystems aufheben. Welche Lösungskonzepte haben Sie aber für die strukturellen Probleme des Landes?

Wenn die KP selbst nach der Etablierung eines Mehrparteiensystems noch an der Macht bliebe, müßten wir das akzeptieren. Sollte sich die Bevölkerung in demokratischen Wahlen für die KP entscheiden, müßten wir dies als demokratische Kräfte akzeptieren - Demokratie heißt ja nicht, daß wir an die Macht kommen. Die Wahrscheinlichkeit, daß in einem solchen System die KP an der Macht bliebe, ist indes äußerst gering. Dem steht allein schon die vierzigjährige Erfahrung der Menschen unter dieser Partei im Wege. Sollte die Bevölkerung die freie Wahl haben, würde sie sich bestimmt nicht für die KP entscheiden.

Mit der Einführung eines Mehrparteiensystems ohne ökonomische Strukturveränderungen ist es aber doch nicht getan?

Unter Demokratie verstehe ich ein System, daß eine vergleichbar starke und reife Partei neben der regierenden zuläßt. Unbedingte Voraussetzung ist allerdings eine Marktwirtschaft, die ein klares Eigentumsrecht garantiert. Von Region zu Region sollte es unterschiedliche Reformphasen geben. Wir können nicht mit einem wirtschaftlichen Ansatz sämtliche Probleme Lösen. Heute sind Privatunternehmen nur in jenen Tätigkeitsfeldern zugelassen, in denen der Staat gescheitert ist. Dieses Verhältnis muß sich umkehren. Kommunikations- und Verkehrswesen, Energie- und Wasserversorgung sollten schrittweise privatisiert werden.

Teilen Sie die Einschätzung, daß die Ereignisse in China zum Erfolg der osteuropäischen Demokratiebewegungen beigetragen haben?

Selbstverständlich hat die Bewegung, aber auch die Reaktion der Führung, die osteuropäischen Bewegungen beeinflußt. Andererseits sind die inneren Faktoren in Osteuropa von größerer Bedeutung - der langjährige Kampf um Freiheit und der lang gehegte Wunsch nach Demokratie. Was heute im östlichen Europa, in der Sowjetunion geschieht, steht uns noch bevor.

Welche Strategie verfolgt die FDC in näherer Zukunft?

Zunächst wollen wir die Zahl der Unterorganisationen in aller Welt erhöhen, breite Allianzen, und die Kooperation fördern. Dann gilt es mehr Einfluß auf China zu nehmen, etwa durch Radiosender und Fax-Aktionen. Schließlich wollen wir mehr Druck auf die chinesische Führung selbst ausüben.

Interview: Simone Lenz

* Wan Runnan ist heute Generalsekretär der chinesischen Oppositionsbewegung im Ausland, FDC.

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