: Vorläufiges Aus für AKW Greifswald
Die vier maroden Alt-Reaktoren werden abgeschaltet / Block eins soll aber noch bis zum Jahresende in Betrieb bleiben / Ein Sicherheitsgutachten macht Auflagen für die Nachrüstung der Atom-Invaliden / Weiterer Ausbau des Komplexes bleibt unangetastet ■ Aus Ost-Berlin Manfred Kriener
Das marode Atomkraftwerk Greifswald wird zum Ende dieses Jahres wegen seiner gravierenden Sicherheitsmängel abgeschaltet. Dann soll ein ökonomisches Gutachten klären, in welchem Umfang die vier bislang betriebenen Reaktorblöcke nachgerüstet werden können. Das - vorläufige - Aus für Greifswald wurde gestern von DDR-Umweltminister Steinberg und seinem Bonner Kollegen Töpfer in Ost-Berlin bekanntgegeben. Grundlage der Entscheidung war das Sicherheitsgutachten der Kölner Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS). Ungeachtet der großen Probleme mit den vier Alt-Reaktoren, soll der fünfte Block von Greifswald in diesem Jahr in Betrieb gehen. Auch der Bau der Reaktoren sechs bis acht wird in Greifswald fortgesetzt.
DDR-Umweltminister Steinberg faßte das GRS-Gutachten zusammen und sprach von „erheblichen sicherheitstechnischen Defiziten“ der vier alten Greifswald-Blöcke. Neben den schwerwiegenden technischen Mängeln seien auch von den Bedienungsmannschaften „gravierende Verstöße gegen die Sicherheitsbestimmungen“ begangen worden. So sei der Reaktor trotz Leckagen vorschriftswidrig weiter in Betrieb gehalten und die Aufsichtsbehörde nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden. Konsequenz der festgestellten Sicherheitsmängel müsse die Abschaltung aller vier Reaktoren sein.
Der Vollzug dieser Entscheidung wird allerdings voraussichtlich bis zum Jahresende dauern. Drei der vier Greifswald-Blöcke sind zwar schon vorsorglich vom Netz (und bleiben es). Doch der noch laufende Block eins soll trotz aller Sicherheitsmängel noch bis zum Jahresende weiterbetrieben werden. Er versorgt die 40.000 EinwohnerInnen der Stadt Greifswald mit Heizwärme.
Die rund 8.000 Arbeitsplätze in Greifswald sollen zumindest kurzfristig erhalten bleiben: Durch den Bau eines neuen Heizwerkes, das ab Dezember die Wärmeversorgung für die Stadt übernehmen soll, und durch den weiteren Ausbau des Atomkomplexes mit der Inbetriebnahme von Block fünf sollen Massenentlassungen vermieden werden. Die Abschaltung der vier Reaktoren bedeutet allerdings noch nicht das definitive Aus. In dem Sicherheitsgutachten der GRS werden Auflagen formuliert, die für den Weiterbetrieb notwendig sind. Sollten diese Auflagen durch Rekonstruktionsmaßnahmen erfüllt werden, könnten die nachgerüsteten Blöcke „selbstverständlich“ wieder ans Netz gehen, sagte Steinberg. Zum Kostenaufwand der notwendigen Nachrüstung wollte Steinberg vor der Einholung eines ökonomischen Gutachtens nichts sagen. Rainer Lehmann, Direktor der Atomkraftwerke der DDR, sprach anschließend von Nachrüstungskosten unter einer Milliarde D-Mark. Allerdings erwartet er, daß noch weitere Sicherheitsauflagen nachgeschoben werden könnten. Demgegenüber hatten die Alternativ-Gutachter der bundesdeutschen Öko-Institute die Nachrüstungskosten auf „sechs bis zehn Milliarden D-Mark“ beziffert. Der Bonner Umweltminister Töpfer bewertete die von Steinberg angekündigte Abschaltung als ein „mehr als verantwortungsbewußtes Handeln“, das „sehr viel Respekt“ verdiene.
Auch bei einer Rekonstruktion der Greifswald-Reaktoren werden die versprödeten Reaktordruckbehälter nicht ausgetauscht. DDR-Umweltminister Steinberg berichtete, daß die nachträgliche - unter Werkstoffexperten höchst umstrittene - „Heilung“ der Reaktorherzen durch Ausglühen erfolgreich gewesen sei. Bei zwei der vier Blöcke sei die Heilung abgeschlossen, beim dritten Block sei sie im Gange. Kommentar auf Seite 10
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