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Der wahre Fußball ist ein Heimspiel

■ Maradona? Klinsmann? Weltmeisterschaft in Italien? Wirklich aufregend ist doch nur eins: Tipp-Kick

Wenn die Stimme von Heribert Faßbender anhebt, schalten 33 Prozent der TV-Zuschauer ab. Und dann? Sollten die sich an die Männchen erinnern, die auf Namen wie „Emma“ oder „Uwe“ hörten und die alte Schachtel mit dem Spiel wieder einmal hervorkramen. Und mit Sicherheit lassen sich von den 67 Prozent noch einige abwerben.

Wie man hört, steht es um die klassische Bildung schlecht, und deshalb, sag‘ ich mir, ist es mal an der Zeit, einen Artikel mit Shakespeare und Mark Anton zu beginnen. Eben mit Bildung und so: III. Akt, Szene 2, Zeile 82/83 - völlig, liebe Philologen, ich weiß es, aus dem Zusammenhang gerissen.

Also: „Der Herr Thömmes ist ein ehrenwerter Mann.“ Und lieb und nett und lästig. Er nervt und quengelt, terrorisiert und setzt einen unter Druck: per Brief und Telefon und Telefax. Nochmals III, 2, 83: „So sind sie alle, alle ehrenwerten Männer.“

Der Herr T. will immer nur das Eine: einen Artikel, 80, 90, 150 Zeilen lang. Und er hat auch einen Vorschlag: „Schreib‘ etwas über Tipp-Kick!“ Das sei, findet er, „der einzig wahre Sport überhaupt.“ Und dann weiß er auch noch, wie die Geschichte anfangen soll, etwa so: „Wollen mal so sagen: Wer geht heute noch ins Stadion? Jeder hat sein Stadion zu Hause.“ So etwas hält der Herr T., wollen mal so sagen, für spannend. Also: Tipp-Kick.

Wollen mal so sagen: Meine Mutter ist an allem Schuld. Weil sie mir das Spiel schenkte, Weihnachten 1965 war's. Weil es auf der Schwäbischen Alb so kalt ist, weil die kleinen Kinder gerne in der warmen Stube hocken und rumnölen. Und was kann man da und dagegen machen? fragte sich die sorgende Mutter. Richtig: Tipp-Kick schenken und spielen lassen.

Aber eigentlich schuld an der ganzen Sache sind „Emma“ Emmerich, der Mann mit der linken Klebe, und Eusebio und auch der Mann, den sie „uns Uwe“ nannten und Sigi Held diese Fußballer, die noch wirkliche Helden waren und dementsprechend Tore schossen, die noch ordentliche Tore waren - ohne lange zu fackeln, abgezogen. Da machte es noch bumm. Emma und Co. waren noch Vorbilder. So mußte man sein: „Tore sind mein Leben.“

Die Bundesliga rauf und runter spielten wir auf dem grünen Filzlappen mit den grün-weißen Törchen - das halbe Dorf machte mit. Wir spielten den Europa-Cup nach und die Bundesliga sowieso. Ermittelten den Deutschen Meister. Und wir stellten das WM-Endspiel 1966 nach. Wir spielten auf Zeit und auf zehn Tore - ohne Verlängerung. Aber mit Rückspiel. Wir lagen auf dem Boden und drückten die Knöpfchen auf den Köpfchen der Figürchen - so lange, bis die Finger verkrampften. Bis wir nachts davon träumten, ja auch das. Wir feilten an den Kickschuhen 'rum, um noch trickreicher zu schlenzen; kurz: Wir spielten nicht, wir lebten Tipp-Kick.

Bogenlampen und Aufsetzer waren das Größte, und sie gaben dem Leben einen Sinn. Wollen mal so sagen: Die Welt um uns versank, und es war die Zeit der Apo und des Club 19 im Süddeutschen Rundfunk und der kleinen, roten Mao-Bibel und der unten ausgestellten Hosen und was kümmerte es uns, daß die großen Kids in den großen Städten die großen Straßen rauf und runter rannten, „Ho-Ho-Ho-Chiminh“ brüllten und von Wasser aus Wasserwerfern durchweicht wurden? Wir spielten: „Ich bin Borussia Dortmund und du der Vaueffbee.“

Der Vaueffbee war schon immer schlecht. Und Schweiß floß. Und Tränen. Und wir waren glücklich. Und wir stritten uns über die Regeln. Aber, Herr Thömmes, wollen mal so fragen: Interessiert das eigentlich irgend jemanden?

Arno Luik

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