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Der Ausstieg der AL aus der Koalition führt zur Bedeutungslosigkeit

■ Die Toleristen ignorieren die hessischen Erfahrungen und trauern alten Zeiten nach / Ein SPD-Senat wird keine grüne Politik umsetzen

Das Gerede vom Koalitionsbruch ist so alt wie die Koalition selbst. Wird derzeit wieder einmal das alte Lied gespielt, oder gibt es neue Untertöne? Die Toleristen propagieren erneut ihren Traum: die Tolerierung einer SPD -Minderheitsregierung. Dabei werden weder die Erfahrungen der hessischen Grünen mit der Tolerierung aufgearbeitet noch blickt man auf den Tag danach, wenn nach einem Regierungsausstieg der AL eine neue Regierungsmann -/frauschaft zu wählen wäre - in dem Modell eben SPD -SenatorInnen. Implizit wird hier also davon ausgegangen, daß SPD-SenatorInnen rot-grüne Politik besser umsetzen würden als AL-SenatorInnen bzw. daß die AL-Fraktion ohne eine Regierungsbeteiligung mehr Hebel in der Hand hätte, ihre Ziele durchzusetzen.

Hier wird die Rechnung gleich mehrfach ohne den Wirt gemacht: Wie würden Senatsbeschlüsse zum Potsdamer Platz, zum Stadtgrün-Berlin (Buga '95), zum Hahn-Meitner-Institut wohl aussehen, wenn die AL mit ihren Senatorinnen nicht auf der Regierungsbank säße? Nur zur Erinnerung: Für den Potsdamer Platz liefe derzeit bereits das Bauwettbewerbsverfahren, hätte sich Herr Nagel durchgesetzt, und statt eines Park auf dem Gelände des ehemaligen Potsdamer Personenbahnhofs ließen die Wettbewerbsteilnehmer eventuell einen Grünstreifen zwischen den Hochhäusern frei, damit auch die Hunde in der Großstadt zu ihrem Recht kommen. Die Buga '95 würde irgendwo an den Stadtrand verlegt, um die kostbare Mitte der Metropole frei von neuem Grün planen und bauen zu können. Im Verfahren um die Genehmigung des HMI -Forschungsreaktors wären die Potsdamer BürgerInnen nicht zu ihrem Recht gekommen, Einwendungen vortragen zu können, und wahrscheinlich hätte sich die Position von Bundesforschungsminister Riesenhuber durchgesetzt, daß das „Schicksal“ der abgebrannten Brennelemente nicht zu interessieren habe, obgleich die Bundes-SPD und die anderen SPD-geführten Bundesländer anderer Meinung sind, nämlich der, daß nur die Endlagerung bestrahlter Brennelemente, nicht jedoch deren Wiederaufbereitung oder Zwischenlagerung im Ausland akzeptabel ist.

Das sind nur wenige Beispiele aus der Arbeit des Senats, an der das Parlament nicht direkt beteiligt ist und Einfluß nehmen kann - mithin auch nicht eine tolerierende AL -Fraktion im Abgeordnetenhaus. Hinzu kommen die wöchentlich

-zig Entscheidungen, die ein Regierungsmitglied zu treffen hat. Glauben die Tolerierungsprotagonisten wirklich, ein/e Rote/r würde Entscheidungen grüner treffen? Warum sollte auch ein roter Senat rot-grüne Senatsarbeit machen? Zum zweiten: Wie würden sich die anderen parlamentarischen Akteure verhalten, deren Existenz von Arkenstette/Gukelberger in dem taz-Artikel vom 22. Mai ausgeblendet wird? Zwar wird von ihnen beteuert, daß man „Diepgen und seine Truppe“ nicht will, aber manchmal kommt gerade das, was keine/r gewollt hat. Der Zeitpunkt des erneuten Vorschlags der Tolerierung einer SPD -Minderheitsregierung und des Ausstiegs aus der Koalition war nicht zufällig. Es war der Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen und Magistratsbildung in Ost-Berlin, und damit war der Vorstoß ein Signal für den Rückzug grün -alternativer Entscheidungsbeteiligung auf Gesamtberliner Ebene. Er bildete die Rückendeckung für den Beschluß der Grünen/Bündnis 90, in die Opposition zu gehen, und heraus kam eine SPD/CDU-Koalition. Auch die West-CDU macht hinreichend deutlich, daß sie an einer großen Koalition dringend interessiert ist. Die SPD dagegen ist es nicht. Warum sollte sie auch ? Bei einem Ausstieg der AL aus der Regierungsverantwortung im Sommer bekäme der Ruf nach schnellstmöglichen Gesamtberliner Wahlen seine wesentliche Rechtfertigung. Warum dann nicht mit der Konstituierung der Länder in der DDR und den dortigen Landtagswahlen auch Gesamtberliner Wahlen? Die Monate bis dahin könnte die SPD -Regierung versuchen, möglichst nicht von parlamentarischen Entscheidungen abhängig zu sein - ein Westberliner Haushalt für 1991 wäre ohnehin obsolet. Die SPD ginge in beiden Teilen der Stadt mit dem Regierungsbonus in die Gesamtberliner Wahlen, die AL bzw. das Bündnis 90/Grüne mit dem Malus, aus der Regierungsverantwortung aus- bzw. nicht eingestiegen zu sein. Und daß die WählerInnen angesichts der vor uns liegenden Probleme das Modell der Tolerierung nicht akzeptieren werden, dessen bin ich mir sicher.

Wem arbeiten die Tolerierungsprotagonisten eigentlich in die Hand? Der AL sicherlich nicht! Den Mitgliedern den Ausstieg aus der Koalition zu empfehlen und gleichzeitig zu suggerieren, es ändere sich nichts in der politischen Landschaft, weil durch die Tolerierung immer noch Kontrolle ausgeübt würde, ist Irreführung. Arkenstette/Gukelberger begründen den Vorschlag auf Ausstieg allerdings auch nicht mit in die Zukunft gerichteten Argumenten. Vielmehr wird in dem Artikel eine retrospektive Haltung eingenommen: Man hängt der guten alten Zeit des Ungebundenseins der AL in ihren Anfängen nach, gibt einen Bericht über die Befindlichkeit ab und beklagt den vermeintlichen Verlust an Identität.

Die Sucht nach Niederlagen ist hier wieder federführend bei der Suche nach Koalitionsbruchstellen und Ausstiegsgründen. Allzuleicht wird auch vergessen, daß es in einer Demokratie um das Ringen um gesellschaftliche Mehrheiten geht. Oder wie Bernd Köppl es an anderer Stelle formulierte: Wir haben keine Revolution, sondern nur eine Wahl gewonnen. Wer das wieder will, sollte sich die Auswirkungen der Parteistrategie auf die nächsten Wahlen sehr wohl überlegen. Die BerlinerInnen können jetzt auch den Bundestag direkt mitwählen. Der nächste Wahlkampf steht uns damit bald ins Haus. Die Gangart im Senat wird noch härter werden, zu Lasten der Suche nach Gemeinsamkeiten der Koalition, zugunsten der Partei- oder Personenprofilierung. Der Versuch meines Kollegen Nagel, im Ostteil der Stadt ein Ressort zu übernehmen - mit dem seit dem 9. November ganz zentralen Bereich der Stadtentwicklung - und damit neue Fakten zu setzen, die er in der rot-grünen Koalition nicht durchsetzen konnte und kann, ist nur eines der Vorspiele. In dieser Situation durch freiwilligen Verzicht auf Regierungsbeteiligung in eine Nische zu kriechen, die uns großzügig von den Volksparteien zugebilligt wird, führt zur Bedeutungslosigkeit. Wer grün-alternative Ziele in dieser Stadt auch in Zukunft realisiert haben will, sollte in dieser Situation vielmehr Überlegungen anstellen, wie die Basis die Mitglieder ihrer Fraktion und ihre Senatorinnen unterstützen kann, statt die Anforderungen an die Basis zu geben, ihnen eben diese zu entziehen.

Michaele Schreyer (AL), Senatorin für Stadtentwicklun

und Umweltschut

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