: Wir kennen alles
■ 25 Dresdener Amateurtheatraliker mit „Schaf“ und „Spielregeln“ in town
Es geht um die Wahrheit. Die Wahrheit ist, daß die Jacke eine Jacke ist. Die Behörde sagt, daß die Jacke ein Schaf ist, sie hat das schriftlich. Denn einmal hat Antonow bestätigt, daß seine Jacke ein Schaf ist. Aber nur, weil er die Jacke, deren lange Haare einem mangelwirtschaftlichen Notkauf entstammten, nur so, als „privates Schaf“ geschoren und allerdings auch registriert bekam. Die Behörde beginnt, für das Schaf Steuer einzutreiben, Antonow für die Wahrheit, die Jacke heißt, zu kämpfen. Die sieben Beugetaktiken der unwandelbaren Behörde zur Wahrung der selbstgemachten Scheinwirklichkeit, das ist das Stück des bulgarischen Autors Stanislav Stratiev. Und ein Antonow, der aus der Normalität von Freunden herausfällt, die die Wahl zwischen wahr Reden und undiskriminiert Leben zugunsten letzterem lösen; nur eine geht mit ihm, die ist der Lüge innerhalb des Apparates müde geworden.
Die Leute vom Dresdener Amateurtheater „Hans Otto“ spielen schmucklos, requisitenarm, statisch, unbeleckt von jedem Körpertheater, Aufgang, Abgang, Rede, gut artikuliert, oft in erstaunlich verschiedenen sächsischen Klangfarben, sehr ernsthaft, komisch. Und: mit merkwürdigen Hohlräumen, in denen nicht gesprochen wird, wo eine Spielerin einen Spieler ansieht, nichts passiert, dann geht es weiter. Ich glaube, solche guttuenden Hohlräume gibt es auf westlichen Bühnen nicht.
Als Herbert Wulfekuhl für die Landeszentrale für Politische Bildung die Dresdener zuerst einlud, 1988 zum Festival politischen Theaters, da log der DDR-Kulturminister, die Gruppe spiele das Stück nicht mehr. Die Behörde zur Aufrechterhaltung kümmernder Scheinwelt ist weg, die Dres
dener sind hier. Aber die Veränderungen verändern auch die Spielbedingungen der „Hans Ottos“, die seit der Wende nicht mehr „Arbeiter-“ sondern „Amateur„theater heißen. Nicht nur findet seit Herbst Kultur nicht mehr in Konzert/Theater/Kino statt in der DDR. Sondern der „Graphische Großbetrieb Völkerfreundschaft“, der die 25 LaienspielerInnen bisher unterstützte, muß selber sehen, wo er bleibt. Nicht mehr er garantiert nun die Spielstätte und bezahlt Rudolf Donath, Schauspieler am Staatsschauspiel Dresden, der die Gruppe seit 1976 leitet. Was jetzt, muß sich finden. Sie wissen, daß sie weiterspielen wollen.
Nach der Vorstellung lange Diskussion im Foyer des Theaters am Leibniplatz. Keine Schwierigkeiten mit der Übertragbarkeit des Stücks für die Wessis. Die 7 Taktiken behördlicher Verantwortungslosigkeit, nichts was wir nicht kennten, v.a. von der Kulturbehörde, was Neues entsteht, entsteht allein durch Druck von unten. Gut, daß Herbert Wulfekuhl aus Klärungsgründen dann auch die Frage stellte, die dem
linken „kennen wir alles genauso schlimm“ entspricht: Warum habt ihr das da drüben eigentlich so lange ausgehalten, seid ihr nicht selber schuld daran?
Einer von denen, die die ewige Behörde gespielt hatte, kam dann doch was unterschiedlich vor: man kam doch ins KZ, hätte ich beinahe gesagt, wenn man wirklich was gewollt hat. (Auch darauf folgte ein westdeutscher Betroffenheitsbeleg von Überwachung durch den Verfassungsschutz.) Eine andere Dresdenerin wies auf die unterschiedlichen Systeme hin: Nicht die West-, nicht die Ostdeutschen seien besser, wenn die Westdeutschen sowjetisch besetzt worden wären, hätte sich die BRD genauso entwickelt wie die DDR. Ja, sagte der Spieler des Antonow, dennoch, wer ist schon bis an die Grenze dessen gegangen, was zu tun möglich gewesen wäre?
Uta Stolle
Wer die spannenden und redebereiten Dresdener singen und spielen sehen will: heute, 19.30 Leibnizplatz:„Spielregeln“, selbstgemachtes Songstück über den Streit der Nachlassverwalter Brechts
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