piwik no script img

„Das ist doch ein Job für Idealisten“

■ Die taz sprach mit der neuen Stadtverordnetenvorsteherin Christine Bergmann (SPD) über ihre Aufgaben, über den Aufbau des Parlamentarismus, über neue kommunale Strukturen für Ost-Berlin und über den Beamtentransfer von West nach Ost

Ost-Berlin. Auf der konstituierenden Sitzung der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung wurde sie mit großer Mehrheit zur neuen Vorsteherin des Stadtparlaments, wie es etwas altmodisch im Ostteil der Stadt heißt, gewählt: Die 50jährige Apothekerin Christine Bergmann, seit Dezember in der SPD, wurde - für sie selbst völlig überraschend - für dieses Amt ausgeguckt und nominiert. Immer wieder wird sie seither gefragt, ob sie verwandt sei mit der Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl (CDU), die Namensähnlichkeit ist aber nur zufällig. Die taz sprach mit der neuen Stadtverordnetenvorsteherin während der ersten gemeinsamen Fraktionssitzung der SPD aus beiden Teilen der Stadt am Dienstag im Schöneberger Rathaus.

taz: Frau Bergmann, als neue Stadtverordneten-Vorsteherin türmen sich vor Ihnen die Aufgaben. Was müssen Sie besonders dringlich und ganz schnell anpacken?

Christine Bergmann: Nun, wir müssen jetzt ganz schnell Ausschüsse bilden und uns bis zur nächsten Stadtverordnetenversammlung darüber im klaren sein, welche Ausschüsse wir haben wollen. Wir müssen klären, wie die Ausschüsse besetzt werden und welche Kompetenz wir in unseren eigenen Reihen haben. Die ganze parlamentarische Arbeit muß überhaupt erst angeschoben werden, die gab es doch früher bei uns nur formell. Bisher gab es alle drei Monate eine Stadtverordnetenversammlung, und da wurde nur etwas abgenickt. Wie parlamentarische Ausschüsse wirklich arbeiten, das wissen wir immer noch nicht. Wir müssen uns erst ein mal um die Räume kümmern, um Material und die ganze Organisation.

Erhalten Sie dabei Unterstützung aus dem Westen?

Ja, ich bekomme Unterstützung aus dem Westberliner Abgeordnetenhaus, und ich brauche das auch. Wir haben doch überhaupt keine Erfahrung in der gesamten parlamentarischen Arbeit. Wir haben niemanden, der etwas von Parlamentsrecht versteht. Ich habe zwei Juristen, die ich einsetzen kann, aber die müssen sich auch erst einarbeiten in das große Feld des Parlamentsrechts. Aus dem Abgeordnetenhaus bekomme ich weniger inhaltliche, sondern in erster Linie organisatorische Unterstützung, denn wir haben doch so gut wie nichts.

Aber die inhaltliche Zusammenarbeit wird doch in Zukunft auch verstärkt werden?

Ja, natürlich. Schon diese Woche soll der Vierziger -Parlamentsausschuß zur Vorbereitung der Berliner Einheit das erste Mal gemeinsam tagen (in diesem Ausschuß sitzen je zwanzig Westberliner Abgeordnete und 20 Stadtverordnete, d.Red.). Wir haben aber vorher noch einmal eine interne Sitzung unter uns. Wir haben bei uns die Zusammensetzung genauso wie im Westen geregelt, nach der Stärke der Fraktionen.

Wird die Sitzung öffentlich sein?

Davon gehe ich aus. Wir haben bei uns so lange immer alles hinter verschlossenen Türen gemacht und die Öffentlichkeit ausgesperrt, daß ich jedem die Möglichkeit geben möchte, daran teilzunehmen, der sich dafür interessiert.

Welchen Eindruck hatten Sie von der ersten gemeinsamen Fraktionssitzung der SPD?

Das ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall ist es mein Eindruck, daß es sehr wichtig ist, die Probleme, die jeder einzelne hat - zum Beispiel bei der Frage des Einsatzes von Beamten in Ost-Berlin - erst einmal breit zu diskutieren. Ich glaube, daß wir mit dieser Diskussion viel zu spät angefangen haben.

Wußten Sie persönlich etwas von dem Plan, drei West -SenatorInnen gleichzeitig zu Magistratsmitgliedern zu machen?

Nein, wir wußten nichts davon. Es war meiner Meinung nach auch eine richtige Strategie bei den Koalitionsverhandlungen, daß zunächst über die Sachfragen diskutiert wurde, dann über die Ressorts und erst am Schluß über personelle Fragen. Es hat sich aber gezeigt, daß die Zeit, die dann geblieben ist, um die Personalfragen zu diskutieren, nicht ausgereicht hat - zumal es sehr unglücklich war, daß die Personalfragen, ehe sie bei uns diskutiert wurden, in der 'Bild'-Zeitung standen. Da gibt es natürlich Frust, und der ist auch heute zu spüren.

Glauben Sie, daß dieser Frust in der gemeinsamen Sitzung ein wenig abgebaut werden konnte?

Ich denke doch. Es waren jetzt ja auch ein paar Tage Zeit, um unter uns darüber zu sprechen. Die erste Mannschaft steht jetzt erst einmal, und die Frage, inwiefern weitere Westberliner Beamte nach Ost-Berlin kommen, ist erst einmal wieder eine andere. Wir sind in der gemeinsamen Sitzung ein Stück weiter gekommen. Die Frage ist doch immer bei solchen Ideen, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Ein paar Tage später wäre der Zeitpunkt schon viel besser gewesen. So eine schlechte Sache ist das doch nicht, wenn man versucht, in Teilbereichen schon für Gesamtberlin zu denken.

Das heißt, Sie halten das Vorgehen für falsch, die Idee aber grundsätzlich für richtig?

Vom Grundsatz her lehne ich diese Idee nicht ab, weil ich auch weiß, wie die Situation bei uns ist. Aber noch ein anderer Aspekt ist zu berücksichtigen: Die Westberliner Genossen wollen uns sicher helfen, und wir brauchen diese Hilfe auch. Aber sie kennen die tatsächliche Situation bei uns nicht, wie sie sich zum Beispiel in der Innenverwaltung bei Thomas Krüger darstellt. Aus ihren gesicherten Westberliner Verwaltungen würden sie in vielen Fällen ganz anders entscheiden als jemand aus dem Osten, der vielleicht nicht ganz so kompetent ist, dafür aber die Situation viel besser kennt.

Haben Sie nicht Angst, daß Ihnen aus dem Westen zu stark hineinregeirt wird?

Nein, die habe ich nicht. Wir sind doch immer noch so selbstbewußt, daß wir uns davor nicht fürchten müssen. Bei uns ist es doch so: Es muß jetzt ganz schnell etwas passieren, die Menschen warten darauf. Schon die Magistratsbildung hat viel zu lange gedauert. Wie kaputt die kommunalen Strukturen sind, das zeigt sich jetzt bei der Übernahme von unseren Vorgängern sowohl auf der Ebene der Stadträte als auch in den Stadtbezirken. Für uns geht es jetzt darum, wie wir das so schnell wie möglich einigermaßen in die Hand bekommen. Uns treibt eine Frage um: Auf wen kann ich mich denn überhaupt verlassen? Das geht mir in der Stadtverordnetenversammlung so, das geht den Stadträten so und den Bezirksräten auch. Überall sitzen ja noch die alten SED-Funktionäre, und viele versuchen auch jetzt schon quer zu schießen. Ehrlich gesagt, ist das Ziel, das alles in den Griff zu bekommen, ein Job für Idealisten.

Kordula Doerfler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen