: Schengener Salat
Der europäische Norden will Flüchtlinge in den Süden abschieben ■ E U R O M U F F E L
Das „Europa ohne Grenzen“ ist noch nicht geboren, aber es bereitet schon energisch seine Zukunft vor. Die internen Grenzen werden allesamt abgerissen, heißt es. Dafür sollen die äußeren Grenzen massiver werden. Es weist jedoch alles darauf hin, daß vor allem ein Sektor hermetisch abgeschlossen werden soll: der Süden des Kontinents. Modelle dafür sind die Sondervereinbarungen, wie das Schengener Abkommen, das die Bundesrepublik, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande unterschrieben haben und das auf die gesamte Gemeinschaft ausgedehnt werden soll. Grundgedanke dabei ist, daß die EG-Staaten ihre internen Grenzen nur dann aufheben können, wenn die Politik aller Mitglieder in punkto Visumzwang, Asylfragen und Immigrationsgesetzen harmonisiert ist. Von Italien und Spanien verlangt man vor einem Beitritt zum Abkommen die Einführung des strikten Visumzwangs speziell für maghrebinische Einwanderer.
Doch das Schengener Abkommen ist de facto längst Makulatur. Das ist allerdings kein Anlaß zum Triumph. Zwar wurde es bereits deshalb durchlöchert, weil niemand den BürgerInnen des ehemaligen Ostblocks pauschal den Zugang zum EG -Territorium verweigern will, doch gegenüber anderen Ländern haben die „starken“ Staaten Schengen mittlerweile durch eine andere Praxis ersetzt: das System der „Rücküberstellung an den Absender“. Das bedeutet, daß die italienischen Behörden
-wie bereits geschehen - eine ganze Schiffsladung pakistanischer und malaysischer Boat people nach Griechenland zurückeskortiert, weil diese dort unterwegs Halt gemacht hatten. Das Prinzip lautet: Wenn ihr eure Grenzen nicht abschotten könnt, behaltet die Eindringlinge gefälligst bei euch. Auf diese Weise wird sich neben dem „Europa der Bürger“ ein zweites Europa bilden: ein „Europa der Immigranten“, Frucht der weltweiten ökonomischen Ungleichheit, der verfehlten Entwicklungspolitik und des demographischen Drucks. Die EG-Lenker in Brüssel hoffen, daß sie das Problem auf eine Frage der „öffentlichen Ordnung“ reduzieren und im Süden des Kontinents kasernieren können. Das „Fort Europa“ nimmt Gestalt an. Aber es ist ein belagertes Fort. Und in einer belagerten Burg reduziert sich die Freiheit für die Bewohner drinnen.
Marina Forti
Die Autorin ist Expertin für Immigrations- und EG-Probleme in der Redaktion der italienischen Tageszeitung 'il manifesto‘.
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