: Gesamtdeutsche Kritik am Staatsvertrag
Fraktionen der Grünen und des Bündnis 90 in Bundestag und Volkskammer legen gemeinsame Erklärung zum Staatsvertrag vor - zu schnell auf dem falschen Weg / Gemeinsam gegen Atomkraft und soziale Härten / Beginn eines gesamtdeutschen Bündnisses? ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Ihre grundsätzliche Ablehnung des vorliegenden Staatsvertrags zur Wirtschafts- und Sozialunion haben die Fraktionen von Bündnis 90 und Grünen im Bundestag und der Volkskammer deutlich gemacht. In einer gemeinsamen Erklärung bejahen sie zwar die deutsche Einheit eindeutig, die derzeitigen Verhandlungen lehnen sie aber als zu schnell ab. Sie bezeichnen das Verfahren als undemokratisch, da die Bevölkerung und das Parlament ausgegrenzt würden. Damit werde nur die „Einheit des Geldes und der Wirtschaft“ hergestellt.
Die DDR-Bevölkerung werde mit dem Rechtssystem der Bundesrepublik konfrontiert, auf das sie keinerlei Einfluß hätten. West-Grüne und Bündnis 90 befürchten, daß durch die Wirtschaftsunion ein „kalter Schock“ für das Wirtschaftssystem mit Massenarbeitslosigkeit und nicht absehbaren sozialen Folgen ausgelöst werde.
Sie kritisieren einen Ausverkauf des Produktivvermögens und des Bodens in der DDR sowie die fehlende Interessenvertretung der Frauen. Die Übernahme westdeutscher Umweltgesetzgebung wird nur als unzureichende Verbesserung eingestuft, weil damit nicht die Gefahren einer ungehemmten Wachstumsgesellschaft unterbunden würden.
Zwar wolle die Mehrheit der DDR-Bevölkerung den schnellen Wohlstand a la Bundesrepublik, doch sei nur über eine „Wohlstandsabrüstung“ eine solidarische Gesellschaft unter Berücksichtigung der Dritten Welt zu verwirklichen, meinte etwa Konrad Weiss (Demokratie jetzt).
Die Verfasser des gemeinsamen Papiers fordern statt dessen eine neue gesamtdeutsche Verfassung, die mit einer Volksabstimmung abschließen soll. Eine neue Verfassung solle zwar auf dem Grundgesetz basieren, aber auch die historischen Erfahrungen der DDR berücksichtigen.
Erst nach Abschluß dieses Prozesses stelle sich die Frage gesamtdeutscher Wahlen; Weiss hält einen Wahltermin im März 1992 für möglich, der Grünen-Bundestagsabgeordnete Stratmann rechnet dagegen mit einem deutlich längeren Zeitraum. In der gemeinsamen Erklärung wird außerdem der sofortige Ausstieg aus der Atomkraft gefordert.
Mit einer weitgehenden Streichung der lediglich auf dem Papier existierenden Verschuldung der DDR-Betriebe könnten die Startbedingungen in die Wirtschaftsunion verbessert werden. Grund und Boden sowie volkseigene Wohnungen dürften nicht privatisert werden.
Alle Bürger sollten außerdem Anteilsrechte am Volksvermögen und an den Betrieben erhalten (Siehe Dokumentation). Darüberhinaus müsse ein einiges Deutschland die Oder-Neiße -Grenze anerkennen, sich in ein europäisches Sicherheitssystem einbinden, auf Atomwaffen verzichten und „zur Auflösung der Nato anstatt zu ihrer Stärkung beitragen“.
Von dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Stratmann wurde das Papier als Einstieg in ein „Zusammenwachsen“ von Bundes -Grünen und dem Bündnis 90 und „Vorbereitungsarbeit auf den Tag X gesamtdeutscher Wahlen“ bewertet. Konrad Weiss machte allerdings klar, daß „Demokratie jetzt“ keinen „Anschluß“ an die westdeutschen Grünen akzeptieren werde; er kann sich lediglich eine vorherige Auflösung aller Parteien einschließlich der bundesdeutschen Grünen und nachfolgender Parteineubildung vorstellen.
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