Gefrustete Studenten vor der Volkskammer

Studenten fordern höheres Stipendium / Regierung orientiert sich am bundesdeutschen Modell / Bafög-Regelungen erzwingen Abhängigkeit  ■  Von CC Malzahn

Berlin (taz/adn) - Mehrere tausend Studentinnen und Studenten haben gestern vormittag in Berlin für eine Erhöhung ihres Grundstipendiums von 200 auf mindestens 500 Mark demonstriert. Anschließend zogen die Demonstranten vor die Pforten der Volkskammer und blockierten auf der Straße Unter den Linden bis in den frühen nachmittag den Eingang.

Einigen Studenten gelang es, von der Zuschauertribüne des Plenarsaales aus ein Transparent zu entrollen: „Solidarität mit den Politiker-Diäten“ hieß es darauf ironisch. Nachdem sie auch Flugblätter in den Sitzungssaal geworfen hatten, wurden sie von Ordnern abgeführt. Zu weiteren Zwischenfällen kam es nicht.

Eine neue Stipendienregelung hat die Regierung trotz der studentischen Proteste und einer vom Bildungsministerium erarbeiteten Vorlage bisher nicht verabschiedet. In der Fragestunde des Parlaments bestätigte der parteilose Bildungsminister Hans-Joachim Meyer, daß sich die künftige Studienförderung am bundesdeutschen Bafög-Modell orientieren soll, - also abhängig vom Einkommen der Eltern oder der Ehepartner sein werde. Die nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) gezahlte Unterstützung läuft auf Darlehensbasis und muß nach dem Studium zurückgezahlt werden.

Die protestierenden Studenten wandten sich gegen eine solche Regelung. Der Rektor der Humboldt-Universität zeigte sich mit den Hochschülern solidarisch und sprach sich während der Sitzblockade vor der Volkskammer gegen eine nach dem Einkommen der Eltern gerichtete Staffelung des Stipendiums aus. Mit einer solchen Regelung würden „erwachsene Menschen in eine unzumutbare Abhängigkeit“ geführt werden.

Auch die Studentenparlamente in der BRD setzen sich schon seit Jahren für ein elternunabhängiges Bafög ein. Das bundesdeutsche Studentenwerk hat ausgerechnet, daß ein Student monatlich mindestens 600 Mark zum Leben braucht.

Bildungsminister Meyer sicherte den Demonstranten vor der Volkskammer zu, „ihr Begehren zu prüfen“. Gleichzeitig wies er auf die „schwierige Finanzlage“ hin. Seine Vorlage sieht die Erhöhung des Grundstipendiums auf 350 Mark vor. Die Studenten fordern aber mindestens dieselbe Summe, die die Regierung als Mindesteinkommen festgelegt hat: 495 Mark. Als ein Mitglied des Bildungsausschusses die Summe von 400 Mark als Grundstipendium vorschlug, wurde er von den Studenten ausgepfiffen. Meyer erklärte in der Fragestunde, daß die Gespräche über die künftige Regelung noch nicht abgeschlossen seien. Die Auszahlung der Stipendien sei nach wie vor gesichert.

Während die Polizei gelassen und sogar freundlich auf die Sitzblockade reagierte, sah Innenminister Diestel „die Arbeit der Abgeordneten beeinträchtigt“. Er kündigte in einem Rundfunkinterview an, daß sich „solche Sachen nicht wiederholen werden.“ Siehe auch Seite 4